Spahn macht Ernst.

Was wie eine neue Rubrik des NEO MAGAZIN ROYALE klingt ist vielleicht das neue große Ding aus Berlin. Jens Spahn hat sich die Betreiber von Beatmungsheimen und sogenannten Beatmungs-WGs vorgenommen.
Und ich finde das richtig gut.

Das Thema ist seit Jahren (SPIEGEL-Artikel von 2017, Welt 2012) überfällig und eigentlich eher ein alter Hut. Weil sich aber niemand so richtig an dieses heiße Eisen getraut hat, konnten seit den 90er Jahren zunehmend geschäftstüchtige Anbeiter Beatmungs-WGs aufbauen.
Die Krankenhäuser haben sich gefreut, weil sie endlich ihre lästigen dauerbeatmeten Patienten los werden die von den Reha-Kliniken abgelehnt wurden. Die Betreiber der Beatmungs-WGs haben sich gefreut, weil sie an jedem der Patienten richtig viel Geld verdienen. Und die Krankenkassen haben brav bezahlt.
Verlierer ist die Allgemeinheit, die die Kosten tragen muss.

Wer wissen will worum es da geht darf sich gerne mal hier zu „Beatmungs-WG“ belesen. Der Fachausdruck dafür lautet übrigens außerklinische Intensivpflege und damit kann man eine Menge Geld verdienen.
20.000€ im Monat sind viel Geld und die sind auch gerechtfertigt – wenn, ja wenn man Intensivpflege außerklinisch auch mit dem nötigen, personal- und materialintensiven Aufwand betreibt.
Wenn man aber die Kosten drückt – und das am besten bei gleichbleibenden Einnahmen – dann fängt die Sache an lukrativ zu werden.
Wie man das am Besten macht kann man sich unter anderem hier sehen. Klar gibt es auch Erfolgsgeschichten, die Vorzeige-WGs die intensivpflichtigen Menschen ein Leben außerhalb der Klinik ermöglichen. Menschen die beatmet werden müssen aber die aus der Klinik raus wollen und in einer gemütlichen, häuslichen Umgebung leben wollen. Wie eine normale Wohnung eben. Natürlich gibt es die auch und es ist in dieser Diskussion wichtig hier die Guten von den Bösen zu trennen. Wir müssen aber vor allem über die Bösen reden. Menschen die unter Vortäuschung falscher Tatsachen pflegerische Versorgung vorheucheln und nur materielle Interessen haben. Da agieren windige Geschäftemacher unter dem Deckmantel der Menschlichkeit und missbrauchen für den finanziellen Gewinn PatientInnen die sich nicht dagegen wehren können.

Mein erster Kontakt mit einer solchen Beatmungs-WG muss ziemlich genau 2005 gewesen sein. Damals war ich im Rahmen eines Praktikums auf Hausbesuch mit einem niedergelassenen Allgemeinmediziner, welcher mit mir einen Patienten besuchte.
Im Vorfeld bot er mir sogar an den Nachmittag frei zu machen, was ich als hochmotovierter Jungmediziner natürlich ablehnte. Ich wollte Hausbesuche machen. Hinterher zeigte sich, dass er nicht an einer Verbesserung meiner Work-Life-Balance interessiert war sondern daran, dass ich diese Beatmungs-WG nicht von Innen zu sehen bekomme.
Der Besuch selbst war ihm sichtlich unangenehm. Das Haus war von außen ein komplett unscheinbares Wohnhaus, darüber und darunter befanden sich weitere Wohnungen.
In einer dieser stinknormalen Wohnungen von ca. 100qm waren in zwei Einzelzimmern und in zwei Doppelzimmern insgesamt sechs PatientInnen in einem Pflegebett untergebracht. Alle sechs waren über eine Trachealkanüle beatmet. Fünf von sechs PatientInnen guckten an die Decke, eine Kommunikation mit der Außenwelt war nach allem was ich beurteilen konnte nicht möglich.
Ein Patient schien zumindest mit Blicken im Raum das Geschehen verfolgen und es machte den Eindruck als wenn er zumindest zeitweise wahrnehmen würde was um ihn herum geschah.
Eine adäquate Kommunikation erschien mir auch hier nicht möglich, es wäre unmöglich gewesen den Willen des Patienten zu befragen, dennoch erschien es mir so als wenn eine innere Abwehr gegenüber pflegerischen Handlungen sichtbar wäre.
Gemeinsam mit den sechs PatientInnen lebte hier auch eine Pflegekraft.
Eine Pflegekraft für alle sechs PatientInnen.
Es bimmelte mal hier und mal da, eigentlich war ständig etwas zu tun. Absaugen, Filter wechseln, PEG piept, PEG-Beutel (mit künstlicher Ernährung) wechseln, wieder absaugen.
Alle acht Stunden wurde gewechselt, kurze Übergabe, nächste Pflegekraft übernimmt. Alleine mit sechs IntensivpatientInnen. Ach so Moment – Bewohner! Bewohner hieß das. Da wurde großen Wert drauf gelegt, dass das keine PatientInnen sind. Voll versorgt mit künstlicher Ableitung von Stuhl und Urin (SPFK) und voll ernährt über eine PEG, kontinuierlich assistiert beatmet. Aber hey – Bewohner. Keine Patienten.
Die Wohnung gehörte offiziell unserem Patienten, nennen wir ihn Herrn Huber. Herr Huber hatte wiederum fünf Jahre vorher einen schweren Schlaganfall erlitten in dessen Folge es zu einem fulminantem Untergang nahezu des kompletten Hirngewebes kam. Er wurde damals erst operiert (kraniotomiert) und wurde im Verlauf der weiteren intensivmedizinischen Therapie nicht mehr richtig wach. Kein Wunder, es fehlte nahezu das komplette Gehirn. Die Familie drängte auf eine Fortsetzung der Therapie, ein Ableben des Patienten wäre mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen verbunden gewesen. Als Leiter eines Unternehmens hatte er es versäumt den Nachlass zu regeln, die Firma wäre zerschlagen worden. Herr Huber hatte wohl aber diverse Versicherungen abgeschlossen. Krankentagegeldausgleich, Rente, ein ganz gutes Einkommen war das.
Ein Familienmitglied organisierte dann eine 24h-Betreuung. Zunächst zuhause waren die Kosten enorm, es musste eine andere Lösung her. Irgendwie kam dann noch ein Patient dazu und dann noch einer und am Ende stand diese WG in der sechs Menschen die mal ein eigenes, selbständiges und selbstbestimmtes Leben hatten am selbigen gehalten.
Darf man das? Möchte das irgendjemand? Ich kenne niemanden der das für sich wünschen würde. Niemanden, nicht einen einzigen Menschen kenne ich.
Aber ich habe in meiner beruflichen Laufbahn unzählige Gespräche mit Angehörigen geführt, die einen solchen vegetativen Zustand als akzeptabel bewerteten. Sicher nicht optimal, aber immer noch besser als der Tod. Es ist nicht das Ende. Solange der Körper noch warm ist, lebt er noch und vielleicht wird er ja wieder wach.  Solche Dinge und ähnliches redet man sich dann ein um eine solche Entscheidung sich selbst gegenüber rechtfertigen zu können.
Keiner der Angehörigen war glücklich mit der Entscheidung, letztlich waren die wenigsten aber so konsequent den Weg zur Terminierung der Intensivtherapie zu gehen.
Herr Huber war jetzt also zuhause, die Pflege war kostenintensiv. Eine Freundin der Familie arbeitete auch als Pflegekrat bei Herrn Huber und kam dann irgendwann mit der Idee man können ja noch zwei Patienten dazu holen, dann könne man die Kosten dritteln. Sie organisierte ab da den Schichtdienst, ihr Mann übernahm die Verwaltung und Abrechnung. Und natürlich blieb es nicht bei drei PatientInnen sondern es kamen noch mehr dazu.
Die Einnahmen sprudeln, die Kosten bleiben überschaubar. Ein Problem sind die Qualifikation des Personals. Da arbeiten dann auch mal Altenpflegehelfer die in Beatmungspflege angelernt werden (oder auch nicht) und die sollen dann das machen was man Intensivpflege nennt.
Die Krankenhäuser freut es, auf Intensivstationen sind Bettplätze ein rares Gut. PatientInnen die nach einigen Wochen Therapie keinen Fortschritt zeigen wird man dort gerne los.
Behandlungsplätze in Weaningkliniken (das sind Kliniken die sich darauf spezialisiert haben PatientInnen von Beatmungsgeräten zu entwöhnen) sind schwierig zu finden.
Bei multimorbiden Patienten wird die Anschlussheilbehandlung auch gerne mal unter Hinweis auf das fehlende Rehabilitationspotenzial abgelehnt. Diese Menschen fallen ein ein Versorgungsloch.
Ein aktuelles Fallbeispiel – eine fortgeschritten demente, 85jährige Dame stürzt im Pflegeheim auf den Kopf, nach dem Sturz trübt sie ein, wird bewusstlos. Notarzt und Rettungsdienst versorgen die Patientin, intubieren, bringen die Dame in unseren Schockraum. Nach Diagnostik einer Hirnblutung erfolgt die neurochirurgische Operation mit Ausräumung der Blutung. Die Dame wird nicht richtig wach, Schutzreflexe sind nicht ausreichend vorhanden, am 8. Tag wird nach frustranen Extubationsversuchen dillatiert. Eine AHB wird abgelehnt (kein Rehapotential), die Geriatrie lehnt ab (Die ist beatmet mit einer Trachealkanüle, sowas machen wir hier nicht, da können wir unsere Komplexpauschale nicht abrechnen), Normalstation mit Trachealkanüle geht auch nicht. Weaningklinik lehnt ab (zu alt, zu wenig Potential) und das Krankenhaus will nur noch eins: diese Frau loswerden. Wir haben die OP gemacht, jetzt brauchen wir das Intensivbett für andere OPs.
Erst im Frühjahr haben zwei weitere Beatmungs-WGs aufgemacht und einen Anruf später heißt es – klar, kann kommen. Krankentransport bestellt, Papiere fertig, Tschüss und gute Reise.
Die Dame wird jetzt bis ans Ende ihres Lebens beatmet an die Decke gucken und das kostet uns alle  20.000€ im Monat. Hätte man entweder gar nicht erst operiert oder nach erfolgter OP versucht sie mit intensiver Logopädie, Schlucktraining und Atemtraining von der Beatmung zu entwöhnen hätte das sicher viel Geld gekostet, langfristig aber ihr ein besseres Leben ermöglicht und Kosten gespart.

Als Notarzt war ich oft in Beatmungs-WGs und habe teils katastrophale Zustände vorgefunden. Ich habe ein Beatmungsgerät gesehen bei dem Mullbinden auf den Lautsprecher geklebt wurden damit der ständig bimmelnde Alarm „nicht so nervt“. Hygienische Mängel (unsterilisierbare Einmalprodukte wurden mehrfachst verwendet, Einmal-Trachealkanülen ausgekocht und über Monate benutzt),  Qualifikationsdefizite („Ich bin neu hier, ich habe meine erste Schicht, ich war vorher in der ambulanten Pflege.“) sind nur ein Teil.

Wie genau die Änderungen aussehen sollen die Jens Spahn sich da überlegt und wie sie sich dann vor allem in der Realität auswirken werden ist noch nicht klar. Ich halte es aber aus persönlicher Erfahrung für dringend notwendig, dass am besten bei jedem einzelnen Patienten eine Bedarfsanalyse gemacht wird und diese Beatmungs-WGs verschärften Kontrollen unterzogen werden.
Unangemeldete Kontrollen und verbindliche Vorgaben zur Mindestqualifikation für das eingesetzte Personal würden helfen die schwarzen Schafe zu finden. Eine angepasste Vergütung die weniger Anreize setzt PatientInnen beatmet von einer Intensivstation in eine solche WG abzuschieben wäre ein Anfang.
Die Gegner der Reformpläne sehen das Ende des Goldesels gekommen und werden nicht müde Vorbild-Konzepte zu präsentieren. Ja, die gibt es, aber sie sind nicht repräsentativ. Es gibt sicher vereinzelte WG-Konzepte für Schwerkranke und künstlich beatmete PatientInnen bei denen der Patient und die Besserung der Lebensqualität im Mittelpunkt steht.
Mir sind aber vor allem die Negativbeispiele bekannt. Dubiose Betreiber die sich nicht in die Karten gucken lassen.
Es wäre schön, wenn sich daran etwas zum Guten ändern würde.
Ich würde es Jens Spahn wünschen, dass er mal wirklich einen nennenswerten Erfolg für die Allgemeinheit erreicht, dass kriminelle Handlungen beendet werden und dass am Ende ausnahmsweise mal die betroffenen Patienten gewinnen.

Patientenverfügung für junge Leute, Studenten, Schüler und Jugendliche

Wenn Du das hier über google gefunden hast, verweise ich explizit auf den Artikel „End-of-life-decisions„. Dort erfährst Du warum Du neben einer #Patientenverfügung auch eine #Vorsorgevollmacht ausfüllen solltest und falls Du Kinder hast vielleicht sogar eine #Sorgerechtsverfügung und ein #Testament machen solltest.

Die Überschrift ist etwas plakativ. Junge Leute, Studenten, Schüler, Teenager – in das Leben eines jungen Menschen passt eine Patientenverfügung ungefähr genauso gut wie sich Blasenkatheter auf Thrombosestrümpfe reimt.
Aus Gesprächen mit Kollegen und unseren jüngeren Mitarbeitern weiß ich, dass es einen großen Bedarf gibt, diese Selbständigkeit auch für den Fall zu regeln, dass man plötzlich nicht mehr voll im Leben sondern eher am Rand des Lebens steht.

Als gesunder und junger Mensch wollen wir ja erstmal noch möglichst viel vom Leben haben. Ein Kampf für das Leben ist die Maxime und genau so wird es ja auch in allen Kliniken umgesetzt. Der Kampf ums Leben ist aber auch mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden – und das ist der Euphemismus des Tages.
Intensivmedizin bedeutet Katheterwechsel, Thoraxdrainagenanlage, brutale Schmerzen, künstliche Ernährungssonden, deren Anlage und Wechsel, völlige Kraftlosigkeit, Ermüdung und fehlende Orientierung durch einen zerstörten Tag-Nacht-Rhythmus.
Ist die eigentliche Krankheit überstanden so muss vieles neu erlebt werden, Kraft aufgebaut werden. Jeder einzelne Muskel des Körpers verweigert die Arbeit, muss wieder neu trainiert werden. Schlucktraining, wache Bronchoskopie zur Sekretmobilisation und wieder diese Schmerzen wie man sie vorher noch nie gekannt hat weil man der Meinung war, dass ein Bolus von 10µg Sufenta doch reichen müsste.
Luftnot, Angst aber auch Horrorträume die fern unserer Vorstellungskraft sind. Nicht alles trifft auf alle Patienten zu, aber manche Patienten zahlen einen hohen Preis für einen Kampf gegen den Tod.

Moderne schmerztherapeutische Intensivkonzepte wie z.B. an der Uni Freiburg wollen da ansetzen und mit neuen Therapiekonzepten den Aufenthalt erträglicher machen, ein Spaziergang wird echte Intensivmedizin aber trotz alledem nie werden.

Lehne ich also jede Form von Intensivmedizin (Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung u.a.) kategorisch ab und akzeptiere unter Umständen einen raschen Tod?
Oder möchte ich alle Möglichkeiten der Intensivmedizin für den Kampf ums Leben nutzen und nehme die Bürde aller Unannehmlichkeiten auf mich um vielleicht noch ein paar Jahre zu gewinnen?

Aus meiner Sicht macht ein Kompromiss Sinn.
Am Anfang steht ein Ereignis, dass zur Aufnahme auf die Intensivstation führt. Ein schwerer Verkehrsunfall, Notarzt, Rettungsdienst, Schockraum, OP, Intensivstation. Kein Mensch kann in die Zukunft schauen, keiner weiß ob es am Ende „gut“ ausgeht. Ob sich der Kampf am Ende lohnen wird.
Aber deshalb direkt die Flinte ins Korn werfen?

Ich finde in diesem Fall einen Kompromiss sehr sinnvoll.
Ich möchte im Fall des Falles die Möglichkeiten der Intensivtherapie nutzen, ich möchte kämpfen. Ich bin bereit auch durch ein tiefes Tal zu gehen, aber nicht zu jedem Preis.
Was das heißt, darf ja zum Glück jeder selbst für sich entscheiden.

Weil ich eine Hilfestellung geben möchte und es mehrfach angefragt wurde, deshalb hier meine eigene #Patientenverfügung.

Noch ein paar Kleinigkeiten vorweg:

  • Skandal hin oder her – ich bin ein großer Unterstützer der Organtransplantation, daran ändern auch schwarze Schafe nichts. Das System an sich ist eine großartige Hilfe für Betroffene und sofern das für mich in Frage kommt unterstütze ich auch eine Organspende, der Passus unter Anhang 2 ist ggf. zu streichen.
  • An den Stellen die mit XXX gekennzeichnet sind, können eigene Daten eingetragen werden.
  • Eine Bestätigung/Beratung durch den Hausarzt kann man machen, notwendig ist das nicht!
  • Eine notarielle Beglaubigung mit so einem Wachssiegel sieht schick aus, das war es aber auch schon.
    Die einfache, persönliche Unterschrift genügt vollkommen.
  • ich habe eine dynamische Patientenverfügung, deren Inhalt sich nach Ablauf von 60 Tagen ändert. Warum mache ich das? Nun, weil ich zunächst mal möchte, dass alles gemacht wird um mich zu retten. Kinder, Familie, ein Haus das abbezahlt werden muss, ein eigenes Unternehmen… es gibt 1000 Gründe warum es sich lohnt zu kämpfen. Aber, man muss auch einsehen wenn der Gegner gewonnen hat. Als Wachkomapatient nur noch dahin zu vegetieren, Ballast für meine Familie zu sein, nur noch Kosten und Arbeit verursachen ohne echte Teilnahme am echten Leben? Das wäre nicht mein Ding, daher möchte ich dann lieber von dieser Welt gehen. Das Datum des ersten Aufnahmetags im erstversorgenden Krankenhaus entspricht in der Regel dem Beginn der Krankheit oder dem Unfallzeitpunkt. Um dies eindeutig zu definieren habe ich diese Formulierung gewählt.
    Würde man „ab der Krankenhausaufnahme“ sagen, könnten spitzfindige Wortverdreher daraus ja ableiten, dass ich zwar 6 Wochen in der Uniklinik und 4 Wochen im Grundversorgerkrankenhaus aber erst seit einer Woche in der Reha bin und das wären dann ja erst 7 Tage…
  • für juristische und/oder medizinrechtliche Beratungen und Verbesserungsvorschläge zur Formulierung stehe ich gerne zur Verfügung!


PATIENTENVERFÜGUNG

Ich Narkosedoc, geboren am XXX wohnhaft in XXX bestimme hiermit das folgende.  

Im Falle einer plötzlichen Erkrankung die es mir unmöglich macht einen eigenen Willen zu äußern oder diesen verständlich zu äußern, bestimme ich, dass für einen Zeitraum von 60 Tagen ab dem ersten Aufnahmetag im erstversorgenden Krankenhaus alles menschenmögliche getan wird um mein Leben zu retten und eine rasche Rehabilitation und Rückkehr in ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu fördern.
Für den Zeitraum von 60 Tagen ab dem Datum des ersten Aufnahmetages im erstversorgenden Krankenhaus stimme ich sämtlichen intensivmedizinischen Maßnahmen zu, dies beinhaltet und unter anderem auch:
– Reanimation (mechanisch und medikamentös)
– organersetzende Verfahren (Dialyse, ECMO u.a.)
– Beatmung (invasiv, nichtinvasiv und auch eine dillatative oder chirurgische Tracheotomie)
– antiinfektive Therapie
– künstliche Ernährung über eine Magensonde
– weitere intensivmedizinische Maßnahmen soweit nach Maßgabe der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sinnvoll und notwendig
Mit all diesen Maßnahmen bin ich für den genannten Zeitraum explizit einverstanden.

Ausnahmen:
Der Anlage einer PEG wiederspreche ich ausdrücklich und zwar auch für den Fall, dass eine langfristige Ernährung aufgrund erlittener Schäden durch Schlucktraining/Logopädie nicht ausreichend möglich sein sollte.

Kritische Reevaluation zur Fortsetzung medizinischer Maßnahmen nach dem Ablauf von 60 Tagen:

Sollte 60 Tage nach der ersten Krankenhausaufnahme im erstversorgenden Krankenhaus eine der folgenden Bedingungen zutreffen, so fordere ich eine umgehende Beendigung aller medizinischen Maßnahmen, auch unter Inkaufnahme des Todes. Hierzu gehören:

  • fehlende Fähigkeit mir persönlich nahe stehende Personen wie XXX zu erkennen
  • fortgesetzte Pflegebedürftigkeit entsprechend Notwendigkeit zur Dekubitusprophylaxe durch regelmäßige Lagerungsmaßnahmen
  • schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit entsprechend Pflegegrad III (drei) oder höher

Etwaige Deutungsungenauigkeiten sind im Zweifelsfall als „Bedingung zutreffend“ einzustufen.
Neurologische Spitzfindigkeiten sind zu ignorieren.
Die letzte Deutungshoheit über die Erfüllung oder Nichterfüllung einer Bedingung liegt bei XXX (hier Ehepartner/Lebenspartner o.ä. einfügen).

Sollte eine oder mehrere der genannten Punkte erfüllt sein so ist die Therapie unverzüglich einzustellen.
Dies beinhaltet:

  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer antiinfektiven Therapie
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer parenteralen Ernährung oder Ernährung über eine Magensonde
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer Beatmung (beinhaltet auch ggf. eine finale Extubation, finale Dekanülierung und/oder Beendigung der invasiven oder nicht-invasiven Beatmung)
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer Katecholamintherapie
  • Ausschluss einer Reintubation
  • Entfernung eines liegenden sowie Ablehnung der Neuanlage eines Venenkatheters außer zur Applikation von Sedativa oder Analgetika

Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe ein schönes Leben gelebt.
Ich wünsche Beistand durch XXX sowie XXX wünsche explizit eine palliative Unterstützung im Sinne einer best supportive care ein. Dies beinhaltet insbesondere die großzügige Gabe von Sedativa (Lorazepam und andere) und Analgetika (Morphin und andere) auch unter Inkaufnahme eines Atemstillstands oder einer möglichen Lebensverkürzung.

Anhang 1: 
Sollte am Anfang der Kausalkette ein unnatürliches Ereignis (zum Beispiel ein Unfall) stehen und ich letztlich an einer natürlichen Erkrankung (zum Beispiel an einer Pneumonie) versterben so ist im Totenschein „unnatürlich“ anzukreuzen und auch die Kriminalpolizei zu informieren. Das fälschliche Ankreuzen einer „natürlichen Todesursache“ ist zumindest eine Ordnungswidrigkeit und kann unter Umständen einen Straftatbestand erfüllen.

Annex 2:
Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Gewebe zur Transplatation in Frage kommt gestatte ich dies explizit und vollumfänglich ohne Einschränkungen. Nur für diesen Fall bin ich auch mit einer Fortsetzung der invasiven Beatmung einverstanden zur Durchführung der Hirntoddiagnostik. Ich erteile der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) eine vollumfängliche Autorisierung zur Berichterstattung z.B. für Film- und/oder Fotoaufnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit soweit dies gewünscht ist.

Ich bin mir des Inhalts und der Konsequenzen meiner oben genannten Entscheidungen sehr bewusst und bestätige hiermit, dass ich diesen Text im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte verfasst habe.

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Ort, Datum, Unterschrift

Am Ende.

Letzte Woche habe ich mit Frau Schurig über das Ende ihres Lebens gesprochen. Es waren alle da an ihrem Bett. Ihr Mann mit dem sie seit 53 Jahren verheiratet ist, der gut genährte und sehr gefasste Sohn (so etwa Anfang 50) und die etwa gleichalte Schwiegertochter. Auch mit Ihnen habe ich über das Lebensende von Frau Schurig gesprochen.

Wir führen auf der Intensivstation viele Gespräche über das Ende des Lebens. Die Voraussetzungen sind immer andere, die Wünsche und Wege dahin sind es auch. Ich glaube jeder hat eigene Gedanken dazu und manche schaffen es sogar diese anderen mitzuteilen oder auch in Form einer Patientenverfügung aufzuschreiben.
Viele gehen auch den Weg der Verzweifelten und besuchen einen Notar bei dem sie für viel Geld eine nutzlose Verfügung unterschreiben die mit den Worten „Wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass meine Erkrankung unweigerlich zum Tod führt, wünsche ich…“ anfängt und nicht mal das sündhaft teure Papier wert ist auf dem sie steht weil bereits die einleitenden Worte unsinnig sind.

Also sind wir dann oft auf der Intensivstation mit sehr alten, komplex vorerkrankten Patienten konfrontiert und müssen über das Ende reden.
Wir fragen also unsere Patienten ob sie sich mal darüber Gedanken gemacht haben und wenn ja wieviel Intensivmedizin sie noch möchten und was wir noch für sie tun können und sollen. In aller Regel führen wir dieses Gespräch auf der Intensivstation nicht mit den Patienten selbst sondern deren Angehörigen, da die Patienten zu diesem Zeitpunkt meist schon beatmet sind und im künstlichen Koma liegen.
Sehr selten kommt es vor, dass man wirklich mal von Angesicht zu Angesicht mit den Patienten in Ruhe über den Sinn und Unsinn weiterer intensivmedizinischer Maßnahmen sprechen kann. Ich halte es zum Beispiel nicht für sinnvoll einen maximal luftnötigen Patienten unter NIV-Maske mit 100% bei beginnender Dekompensation zu fragen ob er denn auch eine Beatmung und einen Luftröhrenschnitt wünsche. Das ist irgendwas zwischen Erpressung und unmoralischem Angebot, auf jeden Fall ist aber seitens des Patienten in so einer Situation keine Geschäftsfähigkeit mehr gegeben.

Frau Schurig kam zu uns weil sie seit Monaten Gewicht verloren hatte. Ein bißchen müde fühlte sie sich auch seit einiger Zeit aber es ging ja alles so noch ganz gut.
„Wer soll denn sonst den Haushalt machen, ich renn doch nicht wegen jedem Zipperlein zum Arzt.“
Als Frau Schurig zu uns kam war sie in einem sehr schlechten Zustand. Fahles, eingefallenes Gesicht, regelrecht ausgemergelt.
„Die hat ja nie was gehabt. Kerngesund war sie immer!“
Beim Hausarzt war sie mit der Problematik nie. Verdrängung? Ignoranz?
Irgendwann ging es dann gar nicht mehr, sie kam zu uns mit dem klinischen Bild eines Darmverschlusses.
„Über Weihnachten muss ich aber nach Hause, mein Sohn und meine beiden Töchter kommen. Die wohnen in Österreich und in der Schweiz. Ist doch wohl nichts ernstes, oder?“
Eine Notfalloperation war notwendig, viel Diagnostik außer einem CT war vorher nicht möglich sonst wäre der Stuhl oben herausgekommen. Im OP zeigte sich ein riesiger Darmtumor der fast den gesamten Bauchraum durchsetzte und bereits die Leber infiltriert hatte und auch das Bauchfell war über und über mit Metastasen übersät. Es wurde ein künstlicher Darmausgang angelegt, eine heilende Operation war unmöglich.
„Aufgemacht haben sie meine Frau und gleich wieder zu. Nichts zu machen. Überall Krebs.“
Frau Schurig war bereits bei Aufnahme im Nierenversagen, sie benötigte in der OP sehr viel kreislaufunterstützende Medikamente, viel Flüssigkeit und ein komplexes Spektrum der Intensivmedizin sonst hätte sie die OP in dem schlechten Zustand gar nicht überstanden.
„Überall diese Schläuche. Letzte Woche ging es ihr noch gut!“
Für die Familie war der Fall klar. Die eigentlich gesunde alte Dame kommt ins Krankenhaus und da fällt sie in die Hände der Mediziner und ist dem Tod geweiht. Das ist nicht einfach als Gesprächsgrundlage.
Tatsächlich war Frau Schurig rasch wach, adäquat und sah sehr viel besser aus als noch vor der OP. Etwa am fünften Tag zeichnete sich aber ab, dass die Nieren sich trotz aller Zuwendung und unterstützenden Maßnahmen nicht erholen wollten. In der weiteren Bildgebung zeigten sich bereits fortgeschrittene Lungenmetastasen, ein Hinweis für eine sehr weit fortgeschrittene Erkrankung.
„Und da kann man jetzt nichts mehr machen? Meine Frau war doch bisher immer kerngesund! Ich verstehe das nicht.“
Am fünften Tag nach der Operation waren die Nierenwerte so hoch angestiegen, dass wir vor der Frage standen, eine Dialyse zu starten um womöglich noch ein bißchen Zeit zu gewinnen oder den Gang der Dinge zu akzeptieren.
Das besondere in diesem Fall war, dass es für die Patientin definitiv keine Rettung im Sinne einer Heilung gab. Noch außergewöhnlicher war es, dass die Patientin wach, adäquat und bei vollem Verstand und ohne Schmerzen oder Luftnot oder andere beeinträchtigende Symptome im Bett saß. Von außen gesehen ging es ihr pudelwohl, einzig die Nieren arbeiteten überhaupt nicht mehr. Normalerweise würden wir bei palliativen Patienten mangels Perspektive gar keine Dialyse fahren, hier war aber die Sondersituation, dass man zumindest theoretisch noch davon ausgehen musste, dass die Nieren mit viel Glück wieder die Arbeit aufnehmen und der Patientin somit vielleicht noch ein paar Wochen zum Leben blieben.
In einem ethischen Fallgespräch am Bett der Patientin und mit der Patientin legten wir die Gründe für das Gespräch dar, es wurden die Therapieoptionen erläutert und auch konkret angesprochen, dass nur eine Dialyse vielleicht noch ein wenig Zeit bringen könne. Die Patientin legte Wert darauf festzustellen, dass sie jegliche lebensverlängernde Maßnahmen eigentlich für sich ausgeschlossen habe. Sie habe aber auch den dringenden Wunsch noch einmal nach Hause zu kommen.
Entsprechend wurde mit der Patientin vereinbart einen einmaligen Zyklus Dialyse über etwa eine Woche zu starten um die Nierenwerte etwas zu bessern und ihr die Möglichkeit zu geben noch einmal nach Hause zu kommen.
Die Schwiegertochter war sehr ruhig in dem Gespräch und fragte nur eine Frage.
Was passiert wenn wir keine Dialyse machen?
Obschon im Gespräch vorher klar kommuniziert wiederholte ich, dass die Patientin nach allem was wir über die Krankheit wissen mit und ohne Dialyse relativ bald sterben würde. Mit Dialyse könne man das Ende vielleicht noch einige Zeit hinausschieben, ohne Dialyse würde sie innerhalb der nächsten Tage müde werden, in einen Dämmerzustand fallen und schließlich sterben.
Die Schwiegertochter verließ zügigen Schrittes das Zimmer und ward nicht mehr gesehen. Die Reaktion hat mich sehr überrascht.
Ich war bis dahin davon ausgegangen, dass wir in einer ruhigen und offenen Gesprächsatmosphäre eine gute gemeinsame Basis gefunden hätten.
Der Sohn der Patientin entschuldigte sich für das aufbrausende Verhalten seiner Frau, für mich war das im Rahmen der Trauerbewältigung absolut in Ordnung wenn ich mir doch auch einfach nur für die Schwiegertochter gewünscht hätte, dass sie die Nachricht besser hätte verarbeiten können.
So blieb am Ende die Vereinbarung eine Dialyse zu versuchen um auf eine Erholung der Nieren im Verlauf zu setzen und somit noch ein paar Wochen gewinnen zu können.
Die Patientin äußerte sich sehr zufrieden über unseren Austausch.
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Das war ein gutes Gespräch. 
Dem Ehemann standen zwar die Tränen in den Augen, aber auch von ihm war viel Dankbarkeit zu spüren. Dem Sohn bat ich an, nochmal unter vier Augen mit seiner Frau zu sprechen, das Gesprächsangebot unterstützte ich durch die Übergabe einer Visitenkarte mit der persönlichen Durchwahl des Arztes der Intensivstation. In besonderen Fällen geben wir diese Nummer direkt an die Angehörigen.
Die Schwiegertochter verzichtete auf ein Gespräch mit mir und ging stattdessen zum Chefarzt und zum Geschäftsführer um sich über uns zu beschweren.
Nicht bei Facebook oder per Mail sondern in einem wutentbrannten Brief machte Sie ihrem Ärger Luft. Um einmal ein Gefühl dafür zu bekommen wie kompliziert Kommunikation in Krisensituationen sein kann, wie wenig von dem gesagtem auch so beim Empfänger ankommt wie es gemeint war und mit was für Problemen wir im Krankenhaus zu tun haben sei hier der Brief in anonymisierter Form angefügt:

Sehr geehrte Damen und Herren,
am Vortag habe ich meine Schwiegermutter bei Ihnen auf der Intensivstation besucht. In dem Gespräch sollte es um die weitere Therapieplanung gehen. Meine Schwiegermutter war bisher immer gesund, nach der Operation wurde uns nun mitgeteilt, dass die Nieren kaputt gegangen seien. Der Arzt hat auch gesagt, dass meine Schwiegermutter sterben würde. 
Er hat ihr das in einem Gespräch direkt gesagt. Ich finde das unmöglich! Man darf doch einem Menschen nicht sagen, dass er sterben wird!
Meine Schwiegermutter war am Ende ganz aufgelöst, das Gespräch hat sie völlig überfordert. Ich erwarte von Ihnen eine Erklärung und eine Entschuldigung.
Mit freundlichen Grüßen… 

Ich musste zum Rapport bei meinem Chef, beim Chef der Chirurgie (dem Klinikdirektor) und es gab ein Treffen der beiden mit dem Geschäftsführer.
In dem dann stattfindenden Gespräch mit der Schwiegertochter und meinem Chef konnten die Vorwürfe letztlich schnell aus der Welt geschafft werden. Hierfür war sicher auch hilfreich, dass sowohl die im Gespräch anwesende Bezugspflegekraft, als auch der Rest der Familie sowohl die Inhalte als auch die Stimmung und letztlich den Gesprächsverlauf gänzlich divergierend darstellten.
Ich kann auch rückblickend keinen Fehler in der Gesprächsführung erkennen und habe für mich selbst überlegt ob und wenn ja was ich anders hätte machen sollen. Das Gespräch unter Ausschluss der Patientin führen? Über die Patientin aber nicht mit der Patientin reden? Keine Option.
Ein Nachgeschmack bleibt natürlich auch beim Chef hängen. Beschwerde ist Beschwerde und wenn sie auch noch so unhaltbar ist.

Wir hätten die Patientin gerne für die letzten Meter des Lebenswegs in ein Hospiz oder nach Hause verlegt. Letztlich zählt aber der Wille des Patienten und der klammerte sich hier an die Hoffnung einer Erholung der Nierenfunktion mit Gewinnung weiterer Wochen oder Monate.
Frau Schurigs Körper war so geschwächt, dass sie trotz einer langsamen und schonenden Dialyse (slow, extended) und trotz Katecholamingabe zunehmend kreislaufinsuffizient wurde und vier Tage nach dem Gespräch auf der Intensivstation verstarb.

Von der Familie wurde im Anschluss eine großzügige Geldspende für die Intensivstation übergeben, außerdem gab es Süßigkeiten und eine Dankeskarte.
Alles nicht so einfach manchmal.

#metoo

Die Antwort lautet – nein.
Nein, weil ich mich nicht erinnern kann jemals sexuell belästigt worden zu sein. Nein auch weil ich mich nicht erinnern kann jemals eine Frau sexuell belästigt zu haben oder sexistische Dinge gesagt zu haben.
Thematisch wäre der Blogeintrag damit an dieser Stelle eigentlich auch schon wieder beendet. Warum muss sich überhaupt ein Anästhesist zu dieser Sexismusdebatte äußern?
Erstens ist es fast das „Wort des Jahres“ geworden und es ist die wahrscheinlich größte Bewegung 2017 gewesen. Zweitens ist es eins der vielen Themen über die wir während unspannender Operationen gesprochen haben. Drittens ist es Teil meiner Vorsätze für das neue Jahr und viertens schreibe ich darüber weil es ganz einfach wichtig ist und weil zu meinem Nein auch ein Ja gehört.
Ja, auch ich habe zum Teil sehr fiese Erfahrungen im beruflichen Alltag mit (Alltags-)Sexismus gemacht. Ich sage es mal ganz ehrlich – ich schäme mich für so manchen der sich mit mir in der Herrenumkleide umzieht.
Es ist eine Schande wie schamlos manche Männer über Frauen im allgemeinen, Kolleginnen und (Ex-)Partnerinnen herziehen, wenn sie das Gefühl haben man sei „unter sich“.
Gerade in der Chirurgie wird Sexismus sehr offen praktiziert, gerne auch von Angesicht zu Angesicht, in aller Öffentlichkeit, vor Zeugen, auf Station und im OP. Gefühlt – und in meiner kleinen persönlichen Welt – ist es in der Orthopädie und Urologie am derbsten, bei den Allgemeinchirurgen ist es tagesformabhängig, bei den Gynäkologen selten und bei unseren  Kinderchirurgen zum Beispiel habe ich Sexismus noch nie erlebt. Besonders krass wird es meistens wenn zwei Männer operieren und ein Mann pflegerisch assistiert, da werden sprachlich die Hosen gerne mal komplett heruntergelassen.
Wenn dann doch mal jemand kommt und ein solches Verhalten rügt wird erstaunlich oft von den weiblichen und auch meist etwas älteren OP-Pflegekräften der eine oder andere Spruch  bagatellisiert. Man spricht dann von Altherren-Garde. Der sei halt so, der war schon immer so.
Das macht es nicht besser.
Und diese Männer sind weder Herren noch Mitglieder eines Ehrenwachdienst („Garde“) sondern wenn überhaupt allerhöchstens alt.

Viele meiner Gedanken dazu und warum ich nicht länger bereit bin dies zu akzeptieren stehen hier. Den Ausführungen dazu und den empfohlenen Links und Podcasts kann ich mich gut anschließen.

Eine Kollegin von mir ist als Chirurgin taktisch in ihren Entscheidungen brilliant. Sie ist technisch geschickt, hat eine sehr ruhige Hand und Schnittführung. Sie ist intelligent und wortgewandt, dabei eher leise und angenehm zurückhaltend. Sie hat viel Hintergrundwissen vor allem zur Intensivmedizin und geht damit nicht hausieren sondern stellt dieses Wissen in den Dienst ihrer Patienten. Und – sie sieht gut aus. Und eben diese Kollegin hat vor drei Monaten unser Haus verlassen und was sagt mein Kollege als Sie sich verabschiedet? Unter uns und im Spind?
Ich vermisse den Anblick ihres Dekolletés… (im Original etwas vulgärer, aber das kann sich jeder selbst denken).
Mich ekelt das an. Mir tut das leid für diese Kollegin, ich schätze sie und ihre Arbeit und tatsächlich vermisse ich ihre Unterstützung. Es war eine Wohltat mit ihr zu arbeiten, sie hat verletzte Kinder empathisch und konsequent behandelt und hat deliranten Omas in die Spur geholfen. Diese Ärztin war nah dran an perfekt und alles was ihm dazu einfällt ist so ein bräsiger Spruch.
Fragt mal Eure Schwester oder eine Frau Eures Vertrauens ob und wie oft sie schon mit Blicken ausgezogen wurde. Ich kenne Frauen die sich nach einer unsittlichen Berührung eines ekeligen Mannes zwei Stunden lang geduscht haben um das Gefühl wieder los zu werden. Eines Mannes in einer hochrangigen Position, in diesem Fall der Oberarzt eines Instituts der Uniklinik.
Er war der Meinung er dürfe das in seiner Position, was soll schon so eine kleine Studentin ausrichten können.
Zu viele alte Säcke Männer fühlen sich in ihrer Position sicher genug um hinter vorgehaltener Hand oder auch ganz offen Sexismus zu leben. Sie verletzen, demütigen und erniedrigen, sie versuchen den Selbstwert anderer Menschen, ihre Würde und den Stolz in beschämender Art und Weise anzugreifen.
Ich wünsche allen Chirurginnen, Schwestern, Pflegerinnen, Notärztinnen, Internistinnen, Raumpflegerinnen, Bürokräften und Mitarbeiterinnen im Krankenhaus und anderswo – seid stark. Benennt Zeugen, sprecht diese konkret an, schreibt ein Gedächtnisprotokoll.
Wie das genau geht und was man dann als nächstes machen kann steht hier.

Und was können wir Männer tun?
Den Mund aufmachen, Männer ansprechen. Falls man selber Sexismus erlebt ist es auch durchaus legitim sich proaktiv als Zeuge anzubieten.
Eine Kollegin von mir wurde im Rahmen der Visite sehr unsittlich berührt, einen blöden Spruch gab es gratis dazu. Ich habe mich als Zeuge angeboten, letztlich hatte Sie nicht den Mut das anzuzeigen.

In Beverly Hills hatte eine Krankenschwester den Mut einen Vorfall anzuzeigen in dem sie von einem Chirurgen attackiert wird. Ich will jetzt nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, es geht hier nicht um sexuelle Belästigung sondern um die Ausübung von Gewalt eines vermeintlich Starken gegenüber Schwächeren. So gesehen gibt es Parallelen, denn auch Sexismus setzt immer ein hierarchisches Gefälle voraus oder wird sogar eingesetzt um ein solches zu manifestieren.
Der Fall ist deswegen so brisant weil es eine Videoaufzeichnung des Vorfalls gibt. Erschreckend ist, wie gleichgültig die Mitarbeiter vorbeigehen, die den Vorfall mitbekommen haben müssen.
Konsequenz des Vorfalls in dem die Krankenschwester (austauschbar) von dem Starchirurgen der Augenklinik (ein sgn. „celebrity physician“ der im wesentlichen für die Erlöse des Krankenhauses verantwortlich ist) attackiert wurde – die Krankenschwester ist letztlich gegangen (worden).
In diesem Fall reden wir von einem Vorgang der – zumindest in Teilen – auf Video aufgezeichnet ist. Und natürlich ist es kompliziert und vielleicht war es alles ganz anders aber hey – ich glaube wir alle wissen wie es gelaufen ist. Und wenn auch nicht in diesem einen konkreten Fall, dann aber doch in ganz vielen Fällen die jeder von uns so oder ähnlich schon erlebt hat.

Meistens gibt es ja nur Aussage gegen Aussage und das ist schon kompliziert genug. Es gibt natürlich auch Fälle wie den von Horst Arnold der wegen einer Vergewaltigung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde die er nachweislich nie begangen hat.
Darum geht es mir hier aber nicht. Es geht mir um Sexismus im Alltag, um die sogenannten Kavaliersdelikte. Um Altherrenwitze auf Kosten meist junger Mitarbeiterinnen.
Um billige Anmachsprüche die hinten herum noch ganz entrüstet als war doch nur ein Kompliment getarnt werden.

Also Männer – macht den Mund auf. Im OP, im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr, auf Station im Krankenhaus, in der Personalabteilung, im Eiscafé, bei der Müllabfuhr und im Drogeriemarkt. Es liegt an Euch zu zeigen, dass nicht alle Männer so sind.

Disclaimer light:
Das Thema ist kompliziert und bietet Potenzial zur Hysterie, das ist mir wohl bewusst. Eine gute und unaufgeregte Annäherung bietet wie ich finde die ARD mit diesem Themenkomplex unter
http://www.ardmediathek.de/tv/Sexismus-im-Alltag/Thema?documentId=47428042
Es ist wie immer meine persönliche Meinung und repräsentiert nicht mein Krankenhaus oder meinen Berufsstand.

Mein Beileid.

http://www.rp-online.de/nrw/staedte/viersen/lkw-unfall-auf-a61-bei-viersen-abschied-von-getoeteter-polizistin-aid-1.7291467

Ich möchte den Kollegen und Kolleginnen sowie vor allem den Hinterbliebenen der getöteten Polizistin mein Beileid aussprechen.
Denen die noch mit ihren Verletzungen kämpfen wünsche ich baldige Genesung und die besten Ärzte und Pflegekräfte.
Den Kollegen und Kolleginnen die Angst und Sorge um ihre Freunde, Partner und Mitarbeiter haben wünsche ich viel Kraft und guten Mut und dass die Menschen um sie herum sie stützen und stärken können.

Als Notarzt im Rettungsdienst kann ich nur nochmal betonen wie froh und dankbar ich bin, dass es Euch gibt. Ihr kommt zur Hilfe wenn es brennt, ihr rast mit lebensgefährlicher Geschwindigkeit genau da hin wo Menschenleben bedroht werden. Ihr fürchtet keinen Attentäter und stellt Euch schützend vor die Schwächeren. Zu allem Übel müsst ihr Euch für Euren ehrenwerten Dienst entwürdigende Beleidigungen anhören.
Beleidigungen von Menschen die an sich selbst oder am Leben gescheitert sind. Menschen die ihr auch beschützt, auch wenn ihr sie nicht mögt.
Ich habe Polizisten bei deeskalierenden Maßnahmen erlebt was mich tief beeindruckt hat. An einem Moment an dem ich schon längst ausgerastet wäre, bleibt ihr ruhig und sachlich, versucht die Situation zu entspannen.
Ihr seid an Heiligabend und Silvester und an Omas Geburtstag im Dienst und verpasst im besten Fall nur Omas legendäre Buletten. Eure Partner brauchen Verständnis für einen Beruf der viel von der Familie fordert.
Ihr müsst Dinge sehen die sich in die Seele brennen, die verarbeitet werden müssen und die vielleicht langfristig dazu führen dass ihr krank oder sogar berufsunfähig werdet.
Da finden sich viele Parallelen zum Rettungsdienst, trotzdem halte ich unseren Beruf im Vergleich zu Eurem Beruf für sehr viel ungefährlicher.
Bei uns steht an erster Stelle die Eigensicherung. Vor dem ABCDE kommen die 5-Sekunden-Rundumblick ob die eigene Sicherheit gegeben ist. Falls nicht holen wir Euch.

So wie der Autofahrer der den LKW bemerkte der in Schlangenlinien fuhr. Ihr wolltet schlimmeres verhindern, habt durch Euer Eingreifen vielleicht verhindert, dass der 40-Tonner 15km weiter einen Opel Corsa mit Kleinfamilie zermalmt.
Was dann passierte ist im Einsatz zumindest jederzeit möglich. Ihr seid Euch der Gefahr bewusst und nehmt die Herausforderung trotzdem an. Weil ihr Euch dem Beruf und dem Dienst an der Gesellschaft verpflichtet fühlt.
Deshalb an dieser Stelle und weil ich jedes Mal innerlich erleichtert aufatme wenn ich Euer Auto an einer Einsatzstelle sehe –

Danke.

All I want for Christmas… der Narkosedoc wünscht sich was:

Der Narkosedoc hat einen Wunsch zu Weihnachten.

Ich wünsche mir, dass jeder User im Internet bevor (!) er seinen Senf von sich gibt mal überlegt ob er das guten Gewissens so auch seiner Mutter vorlesen könnte. Oder um Mutti mal außen vor zu lassen – ich würde mich freuen wenn ein jeder mal vor dem Absenden überlegt ob dieser Kommentar die Welt ein Stück besser oder schlechter macht. Dieses ewige Genörgel und Schlechtmachen. Ganz zu schweigen von der einfach stumpf rassistischen und völkisch angehauchten Dummlaberei im Schutz der vermeintlichen Anonymität.

Ja, Kommentare werden gelesen. Nicht selten sogar von den Menschen an die sie gerichtet sind. Und ja, Kommentare können verletzten und krank machen. Ich habe vor ein paar Monaten tagelang über einige Kommentare gegrübelt und war drauf und dran dem einen oder anderen ein wutentbranntes JETZTPASSMALAUFDU**** über die Tastatur entgegen zu schleudern.

Warum ich es nicht gemacht habe? Weil ich den Hass so Leid bin. Den Hass gegen Ausländer, gegen Besserverdiener, gegen den Nachbarn der wieder falsch geparkt hat, den Hass gegen dies und jenes und alles. Ich habe das Gefühl, dass es da draußen eine viel zu große Menge Menschen von ihrem Leben, Job oder wasauchimmer frustriert sind und sich dann erstmal ans Internet setzen um all ihre Unzufriedenheit und den Ärger über die eigene verpfuschte Existenz aus sich heraus zu lassen. Wenn ich schon im echten Leben nichts zu melden habe, dann wenigstens in diesem Internet. Da kann man sich einen Dr.-Titel geben und dann mal richtig vom Leder ziehen. Blöd nur wenn die ganzen Rechtschreibfehler dann erahnen lassen, dass sowohl der Titel als auch der vorgegebene Beruf („Ich als Notarzt…“) erstunken, erlogen und im echten Leben unerreichbar sind.

So mancher Kommentar hat mich so geärgert, dass ich ihn einfach nicht so stehen lassen konnte! Andererseits – don’t feed the trolls.

Es wäre zu aufwändig einem kleinen unbedeutenden Internettroll klar zu machen warum ich in einer bestimmten Situation so und nicht anders entschieden habe. Die meisten verstehen ja noch nicht mal warum wir bei einem Notfall nicht rennen – wie soll man ihnen dann komplexe, medizinische Sachverhalte erklären?

Und wenn der kleine Troll eine Meinung hat, dann hat er die. Da helfen ja alle Argumente nichts. Totschlagargument bleibt die böse Pharmalobby, die hat uns Ärzte ja sowieso alle gekauft. Is klar.

Natürlich polemisieren manche Gedanken die ich hier schreibe. Ich freue mich auch wenn darüber diskutiert und miteinander (!) geredet wird. Viele Kommentare habe ich als bereichernd empfunden und schätze die differenzierte Meinung mancher die hier kommentieren – und andere Trolle korrigieren. Danke dafür!

An alle Trolle: egal wie dumm, falsch oder borniert Dir ein solcher Artikel oder Gedanke von mir erscheint – denke nach bevor Du auf „senden“ klickst. Wird Dein Kommentar etwas Gutes bewirken oder willst Du nur Dampf ablassen? Dann geh lieber ins Fitti und nicht ins Internet.

Ich wünsche mir, dass weniger Hass gesät und stattdessen einfach häufiger mal gesagt wird, was wir am anderen toll finden oder worüber wir uns freuen. Ich war letztens bei einem großen Burgerbrater und wurde sehr nett und sehr freunlich bedient und der Typ meinte ich solle mich schon mal hinsetzen er bringt mir das Essen – was er auch zwei Minuten später tat. Das war so außergewöhnlich, dass ich hinterher nochmal hingegangen bin und mich bedankt habe für die ungewöhnlich freundliche Bedienung – das Gesicht war unbezahlbar! Der Typ hat laut gelacht, hat sich riesig gefreut und mit seiner Freude seine Kollegen angesteckt.

Es geht auch anders. Hypertensiver Notfall mit RTW + NEF im Altenheim und der Blutdruck ist 165/90?

Da kann man sich ganz schnell und quasi anonym über die bräsige Leitstelle aufregen und mal richtig die Sau rauslassen wieso man denn bei so einer Lapalie so ein Fass aufmachen kann. Tatsächlich wissen wir nämlich nie welcher von den etwa 12 Disponenten in der Leitstelle gerade den Auftrag angenommen und abgearbeitet hat, da lässt es sich anonym und so ganz unter uns im RTW oder NEF viel leichter über die da von der Leitstelle schimpfen.

Tatsächlich wissen wir aber gar nicht was der Anrufer gemeldet hat. Sprach der Anrufer unsere Sprache? Wurden vielleicht noch andere Dinge mitgeteilt die sich vor Ort als falsch herausgestellt haben?

Ich kann nur jedem im Rettungsdienst tätigen Kollegen raten – und hier meine ich insbesondere und explizit die ärztlichen Kollegen! – sich mal einen Tag auf der Leitstelle hinzusetzen und selber mal zu disponieren.

Es ist viel komplizierter als gedacht aus der Ferne eine Diagnose zu stellen und dann auch noch das richtige Rettungsmittel einzusetzen.

Da sitzt ein Mensch, einer mit Seele, mit Herz. Sicher nicht unfehlbar aber eben auch kein Fleischklumpen den man einfach mal nach aktueller Tageslaune aufs übelste beschimpfen darf.

Sting (ja, der Sting von ThePolice) hat auf seinem Konzert in Berlin mal erzählt, dass wir alle irgendjemandes Tochter und irgendjemandes Sohn sind. Das fand ich ein total starkes Bild.

Ja, selbst der bräsige, dickbäuchige Nachbar mit dem Alkoholproblem der immer so nach Schweiß stinkt hat eine Mutter für die ihr Sohn sehr wichtig ist, mit all seinen Problemen.

Kein Mensch ist unwichtig oder egal, kein Mensch ist illegal. Wir alle sind für irgendjemanden wichtig und wertvoll und sollten deshalb nicht hassen sondern den anderen zumindest respektieren. Liebe ist für den Anfang vielleicht ein bißchen zu viel verlangt und ein großes Wort.

Respekt vor dem Leben, dem anderen Menschen, Respekt sollte drin sein.

 

Ich wünsche mir, dass wir gegenseitig einfach mal ein bißchen mehr aufeinander Acht geben. Die Tür aufhalten, dem anderen die Vorfahrt lassen, von den 80 gebackenen Keksen dem Nachbarn mal 5 auf einem Teller vorbei bringen. Kostet nichts extra, macht keinen Aufwand, wären sowieso am Ende übrig geblieben und weggeschmissen worden. So aber entsteht aus einer kleinen Geste vielleicht etwas Großes.

Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben in der ein Wort wie Gutmensch als Schimpfwort missbraucht wird. Ich hoffe sehr ein Gutmensch zu sein, ein guter Mensch. Ein hoher Anspruch und ein lebenslanges Ziel.

 

Aus Wut dagegen entsteht Hass, aus Hass entsteht Gewalt, Gewalt schreit nach Rache und Rache ist das primitivste aller Gefühle. Damit kann keiner etwas Gutes anfangen, Wut und Hass zerstören, bauen nichts auf und helfen niemandem weiter. Nicht dem der hasst und nicht dem der gehasst wird.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass wenn ich etwas Gutes in die Welt trage dieses Gute irgendwann zu mir zurückfindet. Ob im Ehrenamt, in der Kirche, im Kleinen oder im Großen.

Sei gut zu der Welt und die Welt wird gut zu Dir sein.

Nenn mich einen hoffnungslosen Optimisten, nenn mich einen Gutmenschen.

Resignation ist keine Option.

 

Ich bedanke mich bei allen von mir sehr geschätzten Leserinnen und Lesern die mir ein 2017 einen netten Kommentar hier gelassen haben. Ich bedanke mich bei allen die mir einen Tipp zukommen lassen haben oder sich für einen Tipp bedankt haben. Ich danke auch und vor allem DocCheck dass sie meinen Blog featuren und mich unterstützen und im besonderen einer besonderen Mitarbeiterin die mit mir immer wieder konstruktive Gespräche führt, meinen Senf vorkostet und mich ermutigt weiterzumachen auch wenn mal Gegenwind kommt. Danke M.!
Allen Klinikern, Notfallmedizinern und Blaulichtberufenen wünsche ich ein frohes Fest mit ruhigen Tagen ohne Dienst, ohne Blaulicht und ohne Stress.
Allen Patienten wünsche ich gute Genesung und falls Sie hier sind weil Sie bald operiert werden und eine Narkose brauchen – die machen das schon! 😉
Ich wünsche allen ein wunderbares Fest mit ganz vielen lieben Menschen um Euch herum. Ich freue mich auf 2018 mit Euch!
Hohoho,

der Narkosedoc

Homo homini lupus est

AUS:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/frankfurt-menschenmenge-behindert-rettungskraefte-bei-wiederbelebung-a-1166284.html


Ein 19-jähriger muss wiederbelebt werden. Solche Einsätze sind kein Spaß. Wir trainieren jahrelang, werden von Spezialisten ausgebildet, pauken bücherweise Fachwissen damit wir in solchen Situationen das Beste für diesen einen Menschen erreichen können. Wir wollen helfen. Leben retten.

Es ist der Sohn meiner besten Freundin. Seine Schwester war mit ihm zum einkaufen, sie steht neben ihm, schreit um sein Leben. Der Vater kommt hinzu, hatte nur kurz das Auto geparkt. Er trommelt vor Wut und Schmerz mit den Fäusten auf eine Mülltonne, beißt sich auf die Finger.

Daneben steht ein andere 19-jähriger, bepöbelt die Rettungskräfte, „ruft zu Störungen auf“. Ich meine – was ist eine gerechte Strafe für so ein Verhalten? Kann man das überhaupt bestrafen?
Was ist das für ein Individuum frage ich mich, so verroht? Wie wird man so?

Und wann genau fing das eigentlich alles an so zu eskalieren?
Ich frage mich – wann war der Moment an dem ich das erste Mal stutzte?
Stutzen, dieses Verb passt sehr gut in unsere Zeit. Ich stutze über den kleinen Mann aus Nordkorea. Der kleine Mann mit den dicken Backen der so viel Hass in sich hat, dass es hinaus muss. Raus aus seinem kleinen Land. Der einem etwas zu pummelig geratenen Dackel gleich die Doggen dieser Welt anbellt und nur Ärger will. Der regelrecht darum bettelt einen auf die Mappe zu kriegen. Koste es was es wolle auch hunderttausende Menschenleben.
Es ist düster geworden da draußen. Dunkle Wolken ziehen auf.

Woher kommt all dieser Hass? Hass fremden Menschen gegenüber? Menschen die eigentlich auch nur Väter und Mütter von, Sohn von, Tochter von oder Bruder von irgendjemandem sind.
Menschen die eigentlich nur ein ganz normales Leben haben wollen, so mit morgens frühstücken, zur Arbeit gehen, Kollegen treffen, Mittagspausenschnack, Feierabend und Fernseh gucken in der Doppelhaushälfte.
Diese fremden Menschen sind alle geliebt von ihrer Mama, von ihrem Papa, von ihren Geschwistern. Keiner ist irgendjemand.
Durch den kursiv geschriebenen Einschub wird aus „einem 19-jährigen“ der Thomas der gerade Abi gemacht hat und sich für Maschinenbau in Aachen eingeschrieben hat. Die persönliche Ebene verändert unsere Wahrnehmung.
Es hasst sich einfach leichter wenn man den Menschen nicht kennt an dem sich gerade die Wut über eigene Missstände und Verfehlungen entlädt. Mein Nachbar ist Alkoholiker, hat den Führerschein erst verloren und dann nie mehr nachgemacht und wegen des Alkohols und des fehlenden Führerscheins arbeitslos. Da könnte man mal bei sich selbst anfangen. Das ist aber unbequem, einfacher ist es die Asylanten zu hassen. Die Asylanten sind eine undefinierbare Masse, da hasst es sich ganz bequem.
Wenn man sich nur mal die Mühe machen würde und den einzelnen Menschen zu betrachten der da in dieser Masse sichtbar wird!

lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit
(Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch. Das gilt zum mindesten solange, als man sich nicht kennt.)

Wann also genau fing das an, dass man einfach einen Menschen beschimpfen und hassen durfte?
Das Feuer war nie aus, auch nicht nach dem zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich brennt dieses Feuer seit es Menschen gibt.
„Uga-uga aus der Höhle hinter dem Wasserfall ist verantwortlich für wasauchimmer, dafür wird er bezahlen.“ Oder so.
Vielleicht war ich zu sehr geschützt in meiner 80er-Jahre-Kind-Wohlstandsblase, aber ich meine es gab mal eine Zeit in der Hass, Missgunst, Neid und Boshaftigkeit nicht so an der Tagesordnung waren wie heute.
Niedertracht ist definiert als eine „bewusst böse Denkweise“.
Mit nichts anderem ist die Verrohung besser zu beschreiben die wir erleben müssen. Auch im Rettungsdienst.

Alleine im letzten Monat finden sich etliche Berichte:

Da stirbt ein 59-jähriger Motorradfahrer vor den Augen seiner besten Freunde auf der Autobahn. Das erste was einem LKW-Fahrer einfällt ist sein Smartphone rauszuholen und die Szene zu filmen. Keine erste Hilfe, erstmal ein Video. Für Youtube? Für die Whatsapp-Gruppe „Skatfreunde Keuschbueren“?
Das ist mittlerweile so ein Reflex. Es passiert irgendwas – ZACK! Smartphone raus, Video. Oder wenigstens 10 Fotos. Haste nichts gefilmt ist es nicht passiert.
Wir haben erlebt, dass wir mit einem Patienten im Schockraum der Uniklinik ankamen und dort bereits ein Video (!) von der Unfallstelle gesehen worden war inklusive Abflug unseres Hubschraubers.
Gefilmt, gestreamt, veröffentlicht.

Da passiert ein Unfall auf der A3 – Wohnwagen gegen LKW. Zwanzig Gaffer stehen rum und filmen das. 

Das zieht sich durch alle Altersklassen. Schon 15-jährige sind ganz vorne mit dabei. Und weist man als Rettungsdienst auf das Fehlverhalten hin darf man keine Scham erwarten sondern muss mit aggressivem Verhalten rechnen.

Am Rheinufer in Remagen gibt es genau eine einzige Landestelle an der der RTH nicht landen kann weil ein Spacko dort steht und filmt. Und auch trotz eindeutiger und mehrmaliger Aufforderung nicht Platz macht. Hinterher beleidigt er noch den Piloten.

Geht es noch schlimmer? Na klar.
Da steht ein Mann auf dem Vordach eines Hotels in der Innenstadt von Baden-Baden. Unten stehen 50 Schaulustige, filmen und johlen und rufen dem Mann zu er solle doch endlich springen. 
Da suhlen sich Menschen welche im Leid anderer Menschen.
Das würden Tiere nicht machen. Soweit mir bekannt ist, würde sich ein Tier nie am Leid eines anderen Tieres ergötzen. Es wäre ihm egal, vielleicht. Aber die bewusste Freude darüber, dass es hier jemand anderem richtig dreckig geht ist eine urmenschliche Eigenart.
Blöd nur, wenn man irgendwann selber mal da liegt.
Und keiner zur Hilfe kommt, weil die Rettungsgasse zu ist. Aber dann tröstet vielleicht der Gedanke dass man sich das Elend hinterher aus zwanzig verschiedenen Blickwinkeln anschauen kann.
Wenn man dann noch lebt.

Täglich grüßt die Rettungsgasse… nicht. Die Katastrophe von Münchberg.

Was am 3.7.2017 auf der A9 bei Münchberg passiert ist haben wahrscheinlich alle mitbekommen. Unweigerlich machen wir uns Gedanken wenn wir die Berichterstattung über so ein Ereignis mitverfolgen. Die Reaktionen dazu können von kompletter Gleichgültigkeit bis zu tiefer Betroffenheit reichen.
Ein solch tragischer Unfall ist sicherlich sehr selten und es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen damit eine solche Katastrophe überhaupt entstehen kann.
Für mich stellt sich immer die Frage, was wir aus solchen Situationen für zukünftige Schadenereignisse lernen können.
Wenn ein Patient in unserem Krankenhaus stirbt, dann fragen wir uns – was hätte besser laufen können. Wenn ich als Notarzt einen wirklich kranken Patienten behandelt habe – ein Polytrauma, eine Reanimation o.ä. – dann setzen wir uns nach der Übergabe des Patienten zusammen und bereden das Ereignis. Es kommt jeder zu Wort, es darf jeder sagen wo wir richtig gut waren aber wir überlegen auch was wir noch besser hätten machen können.
Ob man das jetzt Debriefing nennt oder Leichenschnaps oder Traumabewältigung. Reden ist wichtig, das Reden darüber entlastet, nimmt Druck von der Seele.
Diese Zeilen schreibe ich aber aus einem ganz besonderen Grund.
Die Frauen und Männer der freiwilligen (!) Feuerwehr von Münchberg, Gefrees, Helmbrechts und Fleisnitz, sowie die weiteren unzähligen Helfer vor Ort haben einen riesigen Job gemacht und bezahlen mit Ihrer Gesundheit für unsere Sicherheit.
Auch in diesem Szenario wird es Dinge gegeben haben die sehr, sehr gut gelaufen sind (z.B. eine unfassbar kurze Hilfsfrist!), aber auch Dinge die eher suboptimal gelaufen sind.
Wir können mit den Gerätschaften trainieren, Arbeitsabläufe optimieren, unsere Fähigkeiten verbessern. Was wir vom Rettungsdienst nicht durch Training verbessern können, ist die Bildung einer ausreichend breiten und durchgehenden Rettungsgasse.

Und so berichteten die Helferinnen und Helfer welche zu dem Busunfall auf der A9 eilen wollten  übereinstimmend über massive Probleme in der Bildung der Rettungsgasse. Probleme bei der Bildung einer Rettungsgasse gab es schon immer, gefühlt ist es in den letzten Jahren aber schlimmer geworden.
Wir sind dafür ausgebildet Menschen zu retten, Feuer zu löschen und Schmerzen zu lindern. Das können wir nur wenn wir auch zeitig genug vor Ort sind.
Als Notarzt im Notarzteinsatzfahrzeug erleben wir es immer wieder, dass trotz eingeschaltetem Sondersignal andere Verkehrsteilnehmer versuchen noch eben schnell links abzubiegen oder eben noch schnell über die Kreuzung zu sausen. Wofür? Für drei Sekunden Zeitgewinn? Damit ich zehn Meter weiter an der nächsten roten Ampel eingeholt werde?
Oft wird dann gesagt, dass es ja jeden von uns treffen könne und dann würden wir uns ja auch wünschen, dass die Hilfe schnell da ist. Warum denn nur so herum? Reicht es nicht aus zu wissen, dass da irgendwo ein Großvater, ein Fünfjähriger, ein x-beliebiger Mensch in Not ist?
Unser Rettungshubschrauber musste vorgestern eine Außenlandung abbrechen weil Fotos und Videos vom landenden Hubschrauber gemacht wurden und die Leute nicht weiter weg gingen sondern immer näher an den Hubschrauber kamen. Die Crew musste 800m weiter landen und wurde von der Polizei sekundär dem Notfallort zugeführt.
Wann verstehen wir es endlich, dass nicht immer nur das ichichich zählt sondern dass es uns allen besser geht, wenn wir Rücksicht nehmen, wenn wir mal zurückstecken. Einen Gang runter schalten, anderen der Vortritt lassen. Wie wäre es wenn wir Fußgänger mal über die Straße gehen lassen auch wenn da mal kein Zebrastreifen ist.  Die 10 Sekunden die ich dadurch verliere kann ich problemlos bei den täglichen 42 Minuten Facebook abknapsen.
Wann raffen es Autofahrer endlich, dass eine Rettungsgasse vorsorglich gebildet werden muss damit der Rettungsdienst zügig durchfahren kann und nicht erst wenn das Tanklöschfahrzeug hupend hinter einem steht. Dann ist es zu spät für die Rettungsgasse!
Ich könnte mich in Rage tippen. Lassen wir das.

Es ist kein Spiel:

Und es ist so einfach:

Danke.