Sag mal Narkosearzt, was verdient eigentlich so ein Notarzt?

Um es vorneweg zu nehmen: meiner Meinung nach gibt es keine Berufsgruppe in der die Differenz zwischen eigenem Verdienst (ganz weit oben!) und der beklagenswerten Rumjammerei über die ach so schlechte Bezahlung („ganz weit unten!“) so weit auseinander driftet.
Ich glaube, dass man als Arzt wirklich gut verdient und auch wenn man mit dem langen Studium ( zahlt der Staat, kostet ca. 200 000€ ), dem Verdienst in anderen Ländern oder den Arbeitsbedingungen argumentiert: es bleibt ein sehr gut dotierter und vor allem sehr sicherer Arbeitsplatz. Ist das nicht auch jede Menge wert?
Egal, ich schweife ab.
Bei uns ist der Notarztdienst normale Einsatzzeit, wenn ich über Nacht arbeite bekomme ich am nächsten Tag einen Freizeitausgleich. Das Grundgehalt richtet sich nach dem Alter des Arztes und der Erfahrungsstufe (Assistenzarzt, Facharzt, Oberarzt oder Chefarzt). Die Tarife können z.B. hier (Anhang A zur Anlage 30 s. NRW) nachgelesen werden.
Zusätzlich bekommen wir ab 16 Uhr 25€ für einen Einsatz.
Also Grundgehalt plus Einsatzpauschale. Das kann man so gesehen nur sehr schlecht auf den einzelnen Einsatz umlegen.
Klarer wird es da schon bei „reinen“ Notarztverträgen. Im Rahmen von Honorartätigkeiten kann man als Arzt unabhängig von der eigenen Klinik bzw. sogar gänzlich ohne Festanstellung über die Lande tingeln und freie Notarztdienste besetzen. Die werden über Vermittlungsagenturen (z.B. Notarzt-Börse, „Rent a doc“ und andere) vergeben. Die Honorare richten sich ein wenig nach den Einsatzgebieten.
In einem sehr ruhigen Einsatzgebiet (ca. 5-10 Einsätze / 24h) werden im Schnitt so 25-30€ pro Stunde gezahlt. Da ist es egal wie oft man rausfährt.
In manchen Großstädten in NRW bekommt man auch mal mehr, bis zu 40€ pro Stunde. Das sind dann aber auch schon gerne mal irgendwelche Brückentage oder Feiertage. Alternativ gibt es manchmal auch 25€ pro Stunde + 25€ pro Einsatz. Klingt gut, ist im Regelfall aber weniger als 35€/h weil es dann meistens wenige Einsätze gibt.
Realistisch sind es also so 30-35€ pro Stunde inkl. etwaiger Einsatzzulagen.
Wir reden hier vom Brutto. Abgezogen werden muss davon die Einkommenssteuer, Haftpflichtversicherung, Sozial-, Kranken-, Pflege-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung und Altersvorsorge. Realistisch bleiben nach einem 24h-Dienst mindestens 24 Stunden (besser 48h) frei. Wenn man viel Wert darauf legt, den ersten Herzinfarkt vor dem 50. Lebensjahr zu bekommen, dann kann man die Dienstfrequenz sicher auch höher takten.
Wenn man das dann mal sauber durchrechnet kommt man schnell darauf, dass sich damit nicht die superlange Mark machen lässt, wie sich das manche Patienten gerne mal vorstellen. Sicher, ein Arzt verdient gut, aber die Motivation für die Tätigkeit als Notarzt kommt doch eher von der Leidenschaft für den Beruf.

Ich fahre gerne Notarzt. Ich freue mich, wenn ich Menschen die in eine Notlage geraten sind helfen kann und freue mich über das gute Gefühl etwas richtiges getan zu haben. Dafür nehme ich auch ein sehr hohes Unfallrisiko, Infektionsrisiko, tief fliegende Perfusoren und blöde Arbeitszeiten in Kauf.
Ich kenne keinen, der es wegen des Geldes macht und mit 60 möchte und werde ich das auch nicht mehr machen. Im Moment ist es gut und richtig so wie es ist.
Grüße aus dem Notarztzimmer,

der Narkosearzt

Frank.

NA Intern Sonstwo Steegmann Apoplex SoSi Mehrfach:

Frank Steegmann wohnt eher ländlich in einem gemütlichen kleinen Häuschen, dass zwischen den großen umstehenden Bäumen fast verschwindet. Als Mensch ist Frank einer der anpacken kann und auch anpackt, vor allem und gerne in seinem Garten. Frank ist 48 Jahre, arbeitet als Garten- und Landschaftsbauer und steht -wie man bei uns sagt- voll im Saft. Wir treffen Frank im Garten auf einer schönen Steintreppe sitzend, stellen uns vor und erwarten nun weiter zu seiner Mutter oder seinem Vater geführt zu werden, immerhin haben wir uns auf einen Schlaganfall eingerichtet. Nein nein, er sei der Patient. Er habe uns gerufen. Er habe im Garten gearbeitet und hat nun ständig das Gefühl zur Seite zu fallen.
Tatsächlich kann er nur durch einen Feuerwehrmann gestütz stehen, will selber zum RTW laufen auch wenn er immer droht nach links zu kippen. Im Auto messen wir die Vitalparameter, alle normal, aber Frank hat eine ganz eindeutige Fallneigung. Bewegen kann er alles, er hat keine sonstigen Nervenausfälle, keine Parästhesien (Missempfindungen/Kribbeln) und irgendwie passt es alles nicht so ganz zum klassischen Apoplex. Als ich ihm einen Zugang legen möchte empfiehlt er mir diese oder auch gerne diese Vene, er bekomme ja einmal in der Woche Infusionen für seine Knochen. Ich stutze das erste Mal. Infusionen? Ja, er habe ja eine Chemotherapie gemacht und auch eine Bestrahlung, wegen des Knochenkrebs im Kopf. Er habe auch Metastasen, im Bein sei eine, im Rücken drei Stück und die im Kopf sei aber vor drei Monaten bestrahlt worden, die sei weg.
Wir schlucken, das übliche Gebrabbel im RTW verstummt. Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Wir haben da einen vermeintlich kerngesunden, topfitten Mann von einer Schrankwand und bekommen eine Anamnese präsentiert die einen erschaudern lässt.
Meine Vermutung bestätigt sich im Krankenhaus, Frank hat mehrere neue Metastasen im Kopf, inoperabel, inkurabel, diese machen einen Hirndruckanstieg und damit die Symptome.
Frank hat mit Cortison und Bestrahlung vielleicht noch ein paar Tage oder Wochen zu leben, aber wie passt das zusammen? Für mich bleibt ein surrealer Eindruck.
Frank bleibt mir sehr plastisch als Eindruck im Gedächtnis.
So ein kräftiger, kranker Mann.
Alles Gute, Frank.