Hals dick.

Stellt Euch folgendes vor.
Ihr arbeitet in einem Versicherungskonzern, sagen wir mal der Capitol. Ihr habt einen kleinen Schreibtisch und arbeitet an einer mehr oder weniger komplizierten Statistik. Ihr habt Euch auf Euren zwei Metern arbeitskonform eingerichtet, der Locher steht links, so wie immer.
Zur Pause geht ihr für 14 Minuten runter in die Cafete und trinkt nen Kaffee. Ein kurzer Schwatz mit dem Kollegen, danke gut, ich muss dann mal weiter machen. Ihr kommt zurück an Euren Arbeitsplatz und
– es ist alles verstellt!
Die Exceltabelle ist geschlossen, der Locher steht in Wackelpudding eingegossen rechts (auf dem Kaktus), der Stuhl – das IST überhaupt nicht mein Stuhl! Und überhaupt, warum steht der Schreibtisch jetzt an der Trennwand, der war doch gerade noch am Fenster?!?
Aha! Die Kollegin war da, ja vielen Dank auch. Einen schönen Tag noch.

So in etwas heute erlebt. Es war meine Pausenablösung. Ich habe eine Hemikolektomie betäubt, die Narkose lief seit 80 Minuten reibungslos, PDK und so. Als ich wiederkam war alles (!) verstellt. Beatmungsparameter, Perfusoren, Schlauchlagerung, Ulmer Rad abgebaut („da bleibt man eh nur dran hängen“), Monitoreinstellung („im Nachtmodus kann man das viel besser erkennen“).
Ich möchte behaupten, dass das was ich tue Sinn und Verstand hat. Mein Arbeitsplatz hat System. Das Monitoring steht so, dass ich es immer im Blick habe, auch wenn ich Medis aufziehe. Die Schläuche sind nach Priorität geordnet (Beatmung immer ganz oben…), die Perfusoren laufen so, dass 1. kein Schmerz, 2. nicht wach und 3. guter Blutdruck garantiert ist. Und nicht umgekehrt.
Wie kann man sich in einer 14-minütigen Pause erdreisten, da alles umzustellen? OK, wenn es der Chef wäre. Oder die Oberärztin. Aber das war eine Assistenzärztin im 4. Jahr. Und sie hat das nicht gemacht, weil sie nur so Narkose machen kann, sondern einfach weil sie der Meinung war, dass es „so besser“ sei. Ich würde mich niemals nie erdreisten in einer Pausenablösung an der Narkose eines Kollegen oder einer Kollegin rumzuschrauben. Es sei denn der Blutdruck ist bei 60. Oder so.
Die Narkose war aber absolut stabil. Ich hätte eine halbe Stunde in die Kantine gehen können ohne das irgendjemand bei der Patientin gesessen hätte und es wäre alles noch genauso gewesen. Aber nein, Mademoiselle stellt da erstmal den Sender neu ein.

Wo ich weg komme pflegt man in solch angespannten Situationen voll wertschätzender Sorge um den geistigen Zustand des Gegenübers zu fragen: SAMMA – HACKT’S????

19 Gedanken zu “Hals dick.

  1. Der Anästhesiepfleger war gleichzeitig in Pause? So was kam bei meinen OP „Praktika“ nicht vor. da wurde die Narkose des Kollegen respektiert.
    Selbst die NA die ich kenne, versuchen eine gute Narkose weiterzuführen, so weit irgendwie möglich.

    1. Die Pflege ist hier nur bei der Ein- und Ausleitung dabei. Mademoiselle durfte also frei schalten und walten.
      Überflüssig zu erwähnen, dass Mademoiselle (wie ich erst hinterher erfahren habe) hier einen sehr schweren Stand hat.

    2. Das gehört sich auch so. Als NA (im Sinne eines Sekundär/Intensivtransports) ist es sogar eines der erklärten Ziele genau dies nicht zu tun. Sinngemäß heißt es da irgendwo „nicht zu versuchen, die Therapie umzustellen und zu verbessern“. Der Patient ist durch den Transport genug gefährdet, wenn man dann noch grob an der Beatmung/Analgosedierung rumfummelt weiß man hinterher gar nicht mehr, warum jetzt eine Veränderung eingetreten ist.

  2. Na, wenigstens hat sie nicht noch den Patienten ausgetauscht, weil sich ein andere besser unter Narkose halten ließ! 😉
    Sorry für Dich, das geht echt gar nicht, aber dafür hast Du mir mit der Geschichte meinen zweiten Morgenkaffee versüßt! 🙂

          1. Vielen Dank! Dann lieber hier und heute mit guter Ausrüstung und qualifiziertem Personal, meinetwegen auch mit der Assistenzärztin im 4. Jahr wenn die ansonsten weiß, was sie tut 😉

  3. Also das geht ja wirklich nicht, da würde ich auch wahnsinnig werden.
    Nun noch eine Frage: Was ist ein Ulmer Rad und wofür wird es genutzt?

    1. Hallo, ein „ulmer Rad“ wird an den OP-Tisch geklammert und darin können dann alle Schläuche und Kabel z.B. für Beatmung und Monitoring festgemacht werden. Und weil die Medizin eine sehr eitle Wissenschaft ist und sich jeder gerne verewigt haben möchte, haben sich die Menschen in Ulm gedacht – komm, das benennen wir mal nach unserer tollen Stadt. Einen tieferen Sinn hat es nicht. Aus dem gleichen Grund gibt es auch Morbus Recklingshausen, die Dupuytren’sche Kontraktur und 1102319230 andere Eitelkeiten.
      Ich glaube hier ist jemand an einem Grundkurs „OP von A bis Z“ interessiert,was? 😉
      Beste Grüße!

      1. Interessant finde ich deinen Fachbereich, genau wie die Medizin im generellen schon, nur für mich selber wäre das nichts. Meine Mutter meinte auch immer das ich mal Medizin studieren soll, das hab ich ihr nach dem Abi aber schön schnell ausgeredet. Interessant finde ich den Bereich aber immer noch und wenn es dann noch so geschrieben ist wie bei dir, der Heldin im Chaos (wenn auch anderes Kaliber) oder dem Kinderdoc, dann lese ich das auch gerne und stelle viele Fragen.

  4. Da gibts nur eine Lösung. Die nächste Pause erfolgt beim Patienten…Oder geht das nicht? Ist wohl nicht so einfach Kaffee und Stullen in den OP zu bestellen?
    Auf jeden Fall hoffe ich, dass du der Göre gesagt hast, dass sie so etwas bei dir nie mehr tun soll! Der nächste Patient wird es dir danken!

  5. Kenn ich. Selbst oft genug erlebt. Viel Spaß mit der allwissenden und beratungsresistenten Generation Y!

  6. Oh wie schön, diesmal war es eine Doppel-X-Trägerin. Ich hatte das das erste Mal in Reinform mit einem megaerfahrenen XY im immerhin schon 6. Weiterbildungsmonat, der mich kurz zum Kaffee ablösen sollte. Ich: Polytrauma von vorgestern, bereits auf dem Weg ins erwartete ARDS, sollte Sekundärversorgung von allem möglichen kriegen. Ventilation besser als nach ITS-Bericht zu erwarten: SpO2 die ganze Zeit 88% bei PEEP 12 und 50% O2. Vt 6ml/kg, AF 26, Laktat 0,5- eine recht unkomplizierte Intensivbeatmung also. Komme nach 15 Minuten wieder und höre mir einen Vortrag des hypertrophen Arschlochanfängers an (sorry…): „Ich hab mal Deine Beatmung optimiert, das war ja alles nicht so gelungen. Du hattest ja quasi reine Totraumventilation mit diesen niedrigen Tidalvolumina, kein Wunder, dass Du so hohe Frequenzen brauchst. Und die Sättigung war ja auch schlecht, jetzt mit 80% O2 ist sie viel besser. Den PEEP habe ich auch auf 3 gesenkt, das macht sonst Barotrauma. Wirst sehen, geht schon viel besser.“ Ich, zweite Woche an diesem universitären Haus und eigentlich sehr zurückhaltend, da noch in der Einlebphase: „So. Wenn der Patient noch kein ARDS hatte, so hast Du jetzt die besten Voraussetzungen dafür geschaffen. Und jetzt gehst Du raus. Und Du fasst nie wieder eine Narkose von mir an, wenn ich nicht dazu gezwungen werde.“ Er war recht überrascht über meine so unerwartet „heftige“ Reaktion, teilte allerdings später im Nachbar-OP allen mit, wie er dem Patienten das Leben gerettet habe.
    Ich rege mich heute noch auf, dabei ist das 11 Jahre her 😀 Der XY-Typ hat sich in seiner gesamten Weiterbildung nicht geändert und hat das Haus schließlich verlassen, nachdem ihm klargemacht wurde, dass menschliche Gründe stark gegen eine OA-Position sprechen 😉

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