Frag den Narkosearzt Teil 2 von 9238.

Kein Zutritt - Geheimnisse der Anästhesie
Freunde, was hab ich mir da eingebrockt 😀
SIlvester und Neujahr dienstfrei! Das hatte ich vier Jahre nicht mehr. Das will genutzt werden! Hier ein paar Antworten auf ein paar Fragen…

„Du hast ja über dicke Patienten und das Schubladendenken geschrieben. Aber wie ist es eigentlich mit medizinischem Personal als Patient von dir? Egal ob Krankenschwester, Arzt oder was auch immer. Sind diese besonders schlimm? Wissen alles besser? Besonders lieb? Machos? Weicheier? Plauder mal bitte aus dem Nähkästchen. Danke!“

Als Patienten ist da für mich lediglich der Unterschied, dass ich statt Lungenentzündung Pneumonie sage und mich bei der Aufklärung meistens sehr kurz fassen kann. Ich pflege ein immer ehrliches und offenes Verhältnis mit Patienten und Angehörigen, da muss ich mich nicht verstellen oder gar aufpassen was falsches zu sagen.
Besserwisser sind eher in der Lehrerecke zu finden, letztens hatte ich auch mal einen Statistiker. Der war anstregenend. Aber auch der Kunde war nach einer zeitintensiven Aufklärung sehr zufrieden. Muss eben manchmal sein.

Gab es mal einen Fall bei dem ein Patient völlig paradox auf Medikamente reagiert hat bzw. gar nicht auf Medikamente? Und du nur noch gedacht hast “was war jetzt das?”.

Mhm. Nein. Es gibt schon manchmal paradoxe (also gegensätzliche) Wirkungen bei der Gabe von Medikamenten. Das ist dann aber auch oft bekannt. Bestes Beispiel sind die Medikamente die man zur Narkosevorbereitung gibt (Dormicum, Lorazepam o.ä.). Bei fast allen Patienten wirken diese Medikamente beruhigend, angstlösend und manchmal auch etwas einschläfernd. Bei Kindern aber auch bei muskelbepackten, tätowierten Mittzwanzigern findet man immer mal wieder einen mit panisch aufgerissenen Augen. Da ist die Wirkung dann tatsächlich gegensätzlich.

Wenn sich im Krankenhaus der Anästhesist als DER Anästhesist für meine OP vorstellt, ist er dann tatsächlich die ganze Zeit der OP bei mir? Oder macht er vielleicht nur die Ein-/Ausleitung und die Überwachung während der OP macht ein anderer Anästhesist?

Der Anästhesist der das Vorgespräch zur Narkose (die sgn. „Prämedikationsvisite“) macht ist sehr selten auch derjenige der dann die Narkose bei Dir macht. Das hat damit zu tun, dass wir z.B. in einem Team von fast 100 Anästhesisten arbeiten und irgendjemand eben die Prämedikationsvisiten machen muss. Dieser jemand kann an Deinem OP-Tag Bereitschaftsdienst, Notarztdienst, frei nach Dienst tausend Gründe haben nicht da zu sein.
Der Anästhesist der sich Dir vor der OP vorstellt ist in aller Regel dann auch während der ganzen OP dabei. Ausnahmen sind bei Privatversicherten, da sagt der Chef meistens kurz „Hallo“, spritzt das Schlafmittel und verabschiedet sich mit einem „Herr Narkosearzt, sie kommen hier klar, oder?“ wieder Richtung Chefarztgremium Nirwana.
Bis auf die Mittagspause bleibe ich immer bei dem Patienten. Wir machen keine Parallelnarkosen (also ein Anästhesist für zwei oder mehr Patienten), es gibt aber Häuser die auch das praktizieren. Da helfen dann sgn. ATAs dem Anästhesisten. Da schreib ich dann demnächst vielleicht auch mal was drüber.

„wie erkennt man nach einer Operation eigentlich den richtigen Zeitpunkt, ab dem ein Patient wieder alleine atmen kann? Die Frage ist vielleicht sehr dumm, aber ich hatte bei jeder meiner (zum Glück wenigen) Vollnarkosen immer ein bisschen Angst, dass ich entweder mit einem Schlauch in der Lunge aufwache oder alternativ einfach zu atmen aufhöre, weil ich doch noch nicht so weit bin…“

Das ist relativ einfach. Wenn der Chirurg fertig ist, werden die Schlafmedikamente ausgestellt und irgendwann fängt der Patient von selber an zu atmen. Wenn der Patient mit den Augen klimpert oder hustet oder sich sonstwie bemerkbar macht wird der Beatmungsschlauch entfernt. In der Phase danach können die Patienten meist auf einfache Fragen (Haben Sie Schmerzen? Kriegen Sie gut Luft?) mit Kopfnicken oder auch verbal adäquat antworten. An die ersten Minuten nach der Narkose kann sich kein Patient erinnern. Das explizite Gedächtnis benötigt in der Regel ein paar Minuten oder auch Stunden bis es wieder voll funktioniert. Also – keine Angst! Von der Entfernung des Beatmungsschlauchs bekommst Du nichts mit.

Hat schon einmal jemand in die ICE-NOTFALLKONTAKTE auf dem Handy eines Patienten geschaut?
Viele Grüße.

Du meinst sicher diese Aktion. An sich eine gute und sinnvolle Sache. Die Praxis zeigt, dass wir in der ersten Stunde der Versorgung eines Schwerverletzten mit anderen Dingen beschäftigt sind als dem Update des Facebook-Status oder der telefonischn Information der buckeligen Verwandtschaft. Handys machen sich wenn überhaupt im Schockraum oder präklinisch durch meist penetrantes Klingeln besorgter Familienmitglieder bemerkbar. Meist machen wir das Handy erstmal aus. Es sind in dem Moment andere Dinge wichtiger.  Die Polizei kümmert sich dann um die Benachrichtigung der Angehörigen. Alles weitere läuft dann meistens auf der Intensivstation über den direkten Besuch oder ein Telefonat mit dem Diensthabenden.

Demnächst mehr an dieser Stelle…
Und wer es bis hier geschafft hat: ein gelungenes, fröhliches, gut-laufendes, ausgeschlafenes neues Jahr 2015!
Knallende Grüße,

der Narkosearzt

 

Ich rette also bin ich.

Weaning IntensivtransportNicht-Mediziner äußern sich gerne bewundernd oder auch anerkennend über meine Arbeit und wünschen sich sie könnten das von ihrer Arbeit auch sagen. Für Außenstehende ist es ganz einfach – wer mit Blaulicht durch die Gegend rast um Menschen in Not zu helfen tut Gutes. Wer sich die Nächte um die Ohren schlägt um Menschen auf der Intensiv mit Hilfe von Medikamenten und Maschinen ein Überleben zu ermöglichen tut etwas sinnvolles. Wer den Tod eines Menschen verhindert und Familien die Möglichkeit gibt mit dem von ihnen geliebten Menschen weitere Zeit zu verbringen und nicht auf eine weitere Beerdigung gehen zu müssen tut per Definition etwas sinnvolles.
Was so selbstverständlich erscheint ist bei genauer Betrachtung etwas ganz anderes. Wenn man einzelne Patienten über Monate auf der Intensivstation begleitet, kathetert,  dialysiert, bronchoskopiert, tracheotomiert und unzählige Male in den OP fährt, Hochs und Tiefs miterlebt und mit den Angehörigen durchlebt und bespricht – und diese Patienten dann zwei Wochen später in der Reha versterben kommt man ins Nachdenken.
Ich fahre im Moment viele Intensivtransporte und begegne dort immer wieder Menschen die sehr unglücklich aussehen.
Erst letzte Woche habe ich mehrere Patienten zum Weaning gefahren. Das sind Patienten die lange auf einer Intensivstation behandelt wurden und dort über lange Zeit beatmet wurden. Die Atemmuskulatur verschwindet unter eine Beatmung innerhalb von Tagen und muss dann mühsam wieder antrainiert werden um ein selbständiges Atmen zu ermöglichen. Diesen Prozess der Entwöhnung von der Beatmung nennt man Weaning.
Alles gut und sinnvoll bei Patienten die vorher ein selbständiges Leben geführt haben und bei denen Aussicht auf Besserung besteht. Aber das wird immer seltener.
Erst letzte Woche fuhr ich einen Patienten der im Januar (!) diesen Jahres aufgrund einer Lungenentzündung bei schwerer Lungengerüsterkrankung (COPD GOLD IV D, Heimsauerstofftherapie) mal wieder beatmungspflichtig wurde. Im Rahmen der Lungenentzündung kam es zur Blutvergiftung, der 78-jährige Patient wurde mehrfach reanimiert, irgendwann tracheotomiert (Wechsel vom Beatmungsschlauch auf eine Beatmung per „Luftröhrenschnitt“) und dann nicht richtig wach. Nach zweieinhalb Monaten auf der Intensivstation wurde der komatöse Patient in ein Beatmungsheim abgeschoben. Dort wurde er jetzt im Lauf von Monaten wacher und nach zehn Monaten wird er jetzt zum Weaning gefahren. Dieser Mensch liegt seit fast einem Jahr beatmet im Bett und kann sich nicht mal an der Nase kratzen wenn diese juckt. Was er von der Umwelt mitbekommt lässt sich nicht sagen, aber es ist doch so: entweder er bekommt das ganze Elend und die tagelange Einsamkeit mit was ein furchtbarer Zustand ist. Oder er bekommt nichts mit und wabert gedanklich einem Karpfen gleich durch die Tage, Jahre und Gezeiten. Ist dieser Zustand dann besser? Elend erleben oder nichts mitbekommen? Dann könnte man doch auch tot sein, oder?
Früher habe ich mich gefragt ob ein solches Leben noch Sinn macht – heute weiß ich es. Es macht keinen Sinn. Für mich. Das ist meine Meinung! Es muss nicht Deine sein. Das darf und soll jeder für sich entscheiden.
Mir fehlt aber zunehmend der Sinn in der Arbeit wenn ich mich mit Maximaltherapie um Patienten kümmern soll die für sich keine Maximaltherapie wollen und diese sogar zu Lebzeiten mehrfach abgelehnt haben. Und die dann trotzdem eine Maximaltherapie bekommen weil – man kann ja nie wissen! Vielleicht ist es gar nicht seine/ihre Patientenverfügung! Vielleicht ist das Lungencarcinom ja gar nicht final metastasiert sondern nur ein Krampf durch Unterzuckerung? Vielleicht vielleicht vielleicht. Und erst wenn alle Katheter im Menschen drin sind und die Beatmungsmaschine erbarmungslos ihre Luft in die kaputte Lunge pumpt wird nach ein paar Tagen entschieden, dass wir uns jetzt – ja, ist vielleicht doch besser – zurückziehen.
Wir erleben undankbare, gequälte und oft leidende Patienten und Angehörige und investieren Milliarden für die letzten Lebenswochen am Ende eines 80, 85 oder (aktuell auf Bett 33.1) 103 Jahre zählenden Lebens.

Und dann ist da noch die Palliativmedizin.
Der Gegenentwurf zur sinnlosen Ressourcenverschwendung in der Intensivmedizin. hier hat die klassische Medizin kapituliert, hat den Sieg der Krankheit anerkannt und – zieht sich zurück!
Der Mediziner kann nicht mehr gewinnen, da verlässt er doch lieber gleich das Feld. Auf in den nächsten Kampf, neuen Gegner suchen, neuen Menschen helfen.
Dabei benötigen gerade und am allermeisten genau diese Patienten Hilfe! Palliativmedizin ist grundsätzlich realtiv übersichtlich. Es gibt weitaus kompliziertere Felder in der Medizin die man beackern kann. Eigentlich gibt es nur drei Medikamente (Morphin, Cortison und Benzodiazepine) und die größte Herausforderung liegt in der Abrechnung mit den zahlungsunwilligen Krankenkassen – aber es ist so sinnvoll!
Hier erlebe ich Patienten die für jede Zuwendung in Form von Worten, Zeit oder luftnotnehmenden Medikamenten unglaublich dankbar sind. Hier geht es nicht ums heilen, aber trotzdem um Medizin. Es geht um das feine Gespür für den Moment, um das Wissen wann ein Wort zuviel ist und wann Gespräche gut tun. Es geht viel um Zeit und wenig um medizinische Fakten.
Es geht um Dankbarkeit und sinnvolle Arbeit. Um das gute Gefühl am Ende eines langen Tages, um ein zufriedenenes Lächeln beim Einschlafen nach einem unruhigen Nachtdienst.
Ich komme ins Nachdenken.

Sprechstunde beim Narkosearzt Teil 1

Vielen Dank für Eure spannenden Fragen!
Ich werde versuchen einen Teil der Fragen zu beantworten und bitte zu beachten, dass ich meine höchstsubjektive Meinung sage und nicht meinen Berufsstand repräsentiere!

Los geht das Ding:
„Wie gehst du mit übergewichtigen Patienten (emotional) um? Ekelst du dich vor ihnen, ärgerst du dich über sie, bist du verwundert,…?“
Bildschirmfoto 2014-12-05 um 21.18.00Der schwerste Mensch den ich auf der Intensiv behandelt habe wog 340kg. Das weiß ich, weil wir für ihn ein Spezialbett geliehen haben welches über eine integrierte Waagefunktion verfügte.
Ich glaube Du meinst aber eher „normale“ übergewichtige Patienten. Also bis 150kg haben wir so oft im OP-Plan, dass es für uns einfach nichts besonderes mehr ist. Über 150kg wird es anästhesiologisch herausfordernd, da die Pat. oft bereits in Ruhe schlecht Luft kriegen und schlecht flach liegen können. Rein fachlich gesehen habe ich davor Respekt, fühle mich aber gut ausgebildet und kann auch hierfür Lösungsstrategien einsetzen um diese Patienten sicher zu narkotisieren.
Ich habe mich noch nie vor einem Patienten geekelt. Schweißgeruch – und ich meine besonders diesen kalten, alten Schweißgeruch –  finden eigentlich alle die ich kenne ekelig. Wer nicht?!?
Schlimm ist es, wenn Menschen nicht mehr willens oder in der Lage sind sich selbst zu pflegen. Schlimmer ist es wenn Sie dann nicht die notwendige Pflege bekommen. Was mich wirklich stört und wo dann auch bei mir das Verständnis fehlt ist, wenn Menschen sich zwar noch waschen können, es aber nicht tun.
Zum Arzt und insbesondere zu einer OP kommt man bitte gewaschen, gepflegt und mit Deo! Wer weiß, wann man nach der OP sich wieder duschen kann?!?
Was das Übergewicht an sich angeht habe ich gelernt, dass eigentlich jedes Übergewicht seine Geschichte hat. Trennungen, Ängste, Frust. Es gibt mehr Gründe übergewichtig zu werden als Striche auf einer Standardwaage.
Ich ärgere mich nicht darüber sondern versuche meinen Teil in der Behandlung des Patienten gut zu machen.
Schwierig wird es auf der Intensivstation. Übergewichtige – und wir reden hier von sehr stark übergewichtigen Patienten mit einem BMI > 35 – vermitteln gewollt oder ungewollt vielen den Eindruck, dass ihnen ihre Gesundheit nicht viel wert ist. Das ist mir so zumindest schon ein paar Mal begegnet.
Wir reden hier von krankhaftem Übergewicht, nicht von ein bißchen Bauch, Beine, Po. Oft kommt eine sehr starke Erwartungshaltung seitens der Patienten dazu in der dann gefordert wird, dass wir jetzt bitte wieder in ein paar Tagen alles schön machen sollen, was der Patient in Jahren oder Jahrzehnten an Vorsorge um den eigenen Körper versäumt hat.
Da fehlt dann auch mir manchmal etwas das Verständnis.
Ich hoffe, dass ich nicht irgendwann dahin komme wie es mal jemand zu mir gesagt hat „Weißt Du Narkosedoc, es ist doch so. Hier im Krankenhaus gibt es drei Arten von Patienten. Gesetzlich Versicherte, privat Versicherte und Dicke“.
Das fand ich sehr hart und man urteilt damit über Menschen und wer über irgendetwas urteilt hat eigentlich immer Unrecht.
Es ist eine Herausforderung jedes Mal aufs Neue im verwahrlosten Obdachlosen, im vollgekotzten Flatrate-Teenager, im blutbesudelten Fixer mit der arteriellen Nadelverletzung, der privat versicherten arroganten Frau-von-Professor-Dr-Korifäe und auch im übergewichtigen Frustesser den Menschen hinter der Fassade zu sehen.
Ja, so kann man das zusammenfassen. Es bleibt eine Herausforderung.

Wünsch Dir was.

Weihnachtskugeldurcheinander
Hier sitzt heute nicht der Weihnachtsmann, sondern der Sandmann Sandmanns fleißigster Mitarbeiter und ihr dürft Euch trotzdem was wünschen.
Mich würde interessieren: was wolltet ihr immer schon mal von einem Notarzt / Intensivmediziner / Narkosearzt wissen?
Fragt mich zu Blaulichtfahrten, Notfallsanitätergesetz, Beatmung, Arbeitsbelastung oder Verdienstmöglichkeiten. Keine Frage ist zu doof, ihr dürft jede Frage stellen, ich muss ja zum Glück nicht jede Frage beantworten 😉
Die interessantesten Fragen werde ich in den nächsten Tagen und Wochen beantworten.
Ich freue mich auf Eure Fragen! Hohoho,

der Narkosearzt