Die Rechnung bitte!

Wenn eine einzige Querdenkerdemo für tausende Neuinfektionen verantwortlich ist, dann ist das ein sehr hoher Preis den die vernünftige Allgemeinheit für die Versammlungsfreiheit egoistischer Schwurbler zahlen muss. 
Warum nehmen wir Rücksicht auf die Rücksichtslosen?
CN Rant Auch harmlose Verläufe ohne Beatmung kosten im Schnitt etwa 7000€. Schwere Verläufe kosten schnell mal zwischen 30.000 bis 100.000 € (na, @fdp? Kosten!). 
Und hier reden wir nur über die Akutphase, von #LongCovid, Verlust der Arbeitskraft und den Kosten ganz zu schweigen. Warum dulden wir das? 
Diese Verwirrten sind davon überzeugt in einer Diktatur zu leben, die ihre Freiheitsrechte einschränkt und wir glauben sie zurück zu gewinnen in dem wir ihre Superspreaderevents weiter genehmigen? Wisst ihr warum mich das aufregt? 
WEIL ICH DIE SCH***E AUSBADEN MUSS. NICHT DIE SPINNER DIE DA RUMLAUFEN!
Hier brennt der Baum, seit einem Jahr trage ich FFP2. JEDEN F**KING TAG! 10-12h sind mittlerweile völlig normal, manchmal auch 16 Stunden und länger. Diese bekackten Intensivtransporte mit COVID. Stundenlag sitzt man in diesen Plastikanzügen die dicht sind wie ein Ganzkörper-Regenparka. Mir läuft die Suppe am Rücken runter und mir dröhnt der Kopf weil es laut ist, wir uns anschreien müssen und die Patienten extrem krank sind. Die COVID-Patienten in der Klinik zermürben. Wochenlang grottenschlecht, alles ist bei COVID-Patienten extrem. Kreislauf, Beatmung, Analgosedierung, Lagerung es ist einfach alles extrem. Kleinste Fortschritte – gefolgt von Rückfallen.
Aber wir können auch extreme Intensivmedizin. Wir versuchen uns selbst zu motivieren, sonst macht es ja keiner. Mit mehr Geld oder mehr Personal rechnet niemand mehr, da kommt nur lauwarme Luft, sonst nichts. Ausbaden müssen es die Patienten. Dann dauert es eben länger bis sie abgesaugt werden. Und wenn mal einer so mutig ist und die Wahrheit ausspricht (@UK_Muenster) wird er mundtot gemacht und die PR-Abteilung übernimmt. Alles easy! Alles safe! Alle Patienten tip top versorgt. Am Arsch hängt der Hammer! Ihr wisst selber, dass das nicht stimmt. Warum decken wir das? Zeigt den Leuten da draußen mal was die jahrzehntelange Sparerei aus einstiger Spitzenmedizin gemacht hat! 
Ja, wir können immer noch ECMO, wir transplantieren sogar Herzen, aber das sind doch nur die schicken Aushängeschilder, die den schönen Schein bewahren sollen. Das Dienstpläne quasi von Woche zu Woche, teilweise nur tagesaktuell gemacht werden. Im Vergleich zu 1980 machen wir mit der Hälfte der Pflegekräfte die doppelte Fallzahl und das obwohl die Patienten immer älter und kränker und pflegebedürftiger werden. Manche von uns arbeiten je nach Dienstplan 70 oder 80 Stunden pro Woche. Das sind fast zwei Vollzeitstellen in anderen Branchen, aber wir machen es möglich, weil sonst die Dienste nicht besetzt sind. 
Es herrscht ein enormer Druck seitens der Kollegen und Vorgesetzten. Niemand meldet sich mal eben krank. Und wenn man krank ist wird per Whatsapp oder telefonisch täglich nachgefragt. Bist Du wieder fit? Kannst Du den Dienst machen? 
Und wenn ich dann nein sage, weil ich nicht das vierte Wochenende in Folge arbeiten möchte, na dann ist was los. „Als Entschuldigung gilt die eigene Beerdigung“ sagte mal jemand. Jaha, super lustig, was haben wir gelacht. Diese Kultur hat sich überall etabliert und das macht die Leute fertig. Guckt Euch mal das Durchschnittsalter auf Intensivstationen an. Das hat keine Zukunft. Ich hätte auch Bock auf Mallorca. Ich würde mich dulli eine Woche an den Strand legen. Einfach mal nichts tun, niemanden hören müssen. 
Aber es ist eben fucking egoistisch sich in einen Kack Flieger zu setzen und mit 300 Leuten so zu tun, als ob es Corona nicht gäbe! Dieses unstrukturierte, konzeptlose Hin und Her an allen Fronten macht mich mürbe. 
Ich habe so keinen Bock mehr auf diese Politik! 
Zivilisierte Länder wie NZ und AUS haben gezeigt wie man mit einer konsequenten Strategie hin zu #ZeroCovid hätte kommen können. Aber hier muss jeder Landespapst sein eigenes Wahlkampf-Süppchen kochen. 
Coronademos hätte ich als erstes gestrichten, dann die Büros und so weiter. Konsequent statt nur Gelaber und Plexiglas überall. @ArminLaschet und Co. strengen sich an, ja, aber ich glaube die kommen einfach intellektuell nicht mehr mit. Ich kann dem das nicht mal übel nehmen, der ist Jurist. Mit einer Rechtsanwaltsgehilfin (Gebauer) und einem Maschinenschlosser (Laumann) wird dann ein Kabinett daraus. Die sind intellektuell überfordert. 
Epdiemiologie, die Wissenschaft von der Entstehung, Verbreitung, Bekämpfung und den sozialen Folgen von Epidemien – das übersteigt bei weitem alles was dieses Kabinett kognitiv zu leisten imstande ist. Weil sie es aus der Politik gewohnt sind hören sie sich verschiedene Meinungen an. Und da zählt eine Meinung von @BrinkmannLab eben genauso viel oder wenig wie die Meinung des Sportredakteurs der eben meint, Samstag Bundesliga ist für die Auflage wichtig. Ich werde auch in der dritten Welle dabei sein. Ich werde mein Team motivieren, wir werden unser Bestes geben, aber es wird anders als im März/April.
Alles was jetzt kommt ist mit Ansage, es gab Warnungen, Hochrechnungen, ihr (@ArminLaschet@jensspahn) habt sie ignoriert. Alle Zahlen die wir gerade sehen wurden exakt so von großartigen KollegInnen wie @BrinkmannLab und @Karl_Lauterbach und @risklayer vorhergesagt. 
15 Minuten Excel reichen um das zu verstehen, ihr wolltet (!) es nicht hören. Danke fürs durchlesen. 
Danke fürs zuhören. 
Danke auch an alle, die uns immer wieder motivieren, obwohl sie selbst genervt sind. 
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Mehrheit sind. Das macht Mut! Trotzdem brauchen wir Veränderung. 
Wir brauchen wirklich gute Leute in der Politik. Nicht nur Leute, die als Schülersprecher irgendwie im Stadtrat gelandet sind und sich vor allem selbst gut finden und zum eigenen Vorteil und für ihre Freunde Deals aushandeln. Wir brauchen einen mutigen Plan für die Zukunft und gute Leute wie @janoschdahmen die das auch umsetzen können und sich nicht im Filz verfangen. 
Digitalisierung, Gesundheit, Bildung, Klima. Dafür brauchen wir einen Plan.
Aber jetzt muss ich schlafen. 
Die neue Woche wird anstregend. 

Studie: springermedizin.de/covid-19/infek…

Quelle: tagesschau.de/inland/coronav…

ftp.zew.de/pub/zew-docs/d…

Stabile Seitenlage und Helm ab – oder etwa doch nicht?

Ersthelferkurse.
Man findet sie meist an einem Samstag durch einen dieser Kundenstopper vor einer dieser Apotheken, 2. Etage rauf, 3. Tür links, nehmen Sie Platz, bitte, danke.
Und dann geht es los. Wie war der richtige Druckpunkt für die Reanimation nochmal? Zwischen den Brustwarzen, dann vier Finger rauf oder doch drei runter? Meine Finger oder die vom Patienten? Ach so einfach in der Mitte? Bei Kindern auch? Und wenn das weh tut? Und wenn ich eine Rippe breche?
Und in dem ganzen Wirrwarr kommt dann die Erlösung – die stabile Seitenlage. Die ultimative Entschuldigung für alle die nicht mehr wissen was sie genau machen sollen – ab mit dem Patienten in die stabile Seitenlage.
Wenn ich jemanden finde der gerade stirbt, lege ich ihn einfach in die stabilie Seitenlage. Das sieht super aus und klingt auch noch gut.
Stabil, da denkt man an ein stahlverzinktes Schwerlastregal. 112, Seitenlage, fertig.
Im Fernsehen sieht man das ständig, dann muss es ja richtig sein.
Wenn es da nicht ein großes Problem gäbe… bewusstlose Menschen haben so gut wie immer ein erhebliches Kreislaufproblem – um nicht zu sagen, die meisten sind tot und eben nicht bewusstlos.
Die stabile Seitenlage wurde für Menschen gedacht die mit stabilen Kreislaufverhältnissen und eigener Atmung eigentlich so aussehen als wenn sie schlafen, nur dass ihnen die sgn. Schutzreflexe fehlen. Der Schutzreflex setzt ein, wenn wir einen Schluck Wasser in die Luftröhre bekommen. Wir können gar nicht anders als diesen hoch zu husten.
Wenn also ein Bewusstloser der diese Schutzreflexe nicht mehr hat auf dem Rücken liegen bleibt und erbricht, dann macht es kurz schwapp! und die ganze Soße läuft in die Luftröhre, in die Lunge und der Bewusstlose erstickt daran. Die Idee ist, dass man den Bewusstlosen auf die Seite dreht, so dass noch zu Erbrechendes den Weg nach draußen findet.
Eine eher theoretische Konstellation, denn die meisten Bewusstlosen die man so da draußen finden wird, sind nämlich deswegen bewusstlos, weil sie keinen Kreislauf mehr haben. Die sind  reanimationspflichtig, müssen also wiederbelebt werden.
Nicht zu drücken (also eine Herzdruckmassage auf dem Brustkorb anzufangen) und nur die 112 zu wählen in Kombination mit der stabilen Seitenlage ist schlicht und ergreifend sinnlos.
Die stabile Seitenlage ist ebenso wie das völlig überschätzte Dreiecktuch (sic!) über Jahrzehnte in die übermüdeten Gehirne gelangweilter Teilnehmer von Ersthelferkursen eingetrichtert worden.
Das Problem – was ursprünglich mal als Hilfe gedacht war, führt dazu, dass gut gemeinte Maßnahmen (oder auch die bewusste Unterlassung von Maßnahmen) dazu führt, dass tote Menschen nicht als solche erkannt werden und keine Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden.
Keine Atmung oder eine komische Atmung? Dann 112 wählen und mit der Herzdruckmassage starten. Keine Ausreden.
Es ist so einfach und es ist so hilfreich.

Am Ende gehen doch die meisten aus dem Kurs und sind völlig verwirrt wegen der ganzen Details und Ausnahmen.
Lieber nichts machen, bevor ich irgendwas falsch mache.
Genau das kommt raus, wenn man erste Hilfe so kompliziert macht und da müssen wir anpacken. Ich finde wir sollten die stabile Seitenlage gar nicht mehr unterrichten, sie ist in sehr seltenen Fällen wirklich nützlich und am Ende verwirrt sie die Teilnehmer nur.
Lieber nichts machen, bevor ich irgendwas falsch mache.

Würden wir uns bei einem brennenden Weihnachtsbaum auch so verhalten?
Kein C-Rohr im Haus? Kein Schaumwerfer griffbereit? Dann rufen wir lieber die 112 an und warten auf die Profis?
Nein, natürlich würden wir losrennen und einen Eimer Wasser drüber kippen, wir würden im Erstangriff vielleicht die Blumen aus der Vase reißen und das olle Blumenwasser drüberschütten. Wir würden versuchen lieber irgendwas zu machen, bevor wir nichts tun.

Und wie war das jetzt nochmal mit dem Helm?
Da war doch was, wie war das nochmal.
Wenn die Halswirbelsäule gebrochen ist, aber das Rückenmark vielleicht noch nicht beschädigt ist und der Motorradfahrer wach ist, dann ist es nochmal anders als wenn der bewusstlos ist und am Ende denkt man sich dann – boah, komm, lass drauf. Fertig.

Wenn man den Versuch macht im Internet nachzugucken ob man den Helm beim verunfallten Motorradfahrer abnimmt, bekommt man erstmal nicht die Antwort auf das ob sondern darauf wie man den Helm abnimmt.
Das wird dann schnell kompliziert und überhaupt könnte da ja was gebrochen sein und dann, ja dann (hier mahnend fuchtelnden Zeigefinger einfügen!) wenn man den Helm jetzt falsch abnähme, dann macht man dem das Genick kaputt. Rollstuhl olé, dank falscher Ersthelfermaßnahme. Das ist großer, ausgemachter Blödsinn!
Und jetzt nochmal für alle zum mitsingen: der Helm muss ab!
Immer? Ja, immer.
Der Hintergrund ist ganz einfach – grundsätzlich wird ein Motorradfahrer immer seinen Helm selbst abnehmen. Wenn er es denn noch kann.
Wenn nicht – dann muss es diesem Motorradfahrer schon ziemlich schlecht gehen. Damit hat sich ganz selbständig die Patientengruppe herausgefiltert die am allermeisten von der Helmabnahme durch den Ersthelfer profitiert – die mit eingeschränktem Bewusstsein oder nicht ausreichender Atmung.
Der Helm muss ab – so einfach ist das.
Nur wenn der Helm ab ist, lässt sich beurteilen ob der Verunfallte noch atmet, ob vielleicht sogar Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden müssen.

Ich hoffe nicht, dass in Erste-Hilfe-Kursen noch das Märchen von der Querschnittslähmung durch eine unachtsame Helmabnahme erzählt wird. Das ist grober Unfug und gefährdet Menschenleben!
Ein Unfall der ausreicht den Knochen zu zerstören hat so viel Energie, dass das geleeartige Myelon des Rückenmarks so gut wie immer direkt beim Aufprall mit zerstört wird.
Bereits vor mehreren Jahren wurde die Diskussion dazu angestoßen, die Entwicklung geht eher in Richtung eines zukünftig zurückhaltenden, sorgsam reflektierten Umgangs mit der komplexen, zeitaufwändigen und immer auch mit (teils erheblichen) Nebenwirkungen behafteten Immobilisation der Wirbelsäule.
So ein Knochen an sich, ist sehr stabil. Es braucht einiges an kinetischer Energie um einen Knochen zu zerstören. Wenn jetzt innerhalb des Knochens eine geleeartige Masse drin ist, kann man sich vorstellen, dass diese ziemlich sicher beim Unfall direkt mit zerstört wird.
Die Vorstellung, dass der Knochen zerstört wird und das Myelon unangetastet intakt bleibt, ist eher theoretischer Natur.
Es reicht übrigens eine kurzzeitige Quetschung, eine komplette Durchtrennung ist gar nicht nötig für einen Querschnitt. Wir haben schon Patienten behandelt bei denen selbst im MRT kein Schaden mehr gesehen wurde aber klinisch ein eindeutiger Querschnitt bestand welcher sich auch nicht mehr zurück bildete.

Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, dass eine Kollegin von mir eine junge Motorradfahrerin versorgt hat, bei der sie als ersteintreffendes Rettungsmittel eintraf. Es waren mehrere Leute vor Ort, aber niemand hat den Helm bei der bewusstlosen Fahrerin abgezogen. Sie lag dort völlig unangetastet und im Helm war bereits unter dem Visier nur Erbrochenes zu erkennen.
Bei Ankunft war die Patientin tot, eine spätere Untersuchung ergab, dass keine größeren Verletzungsfolgen vorhanden waren, am ehesten aber von einer Aspiration (also einem Verschlucken von Nahrungsbestandteilen) in Folge der eingetreteten Bewusstlosigkeit ausgegangen werden musste.
Diese junge Frau ist möglicherweise daran gestorben, dass keiner der Umstehenden sich getraut hat den Helm abzunehmen und ihr einen freien Atemweg zu verschaffen.

Es ist keine Schande von erster Hilfe überfordert zu sein. Fragt mal in der Familie oder bei Freunden und auf der Arbeit nach ob sie wissen was bei einem nicht oder komisch atmenden Menschen zu tun ist und was jetzt mit dem Helm zu tun ist.
Und wenn da Unsicherheiten sind – geht zum Auffrischungskurs. Für Euch, für Eure Mitmenschen. Das kann Leben retten, ganz konkret.

Patientenverfügung für junge Leute, Studenten, Schüler und Jugendliche

Wenn Du das hier über google gefunden hast, verweise ich explizit auf den Artikel „End-of-life-decisions„. Dort erfährst Du warum Du neben einer #Patientenverfügung auch eine #Vorsorgevollmacht ausfüllen solltest und falls Du Kinder hast vielleicht sogar eine #Sorgerechtsverfügung und ein #Testament machen solltest.

Die Überschrift ist etwas plakativ. Junge Leute, Studenten, Schüler, Teenager – in das Leben eines jungen Menschen passt eine Patientenverfügung ungefähr genauso gut wie sich Blasenkatheter auf Thrombosestrümpfe reimt.
Aus Gesprächen mit Kollegen und unseren jüngeren Mitarbeitern weiß ich, dass es einen großen Bedarf gibt, diese Selbständigkeit auch für den Fall zu regeln, dass man plötzlich nicht mehr voll im Leben sondern eher am Rand des Lebens steht.

Als gesunder und junger Mensch wollen wir ja erstmal noch möglichst viel vom Leben haben. Ein Kampf für das Leben ist die Maxime und genau so wird es ja auch in allen Kliniken umgesetzt. Der Kampf ums Leben ist aber auch mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden – und das ist der Euphemismus des Tages.
Intensivmedizin bedeutet Katheterwechsel, Thoraxdrainagenanlage, brutale Schmerzen, künstliche Ernährungssonden, deren Anlage und Wechsel, völlige Kraftlosigkeit, Ermüdung und fehlende Orientierung durch einen zerstörten Tag-Nacht-Rhythmus.
Ist die eigentliche Krankheit überstanden so muss vieles neu erlebt werden, Kraft aufgebaut werden. Jeder einzelne Muskel des Körpers verweigert die Arbeit, muss wieder neu trainiert werden. Schlucktraining, wache Bronchoskopie zur Sekretmobilisation und wieder diese Schmerzen wie man sie vorher noch nie gekannt hat weil man der Meinung war, dass ein Bolus von 10µg Sufenta doch reichen müsste.
Luftnot, Angst aber auch Horrorträume die fern unserer Vorstellungskraft sind. Nicht alles trifft auf alle Patienten zu, aber manche Patienten zahlen einen hohen Preis für einen Kampf gegen den Tod.

Moderne schmerztherapeutische Intensivkonzepte wie z.B. an der Uni Freiburg wollen da ansetzen und mit neuen Therapiekonzepten den Aufenthalt erträglicher machen, ein Spaziergang wird echte Intensivmedizin aber trotz alledem nie werden.

Lehne ich also jede Form von Intensivmedizin (Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung u.a.) kategorisch ab und akzeptiere unter Umständen einen raschen Tod?
Oder möchte ich alle Möglichkeiten der Intensivmedizin für den Kampf ums Leben nutzen und nehme die Bürde aller Unannehmlichkeiten auf mich um vielleicht noch ein paar Jahre zu gewinnen?

Aus meiner Sicht macht ein Kompromiss Sinn.
Am Anfang steht ein Ereignis, dass zur Aufnahme auf die Intensivstation führt. Ein schwerer Verkehrsunfall, Notarzt, Rettungsdienst, Schockraum, OP, Intensivstation. Kein Mensch kann in die Zukunft schauen, keiner weiß ob es am Ende „gut“ ausgeht. Ob sich der Kampf am Ende lohnen wird.
Aber deshalb direkt die Flinte ins Korn werfen?

Ich finde in diesem Fall einen Kompromiss sehr sinnvoll.
Ich möchte im Fall des Falles die Möglichkeiten der Intensivtherapie nutzen, ich möchte kämpfen. Ich bin bereit auch durch ein tiefes Tal zu gehen, aber nicht zu jedem Preis.
Was das heißt, darf ja zum Glück jeder selbst für sich entscheiden.

Weil ich eine Hilfestellung geben möchte und es mehrfach angefragt wurde, deshalb hier meine eigene #Patientenverfügung.

Noch ein paar Kleinigkeiten vorweg:

  • Skandal hin oder her – ich bin ein großer Unterstützer der Organtransplantation, daran ändern auch schwarze Schafe nichts. Das System an sich ist eine großartige Hilfe für Betroffene und sofern das für mich in Frage kommt unterstütze ich auch eine Organspende, der Passus unter Anhang 2 ist ggf. zu streichen.
  • An den Stellen die mit XXX gekennzeichnet sind, können eigene Daten eingetragen werden.
  • Eine Bestätigung/Beratung durch den Hausarzt kann man machen, notwendig ist das nicht!
  • Eine notarielle Beglaubigung mit so einem Wachssiegel sieht schick aus, das war es aber auch schon.
    Die einfache, persönliche Unterschrift genügt vollkommen.
  • ich habe eine dynamische Patientenverfügung, deren Inhalt sich nach Ablauf von 60 Tagen ändert. Warum mache ich das? Nun, weil ich zunächst mal möchte, dass alles gemacht wird um mich zu retten. Kinder, Familie, ein Haus das abbezahlt werden muss, ein eigenes Unternehmen… es gibt 1000 Gründe warum es sich lohnt zu kämpfen. Aber, man muss auch einsehen wenn der Gegner gewonnen hat. Als Wachkomapatient nur noch dahin zu vegetieren, Ballast für meine Familie zu sein, nur noch Kosten und Arbeit verursachen ohne echte Teilnahme am echten Leben? Das wäre nicht mein Ding, daher möchte ich dann lieber von dieser Welt gehen. Das Datum des ersten Aufnahmetags im erstversorgenden Krankenhaus entspricht in der Regel dem Beginn der Krankheit oder dem Unfallzeitpunkt. Um dies eindeutig zu definieren habe ich diese Formulierung gewählt.
    Würde man „ab der Krankenhausaufnahme“ sagen, könnten spitzfindige Wortverdreher daraus ja ableiten, dass ich zwar 6 Wochen in der Uniklinik und 4 Wochen im Grundversorgerkrankenhaus aber erst seit einer Woche in der Reha bin und das wären dann ja erst 7 Tage…
  • für juristische und/oder medizinrechtliche Beratungen und Verbesserungsvorschläge zur Formulierung stehe ich gerne zur Verfügung!


PATIENTENVERFÜGUNG

Ich Narkosedoc, geboren am XXX wohnhaft in XXX bestimme hiermit das folgende.  

Im Falle einer plötzlichen Erkrankung die es mir unmöglich macht einen eigenen Willen zu äußern oder diesen verständlich zu äußern, bestimme ich, dass für einen Zeitraum von 60 Tagen ab dem ersten Aufnahmetag im erstversorgenden Krankenhaus alles menschenmögliche getan wird um mein Leben zu retten und eine rasche Rehabilitation und Rückkehr in ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu fördern.
Für den Zeitraum von 60 Tagen ab dem Datum des ersten Aufnahmetages im erstversorgenden Krankenhaus stimme ich sämtlichen intensivmedizinischen Maßnahmen zu, dies beinhaltet und unter anderem auch:
– Reanimation (mechanisch und medikamentös)
– organersetzende Verfahren (Dialyse, ECMO u.a.)
– Beatmung (invasiv, nichtinvasiv und auch eine dillatative oder chirurgische Tracheotomie)
– antiinfektive Therapie
– künstliche Ernährung über eine Magensonde
– weitere intensivmedizinische Maßnahmen soweit nach Maßgabe der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sinnvoll und notwendig
Mit all diesen Maßnahmen bin ich für den genannten Zeitraum explizit einverstanden.

Ausnahmen:
Der Anlage einer PEG wiederspreche ich ausdrücklich und zwar auch für den Fall, dass eine langfristige Ernährung aufgrund erlittener Schäden durch Schlucktraining/Logopädie nicht ausreichend möglich sein sollte.

Kritische Reevaluation zur Fortsetzung medizinischer Maßnahmen nach dem Ablauf von 60 Tagen:

Sollte 60 Tage nach der ersten Krankenhausaufnahme im erstversorgenden Krankenhaus eine der folgenden Bedingungen zutreffen, so fordere ich eine umgehende Beendigung aller medizinischen Maßnahmen, auch unter Inkaufnahme des Todes. Hierzu gehören:

  • fehlende Fähigkeit mir persönlich nahe stehende Personen wie XXX zu erkennen
  • fortgesetzte Pflegebedürftigkeit entsprechend Notwendigkeit zur Dekubitusprophylaxe durch regelmäßige Lagerungsmaßnahmen
  • schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit entsprechend Pflegegrad III (drei) oder höher

Etwaige Deutungsungenauigkeiten sind im Zweifelsfall als „Bedingung zutreffend“ einzustufen.
Neurologische Spitzfindigkeiten sind zu ignorieren.
Die letzte Deutungshoheit über die Erfüllung oder Nichterfüllung einer Bedingung liegt bei XXX (hier Ehepartner/Lebenspartner o.ä. einfügen).

Sollte eine oder mehrere der genannten Punkte erfüllt sein so ist die Therapie unverzüglich einzustellen.
Dies beinhaltet:

  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer antiinfektiven Therapie
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer parenteralen Ernährung oder Ernährung über eine Magensonde
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer Beatmung (beinhaltet auch ggf. eine finale Extubation, finale Dekanülierung und/oder Beendigung der invasiven oder nicht-invasiven Beatmung)
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer Katecholamintherapie
  • Ausschluss einer Reintubation
  • Entfernung eines liegenden sowie Ablehnung der Neuanlage eines Venenkatheters außer zur Applikation von Sedativa oder Analgetika

Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe ein schönes Leben gelebt.
Ich wünsche Beistand durch XXX sowie XXX wünsche explizit eine palliative Unterstützung im Sinne einer best supportive care ein. Dies beinhaltet insbesondere die großzügige Gabe von Sedativa (Lorazepam und andere) und Analgetika (Morphin und andere) auch unter Inkaufnahme eines Atemstillstands oder einer möglichen Lebensverkürzung.

Anhang 1: 
Sollte am Anfang der Kausalkette ein unnatürliches Ereignis (zum Beispiel ein Unfall) stehen und ich letztlich an einer natürlichen Erkrankung (zum Beispiel an einer Pneumonie) versterben so ist im Totenschein „unnatürlich“ anzukreuzen und auch die Kriminalpolizei zu informieren. Das fälschliche Ankreuzen einer „natürlichen Todesursache“ ist zumindest eine Ordnungswidrigkeit und kann unter Umständen einen Straftatbestand erfüllen.

Annex 2:
Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Gewebe zur Transplatation in Frage kommt gestatte ich dies explizit und vollumfänglich ohne Einschränkungen. Nur für diesen Fall bin ich auch mit einer Fortsetzung der invasiven Beatmung einverstanden zur Durchführung der Hirntoddiagnostik. Ich erteile der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) eine vollumfängliche Autorisierung zur Berichterstattung z.B. für Film- und/oder Fotoaufnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit soweit dies gewünscht ist.

Ich bin mir des Inhalts und der Konsequenzen meiner oben genannten Entscheidungen sehr bewusst und bestätige hiermit, dass ich diesen Text im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte verfasst habe.

______________________
Ort, Datum, Unterschrift

Feuerwerk 2020 – eine Prognose.

Im Moment wird fleißig diskutiert über das für und wieder der schwarzpulverinduzierten Feinstäuberei.
KONTRA:
Geld
Umwelt Müll
Umwelt Feinstaub
Umwelt Giftstoffe (Strontium, Cäsium, Kobalt…)
Gefahren und nicht Kosten für das Gesundheitssystem

PRO:
Wir wollen aber unseren Spaß.

Der Deutsche hat es nicht so mit Verboten. Seien sie auch noch so sinnvoll.
Ehrlich gesagt wären mir so ein paar Raketen und Böller an Silvester auch herzlich egal, aber es ist ja wie meistens. Die bescheurten 5% verderben den anderen 95% den Spaß.
Ich habe Silvesterfeiern erlebt bei denen Raketen bewusst in Menschenmengen gezielt wurden. Kriegsähnliche Zustände in der Altstadt, Polenböller die zwischen die Beine geschmissen wurden. Haha, wie lustig.

Wer kleine Kinder hat, lernt Silvester zu hassen. In den Tagen davor und danach kann man sich in der Wohnung mit Oropax einschließen, an einen Gang in die Stadt ist nicht zu denken.
Diese 5%-Spinner werden sich auch von einem Verbot nicht abhalten lassen, schon klar.
Anyway – hier meine These:
In irgendeiner Großstadt dieses Landes werden entsprechende Böller für einen Terroranschlag gehalten und eine Massenpanik hervorrufen die dann die Polizei wie in München beim Amoklauf mit einem Großaufgebot so sehr beschäftigen werden und so enorme Kosten verursachen werden, dass man dem ganzen einen Riegel vorschiebt. Nicht direkt von ganz oben, eher so in kleinen Schritten.
Böllerverbot in der Altstadt, nächstes Jahr in der Innenstadt, danach im Stadtgebiet, dann vom 31.12. bis 1.1., dann vom 28.12. bis 2.1. und so weiter.
Ach Moment – das läuft schon? Die BLÖD veröffentlich den großen Böller-Atlas („Wo sie knallen dürfen – und wo nicht“)
Sehr gut.

Übrigens – Julia Klöckner – unsere Ernährungsministerin und Verbraucherschutzministerin die gegen eine Lebensmittelampel zur Kennzeichnung von ungesunden Lebensmitteln ist – die ist auch gegen ein Böllerverbot. Die ist auch der Meinung, dass man Ferkel auch ohne Betäubung kastrieren kann, das ist nämlich keine Tierquälerei. Stalleinbrüche von Tierschützern die Verstöße gegen den Tierschutz aufzeigen wollen will sie dagegen härter bestrafen lassen.
Diese Frau ist auch gegen eine Zucker-Steuer, obwohl wir wissen, dass zwischen Zuckerkonsum und Diabetes-Erkrankungen ein direkter Zusammenhang besteht.
Diese Frau ist auch gegen ein Verbot von Feuerwerk.
Das alleine sollte Warnung genug sein.

Ich gehe jetzt übrigens ins Bett, ich habe morgen 24-Stunden-Dienst.
Ihr Kinderlein kommet – aber nicht das Amputat vergessen!

#metoo

Die Antwort lautet – nein.
Nein, weil ich mich nicht erinnern kann jemals sexuell belästigt worden zu sein. Nein auch weil ich mich nicht erinnern kann jemals eine Frau sexuell belästigt zu haben oder sexistische Dinge gesagt zu haben.
Thematisch wäre der Blogeintrag damit an dieser Stelle eigentlich auch schon wieder beendet. Warum muss sich überhaupt ein Anästhesist zu dieser Sexismusdebatte äußern?
Erstens ist es fast das „Wort des Jahres“ geworden und es ist die wahrscheinlich größte Bewegung 2017 gewesen. Zweitens ist es eins der vielen Themen über die wir während unspannender Operationen gesprochen haben. Drittens ist es Teil meiner Vorsätze für das neue Jahr und viertens schreibe ich darüber weil es ganz einfach wichtig ist und weil zu meinem Nein auch ein Ja gehört.
Ja, auch ich habe zum Teil sehr fiese Erfahrungen im beruflichen Alltag mit (Alltags-)Sexismus gemacht. Ich sage es mal ganz ehrlich – ich schäme mich für so manchen der sich mit mir in der Herrenumkleide umzieht.
Es ist eine Schande wie schamlos manche Männer über Frauen im allgemeinen, Kolleginnen und (Ex-)Partnerinnen herziehen, wenn sie das Gefühl haben man sei „unter sich“.
Gerade in der Chirurgie wird Sexismus sehr offen praktiziert, gerne auch von Angesicht zu Angesicht, in aller Öffentlichkeit, vor Zeugen, auf Station und im OP. Gefühlt – und in meiner kleinen persönlichen Welt – ist es in der Orthopädie und Urologie am derbsten, bei den Allgemeinchirurgen ist es tagesformabhängig, bei den Gynäkologen selten und bei unseren  Kinderchirurgen zum Beispiel habe ich Sexismus noch nie erlebt. Besonders krass wird es meistens wenn zwei Männer operieren und ein Mann pflegerisch assistiert, da werden sprachlich die Hosen gerne mal komplett heruntergelassen.
Wenn dann doch mal jemand kommt und ein solches Verhalten rügt wird erstaunlich oft von den weiblichen und auch meist etwas älteren OP-Pflegekräften der eine oder andere Spruch  bagatellisiert. Man spricht dann von Altherren-Garde. Der sei halt so, der war schon immer so.
Das macht es nicht besser.
Und diese Männer sind weder Herren noch Mitglieder eines Ehrenwachdienst („Garde“) sondern wenn überhaupt allerhöchstens alt.

Viele meiner Gedanken dazu und warum ich nicht länger bereit bin dies zu akzeptieren stehen hier. Den Ausführungen dazu und den empfohlenen Links und Podcasts kann ich mich gut anschließen.

Eine Kollegin von mir ist als Chirurgin taktisch in ihren Entscheidungen brilliant. Sie ist technisch geschickt, hat eine sehr ruhige Hand und Schnittführung. Sie ist intelligent und wortgewandt, dabei eher leise und angenehm zurückhaltend. Sie hat viel Hintergrundwissen vor allem zur Intensivmedizin und geht damit nicht hausieren sondern stellt dieses Wissen in den Dienst ihrer Patienten. Und – sie sieht gut aus. Und eben diese Kollegin hat vor drei Monaten unser Haus verlassen und was sagt mein Kollege als Sie sich verabschiedet? Unter uns und im Spind?
Ich vermisse den Anblick ihres Dekolletés… (im Original etwas vulgärer, aber das kann sich jeder selbst denken).
Mich ekelt das an. Mir tut das leid für diese Kollegin, ich schätze sie und ihre Arbeit und tatsächlich vermisse ich ihre Unterstützung. Es war eine Wohltat mit ihr zu arbeiten, sie hat verletzte Kinder empathisch und konsequent behandelt und hat deliranten Omas in die Spur geholfen. Diese Ärztin war nah dran an perfekt und alles was ihm dazu einfällt ist so ein bräsiger Spruch.
Fragt mal Eure Schwester oder eine Frau Eures Vertrauens ob und wie oft sie schon mit Blicken ausgezogen wurde. Ich kenne Frauen die sich nach einer unsittlichen Berührung eines ekeligen Mannes zwei Stunden lang geduscht haben um das Gefühl wieder los zu werden. Eines Mannes in einer hochrangigen Position, in diesem Fall der Oberarzt eines Instituts der Uniklinik.
Er war der Meinung er dürfe das in seiner Position, was soll schon so eine kleine Studentin ausrichten können.
Zu viele alte Säcke Männer fühlen sich in ihrer Position sicher genug um hinter vorgehaltener Hand oder auch ganz offen Sexismus zu leben. Sie verletzen, demütigen und erniedrigen, sie versuchen den Selbstwert anderer Menschen, ihre Würde und den Stolz in beschämender Art und Weise anzugreifen.
Ich wünsche allen Chirurginnen, Schwestern, Pflegerinnen, Notärztinnen, Internistinnen, Raumpflegerinnen, Bürokräften und Mitarbeiterinnen im Krankenhaus und anderswo – seid stark. Benennt Zeugen, sprecht diese konkret an, schreibt ein Gedächtnisprotokoll.
Wie das genau geht und was man dann als nächstes machen kann steht hier.

Und was können wir Männer tun?
Den Mund aufmachen, Männer ansprechen. Falls man selber Sexismus erlebt ist es auch durchaus legitim sich proaktiv als Zeuge anzubieten.
Eine Kollegin von mir wurde im Rahmen der Visite sehr unsittlich berührt, einen blöden Spruch gab es gratis dazu. Ich habe mich als Zeuge angeboten, letztlich hatte Sie nicht den Mut das anzuzeigen.

In Beverly Hills hatte eine Krankenschwester den Mut einen Vorfall anzuzeigen in dem sie von einem Chirurgen attackiert wird. Ich will jetzt nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, es geht hier nicht um sexuelle Belästigung sondern um die Ausübung von Gewalt eines vermeintlich Starken gegenüber Schwächeren. So gesehen gibt es Parallelen, denn auch Sexismus setzt immer ein hierarchisches Gefälle voraus oder wird sogar eingesetzt um ein solches zu manifestieren.
Der Fall ist deswegen so brisant weil es eine Videoaufzeichnung des Vorfalls gibt. Erschreckend ist, wie gleichgültig die Mitarbeiter vorbeigehen, die den Vorfall mitbekommen haben müssen.
Konsequenz des Vorfalls in dem die Krankenschwester (austauschbar) von dem Starchirurgen der Augenklinik (ein sgn. „celebrity physician“ der im wesentlichen für die Erlöse des Krankenhauses verantwortlich ist) attackiert wurde – die Krankenschwester ist letztlich gegangen (worden).
In diesem Fall reden wir von einem Vorgang der – zumindest in Teilen – auf Video aufgezeichnet ist. Und natürlich ist es kompliziert und vielleicht war es alles ganz anders aber hey – ich glaube wir alle wissen wie es gelaufen ist. Und wenn auch nicht in diesem einen konkreten Fall, dann aber doch in ganz vielen Fällen die jeder von uns so oder ähnlich schon erlebt hat.

Meistens gibt es ja nur Aussage gegen Aussage und das ist schon kompliziert genug. Es gibt natürlich auch Fälle wie den von Horst Arnold der wegen einer Vergewaltigung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde die er nachweislich nie begangen hat.
Darum geht es mir hier aber nicht. Es geht mir um Sexismus im Alltag, um die sogenannten Kavaliersdelikte. Um Altherrenwitze auf Kosten meist junger Mitarbeiterinnen.
Um billige Anmachsprüche die hinten herum noch ganz entrüstet als war doch nur ein Kompliment getarnt werden.

Also Männer – macht den Mund auf. Im OP, im Rettungsdienst, bei der Feuerwehr, auf Station im Krankenhaus, in der Personalabteilung, im Eiscafé, bei der Müllabfuhr und im Drogeriemarkt. Es liegt an Euch zu zeigen, dass nicht alle Männer so sind.

Disclaimer light:
Das Thema ist kompliziert und bietet Potenzial zur Hysterie, das ist mir wohl bewusst. Eine gute und unaufgeregte Annäherung bietet wie ich finde die ARD mit diesem Themenkomplex unter
http://www.ardmediathek.de/tv/Sexismus-im-Alltag/Thema?documentId=47428042
Es ist wie immer meine persönliche Meinung und repräsentiert nicht mein Krankenhaus oder meinen Berufsstand.

Mein Beileid.

http://www.rp-online.de/nrw/staedte/viersen/lkw-unfall-auf-a61-bei-viersen-abschied-von-getoeteter-polizistin-aid-1.7291467

Ich möchte den Kollegen und Kolleginnen sowie vor allem den Hinterbliebenen der getöteten Polizistin mein Beileid aussprechen.
Denen die noch mit ihren Verletzungen kämpfen wünsche ich baldige Genesung und die besten Ärzte und Pflegekräfte.
Den Kollegen und Kolleginnen die Angst und Sorge um ihre Freunde, Partner und Mitarbeiter haben wünsche ich viel Kraft und guten Mut und dass die Menschen um sie herum sie stützen und stärken können.

Als Notarzt im Rettungsdienst kann ich nur nochmal betonen wie froh und dankbar ich bin, dass es Euch gibt. Ihr kommt zur Hilfe wenn es brennt, ihr rast mit lebensgefährlicher Geschwindigkeit genau da hin wo Menschenleben bedroht werden. Ihr fürchtet keinen Attentäter und stellt Euch schützend vor die Schwächeren. Zu allem Übel müsst ihr Euch für Euren ehrenwerten Dienst entwürdigende Beleidigungen anhören.
Beleidigungen von Menschen die an sich selbst oder am Leben gescheitert sind. Menschen die ihr auch beschützt, auch wenn ihr sie nicht mögt.
Ich habe Polizisten bei deeskalierenden Maßnahmen erlebt was mich tief beeindruckt hat. An einem Moment an dem ich schon längst ausgerastet wäre, bleibt ihr ruhig und sachlich, versucht die Situation zu entspannen.
Ihr seid an Heiligabend und Silvester und an Omas Geburtstag im Dienst und verpasst im besten Fall nur Omas legendäre Buletten. Eure Partner brauchen Verständnis für einen Beruf der viel von der Familie fordert.
Ihr müsst Dinge sehen die sich in die Seele brennen, die verarbeitet werden müssen und die vielleicht langfristig dazu führen dass ihr krank oder sogar berufsunfähig werdet.
Da finden sich viele Parallelen zum Rettungsdienst, trotzdem halte ich unseren Beruf im Vergleich zu Eurem Beruf für sehr viel ungefährlicher.
Bei uns steht an erster Stelle die Eigensicherung. Vor dem ABCDE kommen die 5-Sekunden-Rundumblick ob die eigene Sicherheit gegeben ist. Falls nicht holen wir Euch.

So wie der Autofahrer der den LKW bemerkte der in Schlangenlinien fuhr. Ihr wolltet schlimmeres verhindern, habt durch Euer Eingreifen vielleicht verhindert, dass der 40-Tonner 15km weiter einen Opel Corsa mit Kleinfamilie zermalmt.
Was dann passierte ist im Einsatz zumindest jederzeit möglich. Ihr seid Euch der Gefahr bewusst und nehmt die Herausforderung trotzdem an. Weil ihr Euch dem Beruf und dem Dienst an der Gesellschaft verpflichtet fühlt.
Deshalb an dieser Stelle und weil ich jedes Mal innerlich erleichtert aufatme wenn ich Euer Auto an einer Einsatzstelle sehe –

Danke.

All I want for Christmas… der Narkosedoc wünscht sich was:

Der Narkosedoc hat einen Wunsch zu Weihnachten.

Ich wünsche mir, dass jeder User im Internet bevor (!) er seinen Senf von sich gibt mal überlegt ob er das guten Gewissens so auch seiner Mutter vorlesen könnte. Oder um Mutti mal außen vor zu lassen – ich würde mich freuen wenn ein jeder mal vor dem Absenden überlegt ob dieser Kommentar die Welt ein Stück besser oder schlechter macht. Dieses ewige Genörgel und Schlechtmachen. Ganz zu schweigen von der einfach stumpf rassistischen und völkisch angehauchten Dummlaberei im Schutz der vermeintlichen Anonymität.

Ja, Kommentare werden gelesen. Nicht selten sogar von den Menschen an die sie gerichtet sind. Und ja, Kommentare können verletzten und krank machen. Ich habe vor ein paar Monaten tagelang über einige Kommentare gegrübelt und war drauf und dran dem einen oder anderen ein wutentbranntes JETZTPASSMALAUFDU**** über die Tastatur entgegen zu schleudern.

Warum ich es nicht gemacht habe? Weil ich den Hass so Leid bin. Den Hass gegen Ausländer, gegen Besserverdiener, gegen den Nachbarn der wieder falsch geparkt hat, den Hass gegen dies und jenes und alles. Ich habe das Gefühl, dass es da draußen eine viel zu große Menge Menschen von ihrem Leben, Job oder wasauchimmer frustriert sind und sich dann erstmal ans Internet setzen um all ihre Unzufriedenheit und den Ärger über die eigene verpfuschte Existenz aus sich heraus zu lassen. Wenn ich schon im echten Leben nichts zu melden habe, dann wenigstens in diesem Internet. Da kann man sich einen Dr.-Titel geben und dann mal richtig vom Leder ziehen. Blöd nur wenn die ganzen Rechtschreibfehler dann erahnen lassen, dass sowohl der Titel als auch der vorgegebene Beruf („Ich als Notarzt…“) erstunken, erlogen und im echten Leben unerreichbar sind.

So mancher Kommentar hat mich so geärgert, dass ich ihn einfach nicht so stehen lassen konnte! Andererseits – don’t feed the trolls.

Es wäre zu aufwändig einem kleinen unbedeutenden Internettroll klar zu machen warum ich in einer bestimmten Situation so und nicht anders entschieden habe. Die meisten verstehen ja noch nicht mal warum wir bei einem Notfall nicht rennen – wie soll man ihnen dann komplexe, medizinische Sachverhalte erklären?

Und wenn der kleine Troll eine Meinung hat, dann hat er die. Da helfen ja alle Argumente nichts. Totschlagargument bleibt die böse Pharmalobby, die hat uns Ärzte ja sowieso alle gekauft. Is klar.

Natürlich polemisieren manche Gedanken die ich hier schreibe. Ich freue mich auch wenn darüber diskutiert und miteinander (!) geredet wird. Viele Kommentare habe ich als bereichernd empfunden und schätze die differenzierte Meinung mancher die hier kommentieren – und andere Trolle korrigieren. Danke dafür!

An alle Trolle: egal wie dumm, falsch oder borniert Dir ein solcher Artikel oder Gedanke von mir erscheint – denke nach bevor Du auf „senden“ klickst. Wird Dein Kommentar etwas Gutes bewirken oder willst Du nur Dampf ablassen? Dann geh lieber ins Fitti und nicht ins Internet.

Ich wünsche mir, dass weniger Hass gesät und stattdessen einfach häufiger mal gesagt wird, was wir am anderen toll finden oder worüber wir uns freuen. Ich war letztens bei einem großen Burgerbrater und wurde sehr nett und sehr freunlich bedient und der Typ meinte ich solle mich schon mal hinsetzen er bringt mir das Essen – was er auch zwei Minuten später tat. Das war so außergewöhnlich, dass ich hinterher nochmal hingegangen bin und mich bedankt habe für die ungewöhnlich freundliche Bedienung – das Gesicht war unbezahlbar! Der Typ hat laut gelacht, hat sich riesig gefreut und mit seiner Freude seine Kollegen angesteckt.

Es geht auch anders. Hypertensiver Notfall mit RTW + NEF im Altenheim und der Blutdruck ist 165/90?

Da kann man sich ganz schnell und quasi anonym über die bräsige Leitstelle aufregen und mal richtig die Sau rauslassen wieso man denn bei so einer Lapalie so ein Fass aufmachen kann. Tatsächlich wissen wir nämlich nie welcher von den etwa 12 Disponenten in der Leitstelle gerade den Auftrag angenommen und abgearbeitet hat, da lässt es sich anonym und so ganz unter uns im RTW oder NEF viel leichter über die da von der Leitstelle schimpfen.

Tatsächlich wissen wir aber gar nicht was der Anrufer gemeldet hat. Sprach der Anrufer unsere Sprache? Wurden vielleicht noch andere Dinge mitgeteilt die sich vor Ort als falsch herausgestellt haben?

Ich kann nur jedem im Rettungsdienst tätigen Kollegen raten – und hier meine ich insbesondere und explizit die ärztlichen Kollegen! – sich mal einen Tag auf der Leitstelle hinzusetzen und selber mal zu disponieren.

Es ist viel komplizierter als gedacht aus der Ferne eine Diagnose zu stellen und dann auch noch das richtige Rettungsmittel einzusetzen.

Da sitzt ein Mensch, einer mit Seele, mit Herz. Sicher nicht unfehlbar aber eben auch kein Fleischklumpen den man einfach mal nach aktueller Tageslaune aufs übelste beschimpfen darf.

Sting (ja, der Sting von ThePolice) hat auf seinem Konzert in Berlin mal erzählt, dass wir alle irgendjemandes Tochter und irgendjemandes Sohn sind. Das fand ich ein total starkes Bild.

Ja, selbst der bräsige, dickbäuchige Nachbar mit dem Alkoholproblem der immer so nach Schweiß stinkt hat eine Mutter für die ihr Sohn sehr wichtig ist, mit all seinen Problemen.

Kein Mensch ist unwichtig oder egal, kein Mensch ist illegal. Wir alle sind für irgendjemanden wichtig und wertvoll und sollten deshalb nicht hassen sondern den anderen zumindest respektieren. Liebe ist für den Anfang vielleicht ein bißchen zu viel verlangt und ein großes Wort.

Respekt vor dem Leben, dem anderen Menschen, Respekt sollte drin sein.

 

Ich wünsche mir, dass wir gegenseitig einfach mal ein bißchen mehr aufeinander Acht geben. Die Tür aufhalten, dem anderen die Vorfahrt lassen, von den 80 gebackenen Keksen dem Nachbarn mal 5 auf einem Teller vorbei bringen. Kostet nichts extra, macht keinen Aufwand, wären sowieso am Ende übrig geblieben und weggeschmissen worden. So aber entsteht aus einer kleinen Geste vielleicht etwas Großes.

Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben in der ein Wort wie Gutmensch als Schimpfwort missbraucht wird. Ich hoffe sehr ein Gutmensch zu sein, ein guter Mensch. Ein hoher Anspruch und ein lebenslanges Ziel.

 

Aus Wut dagegen entsteht Hass, aus Hass entsteht Gewalt, Gewalt schreit nach Rache und Rache ist das primitivste aller Gefühle. Damit kann keiner etwas Gutes anfangen, Wut und Hass zerstören, bauen nichts auf und helfen niemandem weiter. Nicht dem der hasst und nicht dem der gehasst wird.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass wenn ich etwas Gutes in die Welt trage dieses Gute irgendwann zu mir zurückfindet. Ob im Ehrenamt, in der Kirche, im Kleinen oder im Großen.

Sei gut zu der Welt und die Welt wird gut zu Dir sein.

Nenn mich einen hoffnungslosen Optimisten, nenn mich einen Gutmenschen.

Resignation ist keine Option.

 

Ich bedanke mich bei allen von mir sehr geschätzten Leserinnen und Lesern die mir ein 2017 einen netten Kommentar hier gelassen haben. Ich bedanke mich bei allen die mir einen Tipp zukommen lassen haben oder sich für einen Tipp bedankt haben. Ich danke auch und vor allem DocCheck dass sie meinen Blog featuren und mich unterstützen und im besonderen einer besonderen Mitarbeiterin die mit mir immer wieder konstruktive Gespräche führt, meinen Senf vorkostet und mich ermutigt weiterzumachen auch wenn mal Gegenwind kommt. Danke M.!
Allen Klinikern, Notfallmedizinern und Blaulichtberufenen wünsche ich ein frohes Fest mit ruhigen Tagen ohne Dienst, ohne Blaulicht und ohne Stress.
Allen Patienten wünsche ich gute Genesung und falls Sie hier sind weil Sie bald operiert werden und eine Narkose brauchen – die machen das schon! 😉
Ich wünsche allen ein wunderbares Fest mit ganz vielen lieben Menschen um Euch herum. Ich freue mich auf 2018 mit Euch!
Hohoho,

der Narkosedoc

Homo homini lupus est

AUS:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/frankfurt-menschenmenge-behindert-rettungskraefte-bei-wiederbelebung-a-1166284.html


Ein 19-jähriger muss wiederbelebt werden. Solche Einsätze sind kein Spaß. Wir trainieren jahrelang, werden von Spezialisten ausgebildet, pauken bücherweise Fachwissen damit wir in solchen Situationen das Beste für diesen einen Menschen erreichen können. Wir wollen helfen. Leben retten.

Es ist der Sohn meiner besten Freundin. Seine Schwester war mit ihm zum einkaufen, sie steht neben ihm, schreit um sein Leben. Der Vater kommt hinzu, hatte nur kurz das Auto geparkt. Er trommelt vor Wut und Schmerz mit den Fäusten auf eine Mülltonne, beißt sich auf die Finger.

Daneben steht ein andere 19-jähriger, bepöbelt die Rettungskräfte, „ruft zu Störungen auf“. Ich meine – was ist eine gerechte Strafe für so ein Verhalten? Kann man das überhaupt bestrafen?
Was ist das für ein Individuum frage ich mich, so verroht? Wie wird man so?

Und wann genau fing das eigentlich alles an so zu eskalieren?
Ich frage mich – wann war der Moment an dem ich das erste Mal stutzte?
Stutzen, dieses Verb passt sehr gut in unsere Zeit. Ich stutze über den kleinen Mann aus Nordkorea. Der kleine Mann mit den dicken Backen der so viel Hass in sich hat, dass es hinaus muss. Raus aus seinem kleinen Land. Der einem etwas zu pummelig geratenen Dackel gleich die Doggen dieser Welt anbellt und nur Ärger will. Der regelrecht darum bettelt einen auf die Mappe zu kriegen. Koste es was es wolle auch hunderttausende Menschenleben.
Es ist düster geworden da draußen. Dunkle Wolken ziehen auf.

Woher kommt all dieser Hass? Hass fremden Menschen gegenüber? Menschen die eigentlich auch nur Väter und Mütter von, Sohn von, Tochter von oder Bruder von irgendjemandem sind.
Menschen die eigentlich nur ein ganz normales Leben haben wollen, so mit morgens frühstücken, zur Arbeit gehen, Kollegen treffen, Mittagspausenschnack, Feierabend und Fernseh gucken in der Doppelhaushälfte.
Diese fremden Menschen sind alle geliebt von ihrer Mama, von ihrem Papa, von ihren Geschwistern. Keiner ist irgendjemand.
Durch den kursiv geschriebenen Einschub wird aus „einem 19-jährigen“ der Thomas der gerade Abi gemacht hat und sich für Maschinenbau in Aachen eingeschrieben hat. Die persönliche Ebene verändert unsere Wahrnehmung.
Es hasst sich einfach leichter wenn man den Menschen nicht kennt an dem sich gerade die Wut über eigene Missstände und Verfehlungen entlädt. Mein Nachbar ist Alkoholiker, hat den Führerschein erst verloren und dann nie mehr nachgemacht und wegen des Alkohols und des fehlenden Führerscheins arbeitslos. Da könnte man mal bei sich selbst anfangen. Das ist aber unbequem, einfacher ist es die Asylanten zu hassen. Die Asylanten sind eine undefinierbare Masse, da hasst es sich ganz bequem.
Wenn man sich nur mal die Mühe machen würde und den einzelnen Menschen zu betrachten der da in dieser Masse sichtbar wird!

lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit
(Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch. Das gilt zum mindesten solange, als man sich nicht kennt.)

Wann also genau fing das an, dass man einfach einen Menschen beschimpfen und hassen durfte?
Das Feuer war nie aus, auch nicht nach dem zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich brennt dieses Feuer seit es Menschen gibt.
„Uga-uga aus der Höhle hinter dem Wasserfall ist verantwortlich für wasauchimmer, dafür wird er bezahlen.“ Oder so.
Vielleicht war ich zu sehr geschützt in meiner 80er-Jahre-Kind-Wohlstandsblase, aber ich meine es gab mal eine Zeit in der Hass, Missgunst, Neid und Boshaftigkeit nicht so an der Tagesordnung waren wie heute.
Niedertracht ist definiert als eine „bewusst böse Denkweise“.
Mit nichts anderem ist die Verrohung besser zu beschreiben die wir erleben müssen. Auch im Rettungsdienst.

Alleine im letzten Monat finden sich etliche Berichte:

Da stirbt ein 59-jähriger Motorradfahrer vor den Augen seiner besten Freunde auf der Autobahn. Das erste was einem LKW-Fahrer einfällt ist sein Smartphone rauszuholen und die Szene zu filmen. Keine erste Hilfe, erstmal ein Video. Für Youtube? Für die Whatsapp-Gruppe „Skatfreunde Keuschbueren“?
Das ist mittlerweile so ein Reflex. Es passiert irgendwas – ZACK! Smartphone raus, Video. Oder wenigstens 10 Fotos. Haste nichts gefilmt ist es nicht passiert.
Wir haben erlebt, dass wir mit einem Patienten im Schockraum der Uniklinik ankamen und dort bereits ein Video (!) von der Unfallstelle gesehen worden war inklusive Abflug unseres Hubschraubers.
Gefilmt, gestreamt, veröffentlicht.

Da passiert ein Unfall auf der A3 – Wohnwagen gegen LKW. Zwanzig Gaffer stehen rum und filmen das. 

Das zieht sich durch alle Altersklassen. Schon 15-jährige sind ganz vorne mit dabei. Und weist man als Rettungsdienst auf das Fehlverhalten hin darf man keine Scham erwarten sondern muss mit aggressivem Verhalten rechnen.

Am Rheinufer in Remagen gibt es genau eine einzige Landestelle an der der RTH nicht landen kann weil ein Spacko dort steht und filmt. Und auch trotz eindeutiger und mehrmaliger Aufforderung nicht Platz macht. Hinterher beleidigt er noch den Piloten.

Geht es noch schlimmer? Na klar.
Da steht ein Mann auf dem Vordach eines Hotels in der Innenstadt von Baden-Baden. Unten stehen 50 Schaulustige, filmen und johlen und rufen dem Mann zu er solle doch endlich springen. 
Da suhlen sich Menschen welche im Leid anderer Menschen.
Das würden Tiere nicht machen. Soweit mir bekannt ist, würde sich ein Tier nie am Leid eines anderen Tieres ergötzen. Es wäre ihm egal, vielleicht. Aber die bewusste Freude darüber, dass es hier jemand anderem richtig dreckig geht ist eine urmenschliche Eigenart.
Blöd nur, wenn man irgendwann selber mal da liegt.
Und keiner zur Hilfe kommt, weil die Rettungsgasse zu ist. Aber dann tröstet vielleicht der Gedanke dass man sich das Elend hinterher aus zwanzig verschiedenen Blickwinkeln anschauen kann.
Wenn man dann noch lebt.

Nous sommes unis.

Ich bin großer Fan von gutem Fußball, man könnte auch sagen der „Fußballkultur“. 11Freunde, Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs – das ist meine Welt. Ich favorisiere keinen einzelnen Verein, mag bestimmte Vereine dafür ganz und gar nicht und schaue aus oben genannten Gründen gerne mal ein Fußballspiel wenn es sich anbietet.
So wie gestern.
Ich hatte Bereitschaftsdienst und wir waren um kurz nach 20 Uhr fertig mit dem Tages-OP-Programm. Kurz vor Anpfiff erreichte mich der Anruf des Unfallchirurgen – Kind 5J., kombinierter Unterarmbruch, nüchtern, jetzt machen. Gut, dann also kein Fußball, sondern in den OP.
Ich ging also zu Lina, prämedizierte die kleine Lady und ihre aufgeregten Eltern, gab ihr was gegen Schmerzen und etwas zum Entspannen, klebte ein „Zauberpflaster“ (betäubt den Bereich in dem man später den Zugang legen kann) und ging in den OP. Die Narkose gestaltete sich problemlos, die Scheidung der Fraktur war etwas komplizierter da die Weichteilschwellung schon recht ausgeprägt war, kurzum – es dauerte.
Während der Narkose achte ich darauf, dass meine kleinen Kunden wie auf Watte liegen und es keine Druckstellen gibt. Kinder bekommen rasend schnell fies aussehende Druckstellen, wenn man nicht aufpasst. Dafür fühle ich mehrfach nach der Blutdruckmanschette, lege den Arm immer mal wieder etwas anders hin (Mikrolagerung) und achte darauf, dass keine Schläuche und Kabel auf der Haut liegen. Dabei bin ich schon recht nah an den kleinen Menschen und schlafende Kinder sind etwas wunderbares. In einem schlafenden Kind kann man so viel Gutes sehen und ich war sehr glücklich, diesen Beruf machen zu dürfen. Ich bekomme das wertvollste von zwei Menschen (den Eltern) übertragen, sie vertrauen mir, sie geben ihr Kind an mich ab. Kinder sind nicht nur kleine Menschen, sie sind etwas ganz besonderes, auch was z.B. die Dosierung der Medikamente angeht. Halber Mensch, halbe Ampulle funktioniert da nicht.
Ich bin also stets achtsam, wach, voll da, lasse die Kleinen keinen Moment aus dem Auge. Und diese Mischung aus Verantwortung für den Patienten, Vertrauen von den Eltern, der Ruhe des nachts operierenden Teams und dem Wissen hier ganz konkret geholfen zu haben ist etwas sehr schönes.
Gleichzeitig passierten ein paar hundert Kilometer weiter furchtbare Dinge von denen wir noch nichts wussten.
Lina lag so ganz friedlich da und als alles fertig war habe ich die Medikamente ausgemacht, konnte Lina tief schlafend die Beatmungsmaske  entfernen und sie wurde wach und plapperte fröhlich vor sich hin.
Als ich aus dem OP kam und auf mein Zimmer gehen wollte um den Rest des Fußballspiels und wenigstens die Zusammenfassungen der anderen Spiele schauen zu können sah ich es. Diese Menschen die vor einem Fernseher zusammen sitzen und etwas surreales anschauen. Es war am 11. September 2001 genauso. Damals in der Jugendherberge.
Es war sehr viel Ruhe da in der Ambulanz vor dem Fernseher und es wurde anders als sonst nicht gesprochen.
Der sonst so abstrakte Terror – allenfalls in fernen Ländern mit vielen Wüsten und kryptischen Städtenamen präsent – schafft es sonst ja höchstens mal in die Tagesschau. Suruç, Port El-Kantaoui, Dağlıca, das sind abstrakte Orte mit abstrakten Namen und das was dort passiert bleibt eben abstrakt. Daran ändert auch die Tagesschau nichts.
Aber Paris, das Stade de France, eine Brasserie, das ist sehr konkret. Das ist das Gegenteil von abstrakt und es berührt mich sehr, weil ich wie so viele andere Menschen genau dort schon unterwegs war. Zu wissen, dass an diesem mir bekannten Ort so schlimme Dinge passieren kann mich nicht kalt lassen.
Wenn Hass mit Hass beantwortet wird ist dies ein zutiefst primitives und verachtungwürdiger, barbarischer Akt der Grausamkeit. Bereits entstandenes Leid bei gefrusteten Perspektivlosen potenziert sich durch Terror in den Familien und Angehörigen der durch Rache Betroffenen, Verletzten und Toten. Auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten ist so simpel wie sinnlos, seit tausenden Jahren haben wir da nichts dazugelernt. Keiner kann diesen Krieg gewinnen.
Zu den ersten Eilmeldungen gesellten sich weitere Informationsfetzen und von Minute zu Minute fügte sich ein entsetzliches Mosaik zusammen.
Ich bin aus dem Alter raus in dem ich nach solcherlei Ereignissen mich einfach umdrehen könnte, Augen zu, schlafen. In meinem Kopf waren noch viele Gedanken und der Kontrast zwischen der schlafenden Lina und dem brennenden Paris hätte nicht größer sein können.
Am Morgen dann die Übergabe an den Diensthabenden, von ihm die Frage wie es mir ginge. Paralysiert sei ich, entgegnete ich ihm. Ich schilderte ihm in drei Sätzen und weitaus weniger ausführlich als hier geschrieben, wie ich die Ereignisse des Abends erlebt hatte.
Schroff entgegnete er mir im belehrenden Ton eines vor der Rente stehenden Sportlehrers: Tja, mein lieber Narkosedoc, ich weiß nicht was ihr alle Euch so anstellt. Solange wir unsere T-Shirts von kleinen Kindern in Bangladesch nähen lassen wird es diesen Terror immer geben. Das ist halt so.“
Ich bin auf diese Diskussion nicht eingestiegen, Visite, Übergabe, ab nach Hause.
Im Kern ist die Entstehung des Terrorismus sicher ein multimodales Problem, aber darf man deshalb so abgezockt reagieren? Was muss in und mit einem Menschen passieren damit ihn ein solcher Blutrausch kalt lässt?

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(Ich bitte zu entschuldigen, dass an dieser Stelle vor ein paar Stunden ein bereits terminierter Artikel veröffentlicht wurde – den holen wir bei Gelegenheit nach.)