Echte erste Hilfe nach Verkehrsunfällen

Die Situationen sind genau so selten wie stressig.
Szenario 1: 
Mein Vater war im Urlaub unterwegs in den Alpen. Auf der Autobahn platzt ein Reifen, das Auto rammt den Mittelstreifen, gräbt sich im Grünstreifen ein, überschlägt sich zwei mal, eine Person wird herausgeschleudert, der PKW bleibt quer auf der Fahrbahn stehen.
Szenario 2: 
Wir waren auf dem Weg zur Taufe meiner Nichte. Ein Motorradfahrer verschätzt sich, wird in einer engen Kurve einer abgelegenen Landstraße nach außen getragen und kollidiert mit einem Camper. Er liegt stöhnend am Fahrbahnrand, hält sich den Bauch und das Becken.  
Szenario 3: 
Meine Nachbarin war auf dem Heimweg vom Badenachmittag an einem Naturfreibad.
Ein Motorradfahrer will zwei PKW überholen, beschleunigt stark. Der vordere PKW schert aus um unvermittelt nach links in einen Feldweg abzubiegen. Das Motorrad kann nicht mehr ausweichen und schlägt am Heck des PKWs ein. Das Motorrad zerreißt in zwei Teile, der Motorradfahrer bleibt regungslos liegen. 

Diese drei Szenarien sind genau so passiert.
In allen Situationen gab es einen oder mehrere Schwerverletzte. Alle trafen mich oder meinen Vater oder meine Nachbarin völlig unvorbereitet.
Was kann man jetzt praktisch tun?
Ich denke man sollte schon nach Qualifikation der Ersthelferausbildung und vielleicht auch nach der Verfügbarkeit von Erste-Hilfe-Möglichkeiten unterscheiden. Aber man muss nicht Arzt/Ärztin sein, um qualifiziert helfen zu können. 
Was kann jeder tun: 
Als erstes – die Unfallstelle absichern! 
Zieht Euch eine dieser neongelben Sicherheitswesten an, die jeder in Anzahl der mitreisenden Personen mitführen muss. Und dann das wichtigste: Ruhe bewahren. 
Hierfür hilft es sich immer mal wieder während einer Autofahrt zu visualisieren – was würde ich jetzt tun, wenn jetzt der PKW vor mir bei dem riskanten Überholmanöver verunfallt? Und dann eine möglichst logische, vollständige Liste abarbeiten. Wem das hilft, der kann sich auch eine Checkliste dafür ins Auto legen. 
Bin ich alleine im PKW unterwegs stelle ich das Auto quer VOR die Unfallstelle. Mein eigenes Auto ist dann wie ein Rammbock. Habe ich noch Familie dabei, versuche ich hinter die Unfallstelle zu fahren und sichere nach vorne ab. 
Wanrblinkanlage an, bei Dämmerung oder Dunkelheit nutze ich zusätzlich LED-Powerflares. Die kosten ca. 10€ das Stück, findet man unter „Powerflare Akku LED Signallicht“ oder ähnlich (ich darf die nicht verlinken, sonst wäre es  Werbung). Ich habe davon drei im Auto, so sollten mindestens zwei immer funktionieren. 
Die Akkus halten ewig, muss ich nur alle paar Monate mal aufladen. 

Ist die Einsatzstelle gesichert hilft es sich einen groben Überblick zu machen: wie viele Verletzte gibt es und wie schwer sind sie verletzt. Wie findet man das raus? Da gibt es einen Trick: 
Menschen die eingeklemmt sind und nicht selber aus dem verbeulten Fahrzeug kommen gelten als akut lebensbedroht („rot“), ebenso alle die irgendwo liegen. Wer sitzen aber nicht stehen oder laufen kann, aber trotzdem beeinträchtigt wirkt kann als potenziell schwerverletzt („gelb“) eingeteilt werden. Wer laufen kann gilt als leicht verletzt oder gar nur Betroffener („grün“).
Jetzt folgt der Anruf bei der 112: Hilfe holen!
Der Disponent/die Disponentin wird Euch durch die Fragen führen. Wo ist der Unfallort passiert – das ist auf der Autobahn nicht ganz so einfach, aber dazu wird man Euch Hiflestellungen geben.
Dann solltet ihr kurz beschreiben was ihr seht, wie viele Fahrzeuge verunfallt sind und ob es Besonderheiten gibt wie z.B. das ein Fahrzeug auf dem Dach liegt. Dann wäre eine ungefähre Schätzung der Verletzten gut, z.B. „da ist noch einer drin, der kommt nicht raus, zwei sind rausgekrabbelt, die liegen am Straßenrand, und einer sitzt da, der kann nicht aufstehen“. Gute LeitstellendisponentInnen können das interpretieren und Euch jetzt schon die adäquate Hilfe auf den Weg schicken. Noch während ihr mit der Leitstelle telefoniert geht dann z.B. bei mir der Melder und wir machen uns auf den Weg.
Was kann man nun für die Schwerverletzten tun?
Jede Menge!
Vor allem – traut Euch. Ihr könnt – wie so oft – kaum was falsch machen, außer wenn ihr nichts macht. Achtet immer, immer, immer auf die eigene Sicherheit!
Es nützt niemandem etwas, wenn ihr Euch in Gefahr begebt oder weitere Fahrzeuge in die Unfallstelle rasen. Sobald ihr sicher seid könnt ihr zu einer schwerverletzten Person gehen und diese informieren, dass Hilfe unterwegs ist. Sowas banales, oder? 
Aber genau das hilft!
Wer mal im Auto eingeklemmt war weiß, zu wissen, dass Hilfe unterwegs ist, ist die halbe Miete. Rettung ist auf dem Weg!
Bleibt bei dieser Person, bleibt ansprechbar. Versucht der Person die Lagerung zu erleichtern. Vielleicht kann man eine Jacke unter den Kopf legen falls das Auto auf der Seite liegt.
Habt ihr einen schwer verletzen und vielleicht sogar bewusstlosen Motorradfahrer, dann solltet ihr auch auf jeden Fall den Helm abnehmen (https://narkosearzt.wordpress.com/2019/02/24/stabile-seitenlage-und-helm-ab-oder-etwa-doch-nicht/).
Gerade bei Regen oder kalter Witterung, im Grunde genommen aber immer außer wenn es 35° hat, solltet ihr die Person warm halten. Sucht Euch Jacken zusammen, fragt umstehende Personen und bittet sie nach Decken/Fliesjacken. Eigene Jacken sind deswegen super weil sie durch die eigenen Körperwärme vorgewärmt sind und außerdem ist es ein schöner Akt von Nächstenliebe.
Ich habe auch schon mangels Alternativen Unfallopfern meine warme Notarztjacke angezogen. Kommt danach in die Wäsche und gut ist.  
Ihr seht schon jetzt, man kann viel machen! Und für nichts davon muss man Notarzt oder Notärztin sein.
Wiederholung:
1) Unfallstelle absichern, ggf. eigenen PKW dafür nutzen
2) Sicherheitsweste anziehen
3) Überblick machen und 112 (Rettungsdienst/Feuerwehr) anrufen 
4) bei Schwerverletzten bleiben, Hilfe anbieten, Wärme erhalten

Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür.
Was mache ich wenn jemand wirklich viel blutet. Und wann blutet jemand viel?
Blutende Wunden haben die Eigenschaft sehr spektakulär auszusehen, auch wenn eigentlich noch gar nicht viel Blut geflossen ist. Viel Blut ist es immer dann, wenn es sich in Pfützen sammelt oder z.B. die Straße runter läuft. Dann sind es in der Regel deutlich mehr als 500ml Blut und das wird für diese Patienten potenziell kritisch. Das tückische ist – selbst wenn der Rettungsdienst rechtzeitig kommt, kann dieser Blutverlust in den ersten 10 oder 20 Minuten ausreichen, dass die Patienten hinterher (nach 24 Stunden) versterben. Es ist also immens wichtig diese Patienten von Anfang an warm zu halten und die Blutung zu stoppen.
Das geht ganz einfach – indem man dort wo das Blut rauskommt, Druck ausübt. Das kann man mit einem zusammengeknüllten Tuch (Dreiecktuch aus dem Erste-Hilfe-Kasten!) oder hervorragend auch mit einem T-Shirt machen. Dieses möglichst eng und fest in die Wunde drücken und von außen auf die Wunde drücken. Gegendruck verhindert, dass weiteres Blut verloren geht. 
Hier ist es etwas genauer beschrieben (https://www.drk.de/hilfe-in-deutschland/erste-hilfe/blutungen-und-blutstillstand/blutungen/) aber – macht da keine Raketenwissenschaft draus! 
Druck auf die Blutung, egal wie!
Mit dieser einfachen Maßnahme kann man ohne Witz ganz konkret Leben retten. Wenn wir nach 10 Minuten mit dem Rettungshubschrauber angeblasen kommen, dann sieht das zwar sehr spektakulär aus, aber wenn der Patient bis dahin schon 2 oder 3 Liter Blut verloren hat, dann werden wir für diesen Patienten gar nichts mehr ausrichten können.  

Also 
1) Unfallstelle absichern, ggf. eigenen PKW dafür nutzen
2) Sicherheitsweste anziehen
3) Überblick machen und 112 (Rettungsdienst/Feuerwehr) anrufen 
4) bei Schwerverletzten bleiben, Hilfe anbieten, Wärme erhalten
5) schwere, kritische Blutungen stillen 

Und zuletzt – wenn die ersten professionellen Retter kommen und die Einsatzleitung übernehmen, dann scheut Euch nicht selber um Hilfe zu bitten. 
Es gibt exzellente PSU-Teams, die das oft noch an Ort und Stelle mit Euch besprechen. Die Euch ein professionelles Feedback geben können, was die Einsatzkräfte jetzt tun. 
Das hilft ganz entscheidend bei der Verarbeitung. 
Auf keinen Fall solltet ihr die Fahrt einfach so fortsetzen. Das Risiko ist zu hoch selbst einen Unfall zu bauen, weil ihr mit den Gedanken ganz woanders seid. 

Ich hoffe das hilft Euch wenn ihr das nächste Mal zu einem schweren Verkehrsunfall kommt. 
Jede Hilfe ist besser als keine. 
Danke für Euren Einsatz und schreibt mir gerne mal was ihr so erlebt habt und wie ihr helfen konntet! 

E-Überall

„Das Reisen mit der Eisenbahn bei hohen Geschwindigkeiten ist nicht möglich, da Passagiere nicht in der Lage wären zu atmen und erstickten.“

Dionysys Lardner

(1793 – 1859), irischer Physiker, Mathematiker und Enzyklopädist

E-Scooter, E-Fahrräder, E überall.
An manchen Kliniken sind selbst die Fahrgestelle für die Trage vom Hubschrauber mittlerweile elektrisch motorisiert. Die Anhöhe zur Klinik hoch zu schieben ist plötzlich auch im Hochsommer gar kein Problem mehr.
Die Digitalisierung bringt uns viel Neues, auch neue Wörter. Smombies zum Beispiel. Menschen die wie ein Zombie fremdgesteuert durch ihr Smartphone in der Gegend umherirren. Smombies eben.
Und wenn dann so ein Smombie auf einen der unerfahrenen E-Scooter-Touristen treffen die sich hier in der Stadt tummeln, dann ist der Unfall vorprogrammiert.
Erstmal sind E-Scooter Fahrzeuge mit denen man am Straßenverkehr teilnehmen kann. Das kann man mit Turnschuhen auch. Was sie unterscheidet ist, dass sich mit wenig Aufwand, fast unhörbar relevante Geschwindigkeiten erreichen lassen bei denen auch höhergradige Verletzungsmuster möglich sind – insbesondere wenn die Unfallgegner ein Auto fahren oder als Fußgänger unterwegs sind.
Und weil das neu ist und weil es neue Unfallmuster gibt und der Deutsche allem Neuen gegenüber erstmal prinzipiell skeptisch ist wird das verteufelt was da auf uns zukommt.
Tatsächlich muss man erstmal abwarten ob es wirklich so viel mehr Unfälle gibt. Vielleicht ist es nur eine Umstellung, vielleicht müssen wir einfach mal mehr aufeinander achten und Rücksicht nehmen. Diese Forderung kommt nicht vom Bundespräsidenten sondern von der DGU, der deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Im Moment hagelt es Pressemeldungen sobald jemand mit einem E-Scooter verunfallt. Die neue E-Mobilität polarisiert. Kein Käseblatt hätte berichtet, wenn dieser Unfall (41J. weiblich mit E-Scooter, falsche Richtung bei Rot über die Straße…) mit einem Fahrrad passiert wäre.
Da steht dann „Schwerer Unfall mit E-Scooter“. Man hätte auch was anderes schreiben können. Sowas wie „Schwerer Unfall nach Rotverstoß – Frau fährt auf der falschen Straßenseite und wird von PKW erfasst“. Andersherum ist es aber spektakulärer. Und weil es so nicht nur im Hamburger Abendblatt steht, sondern auch noch in 30 anderen Zeitungen und Onlinemeldungen erscheint es uns wichtig. Potzblitz, schon wieder ein Unfall mit einem E-Scooter. Schlimm diese Dinger.
Im DLF hat mal ein Soziologe dieses Phänomen gut auf den Punkt gebracht. Unsere Wahrnehmung und die Verarbeitung von Informationen funktioniert immer noch wie früher als wir in einem Dorf mit 500 Leuten gelebt haben. Die Reichweite hat sich geändert, die ganze Welt und alles Spektakuläre was in der Welt passiert kommt auf unseren Fernseher, auf Smartphone per Push-Nachricht direkt auf den Desktop und ploppt auf dem Sperrbildschirm auf. Das Dorf ist groß geworden, wir halten uns für aufgeklärt und global denkend, unsere Wahrnehmung bleibt die eines Bauern im 500-Seelen-Dorf.
Ich erinnere mich mit viel Mühe an zwei oder drei Unfälle mit Bezug zur E-Mobilität. Allesamt Rentner, allesamt E-Bikes und einmal wegen schwerer Alkoholintoxikation (nach Sturz mit E-Bike) und zwei Mal mit Antikoagulation (nach schwerem Sturz mit E-Bike) bei uns im Schockraum gelandet. Kein einziger E-Scooter-Unfall, weder im RTH, noch als Notarzt oder als Anästhesist im Schockraum. Also habe ich mal mit unseren Chirurgen gesprochen und selbst die finden, dass das für sie keine konkrete Relevanz hat.
Das ist sicher alles nicht repräsentativ und man muss da vor allem mal zukünftige Statistiken abwarten ob das wirklich alles so schlimm ist. Man muss dann mal die Gesamtzahl der Verletzungen in Verhältnis zu den gefahrenen Kilometern, zur Anzahl der Einwohner setzen und so weiter. Ein Unfall pro Woche oder auch 20 Unfälle am Tag heißen für sich erstmal gar nichts.
Für den Moment lässt sich aber sagen, dass wir hier in einem der größten Unfallkrankenhäuser mit großem notfallmedizinischen Schwerpunkt bisher keine bis kaum merkliche die Auswirkungen der E-Mobilität spüren.
Mich nerven auch die Touris, die den E-Scooter zu zweit auf der falschen Straßenseite fahren. Die sind für 1-2 Tage in der Stadt, wollen das mal testen und genau so sieht das auch aus. Klar, das nervt die Anwohner aber ich denke, dass das ein Hype ist der sich dann auch irgendwann legt wenn jeder mal so ein Ding gefahren ist.
Ehrlich gesagt wundere ich mich schon, dass wir nicht mehr relevante Kopfverletzungen haben. Gefühlt fahren 90% ohne Helm und gefährlich ist beim Roller vor allem, dass der Schwerpunkt anders als beim Fahrrad sehr viel weiter vorne liegt. Bei einer Vollbremsung muss man sich also nach hinten lehnen um zu verhindern, dass der E-Roller nach vorne umkippt.
Ich werde das mal hier zur Wiedervorlage setzen und in einem Jahr erneut berichten. Dann wird es wahrscheinlich niemanden mehr interessieren, aber manchmal ist das ja auch ganz gut zu sehen, was aus so vermeintlichen Aufregerthemen wurde.
So wie damals die Horden von BSE-Zombies, die befürchtet wurden. Aber vielleicht kommt das ja auch noch.

Patientenverfügung für junge Leute, Studenten, Schüler und Jugendliche

Wenn Du das hier über google gefunden hast, verweise ich explizit auf den Artikel „End-of-life-decisions„. Dort erfährst Du warum Du neben einer #Patientenverfügung auch eine #Vorsorgevollmacht ausfüllen solltest und falls Du Kinder hast vielleicht sogar eine #Sorgerechtsverfügung und ein #Testament machen solltest.

Die Überschrift ist etwas plakativ. Junge Leute, Studenten, Schüler, Teenager – in das Leben eines jungen Menschen passt eine Patientenverfügung ungefähr genauso gut wie sich Blasenkatheter auf Thrombosestrümpfe reimt.
Aus Gesprächen mit Kollegen und unseren jüngeren Mitarbeitern weiß ich, dass es einen großen Bedarf gibt, diese Selbständigkeit auch für den Fall zu regeln, dass man plötzlich nicht mehr voll im Leben sondern eher am Rand des Lebens steht.

Als gesunder und junger Mensch wollen wir ja erstmal noch möglichst viel vom Leben haben. Ein Kampf für das Leben ist die Maxime und genau so wird es ja auch in allen Kliniken umgesetzt. Der Kampf ums Leben ist aber auch mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden – und das ist der Euphemismus des Tages.
Intensivmedizin bedeutet Katheterwechsel, Thoraxdrainagenanlage, brutale Schmerzen, künstliche Ernährungssonden, deren Anlage und Wechsel, völlige Kraftlosigkeit, Ermüdung und fehlende Orientierung durch einen zerstörten Tag-Nacht-Rhythmus.
Ist die eigentliche Krankheit überstanden so muss vieles neu erlebt werden, Kraft aufgebaut werden. Jeder einzelne Muskel des Körpers verweigert die Arbeit, muss wieder neu trainiert werden. Schlucktraining, wache Bronchoskopie zur Sekretmobilisation und wieder diese Schmerzen wie man sie vorher noch nie gekannt hat weil man der Meinung war, dass ein Bolus von 10µg Sufenta doch reichen müsste.
Luftnot, Angst aber auch Horrorträume die fern unserer Vorstellungskraft sind. Nicht alles trifft auf alle Patienten zu, aber manche Patienten zahlen einen hohen Preis für einen Kampf gegen den Tod.

Moderne schmerztherapeutische Intensivkonzepte wie z.B. an der Uni Freiburg wollen da ansetzen und mit neuen Therapiekonzepten den Aufenthalt erträglicher machen, ein Spaziergang wird echte Intensivmedizin aber trotz alledem nie werden.

Lehne ich also jede Form von Intensivmedizin (Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung u.a.) kategorisch ab und akzeptiere unter Umständen einen raschen Tod?
Oder möchte ich alle Möglichkeiten der Intensivmedizin für den Kampf ums Leben nutzen und nehme die Bürde aller Unannehmlichkeiten auf mich um vielleicht noch ein paar Jahre zu gewinnen?

Aus meiner Sicht macht ein Kompromiss Sinn.
Am Anfang steht ein Ereignis, dass zur Aufnahme auf die Intensivstation führt. Ein schwerer Verkehrsunfall, Notarzt, Rettungsdienst, Schockraum, OP, Intensivstation. Kein Mensch kann in die Zukunft schauen, keiner weiß ob es am Ende „gut“ ausgeht. Ob sich der Kampf am Ende lohnen wird.
Aber deshalb direkt die Flinte ins Korn werfen?

Ich finde in diesem Fall einen Kompromiss sehr sinnvoll.
Ich möchte im Fall des Falles die Möglichkeiten der Intensivtherapie nutzen, ich möchte kämpfen. Ich bin bereit auch durch ein tiefes Tal zu gehen, aber nicht zu jedem Preis.
Was das heißt, darf ja zum Glück jeder selbst für sich entscheiden.

Weil ich eine Hilfestellung geben möchte und es mehrfach angefragt wurde, deshalb hier meine eigene #Patientenverfügung.

Noch ein paar Kleinigkeiten vorweg:

  • Skandal hin oder her – ich bin ein großer Unterstützer der Organtransplantation, daran ändern auch schwarze Schafe nichts. Das System an sich ist eine großartige Hilfe für Betroffene und sofern das für mich in Frage kommt unterstütze ich auch eine Organspende, der Passus unter Anhang 2 ist ggf. zu streichen.
  • An den Stellen die mit XXX gekennzeichnet sind, können eigene Daten eingetragen werden.
  • Eine Bestätigung/Beratung durch den Hausarzt kann man machen, notwendig ist das nicht!
  • Eine notarielle Beglaubigung mit so einem Wachssiegel sieht schick aus, das war es aber auch schon.
    Die einfache, persönliche Unterschrift genügt vollkommen.
  • ich habe eine dynamische Patientenverfügung, deren Inhalt sich nach Ablauf von 60 Tagen ändert. Warum mache ich das? Nun, weil ich zunächst mal möchte, dass alles gemacht wird um mich zu retten. Kinder, Familie, ein Haus das abbezahlt werden muss, ein eigenes Unternehmen… es gibt 1000 Gründe warum es sich lohnt zu kämpfen. Aber, man muss auch einsehen wenn der Gegner gewonnen hat. Als Wachkomapatient nur noch dahin zu vegetieren, Ballast für meine Familie zu sein, nur noch Kosten und Arbeit verursachen ohne echte Teilnahme am echten Leben? Das wäre nicht mein Ding, daher möchte ich dann lieber von dieser Welt gehen. Das Datum des ersten Aufnahmetags im erstversorgenden Krankenhaus entspricht in der Regel dem Beginn der Krankheit oder dem Unfallzeitpunkt. Um dies eindeutig zu definieren habe ich diese Formulierung gewählt.
    Würde man „ab der Krankenhausaufnahme“ sagen, könnten spitzfindige Wortverdreher daraus ja ableiten, dass ich zwar 6 Wochen in der Uniklinik und 4 Wochen im Grundversorgerkrankenhaus aber erst seit einer Woche in der Reha bin und das wären dann ja erst 7 Tage…
  • für juristische und/oder medizinrechtliche Beratungen und Verbesserungsvorschläge zur Formulierung stehe ich gerne zur Verfügung!


PATIENTENVERFÜGUNG

Ich Narkosedoc, geboren am XXX wohnhaft in XXX bestimme hiermit das folgende.  

Im Falle einer plötzlichen Erkrankung die es mir unmöglich macht einen eigenen Willen zu äußern oder diesen verständlich zu äußern, bestimme ich, dass für einen Zeitraum von 60 Tagen ab dem ersten Aufnahmetag im erstversorgenden Krankenhaus alles menschenmögliche getan wird um mein Leben zu retten und eine rasche Rehabilitation und Rückkehr in ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu fördern.
Für den Zeitraum von 60 Tagen ab dem Datum des ersten Aufnahmetages im erstversorgenden Krankenhaus stimme ich sämtlichen intensivmedizinischen Maßnahmen zu, dies beinhaltet und unter anderem auch:
– Reanimation (mechanisch und medikamentös)
– organersetzende Verfahren (Dialyse, ECMO u.a.)
– Beatmung (invasiv, nichtinvasiv und auch eine dillatative oder chirurgische Tracheotomie)
– antiinfektive Therapie
– künstliche Ernährung über eine Magensonde
– weitere intensivmedizinische Maßnahmen soweit nach Maßgabe der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sinnvoll und notwendig
Mit all diesen Maßnahmen bin ich für den genannten Zeitraum explizit einverstanden.

Ausnahmen:
Der Anlage einer PEG wiederspreche ich ausdrücklich und zwar auch für den Fall, dass eine langfristige Ernährung aufgrund erlittener Schäden durch Schlucktraining/Logopädie nicht ausreichend möglich sein sollte.

Kritische Reevaluation zur Fortsetzung medizinischer Maßnahmen nach dem Ablauf von 60 Tagen:

Sollte 60 Tage nach der ersten Krankenhausaufnahme im erstversorgenden Krankenhaus eine der folgenden Bedingungen zutreffen, so fordere ich eine umgehende Beendigung aller medizinischen Maßnahmen, auch unter Inkaufnahme des Todes. Hierzu gehören:

  • fehlende Fähigkeit mir persönlich nahe stehende Personen wie XXX zu erkennen
  • fortgesetzte Pflegebedürftigkeit entsprechend Notwendigkeit zur Dekubitusprophylaxe durch regelmäßige Lagerungsmaßnahmen
  • schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit entsprechend Pflegegrad III (drei) oder höher

Etwaige Deutungsungenauigkeiten sind im Zweifelsfall als „Bedingung zutreffend“ einzustufen.
Neurologische Spitzfindigkeiten sind zu ignorieren.
Die letzte Deutungshoheit über die Erfüllung oder Nichterfüllung einer Bedingung liegt bei XXX (hier Ehepartner/Lebenspartner o.ä. einfügen).

Sollte eine oder mehrere der genannten Punkte erfüllt sein so ist die Therapie unverzüglich einzustellen.
Dies beinhaltet:

  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer antiinfektiven Therapie
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer parenteralen Ernährung oder Ernährung über eine Magensonde
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer Beatmung (beinhaltet auch ggf. eine finale Extubation, finale Dekanülierung und/oder Beendigung der invasiven oder nicht-invasiven Beatmung)
  • Abbruch einer laufenden und Ablehnung der Neuaufnahme einer Katecholamintherapie
  • Ausschluss einer Reintubation
  • Entfernung eines liegenden sowie Ablehnung der Neuanlage eines Venenkatheters außer zur Applikation von Sedativa oder Analgetika

Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe ein schönes Leben gelebt.
Ich wünsche Beistand durch XXX sowie XXX wünsche explizit eine palliative Unterstützung im Sinne einer best supportive care ein. Dies beinhaltet insbesondere die großzügige Gabe von Sedativa (Lorazepam und andere) und Analgetika (Morphin und andere) auch unter Inkaufnahme eines Atemstillstands oder einer möglichen Lebensverkürzung.

Anhang 1: 
Sollte am Anfang der Kausalkette ein unnatürliches Ereignis (zum Beispiel ein Unfall) stehen und ich letztlich an einer natürlichen Erkrankung (zum Beispiel an einer Pneumonie) versterben so ist im Totenschein „unnatürlich“ anzukreuzen und auch die Kriminalpolizei zu informieren. Das fälschliche Ankreuzen einer „natürlichen Todesursache“ ist zumindest eine Ordnungswidrigkeit und kann unter Umständen einen Straftatbestand erfüllen.

Annex 2:
Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Gewebe zur Transplatation in Frage kommt gestatte ich dies explizit und vollumfänglich ohne Einschränkungen. Nur für diesen Fall bin ich auch mit einer Fortsetzung der invasiven Beatmung einverstanden zur Durchführung der Hirntoddiagnostik. Ich erteile der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) eine vollumfängliche Autorisierung zur Berichterstattung z.B. für Film- und/oder Fotoaufnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit soweit dies gewünscht ist.

Ich bin mir des Inhalts und der Konsequenzen meiner oben genannten Entscheidungen sehr bewusst und bestätige hiermit, dass ich diesen Text im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte verfasst habe.

______________________
Ort, Datum, Unterschrift

Vom Unfall bis zur Reha – so geht das.

Ihr fahrt auf der Autobahn, vor Euch leicht zäh fließender Verkehr. Der Verkehr wird dichter, die ersten machen ihr Warnblinklicht an.
Ihr versucht Euch wie ihr das vom Narkosedoc gelernt habt bei dem sich bildendem Stau sofort auf die linken beziehungsweise mittlere Spur zu wechseln weil ihr wisst, dass die mit Abstand schlimmsten Unfälle fast immer auf der LKW-Spur ganz rechts passieren.

So auch hier, plötzlich gibt es direkt hinter Euch einen heftigen Knall, eine Wolke aus Staub und Dreck legt sich über die Fahrbahn, Autoteile fliegen durch die Luft, danach Stille.
Es sind
die ersten Zehntelsekunden des Unfalls
die darüber entscheiden ob die entstehende Verletzung mit dem Leben vereinbar ist oder nicht. Der Abriss einer Hauptschlagader, eine geplatzte Herzhöhle – und das Leben ist hier vorbei, eine Rettung unmöglich.
Instinktiv bist Du an die Seite gefahren und stehst jetzt hinter dem Unfall.

Die ersten Sekunden nach dem Unfall.
Du wählst die 112 und Dein Handy wird automatisch an die für diesen Ort zuständige Leitstelle verbunden (genial, oder?). Der Leitstellendisponent wird Dich alles wichtige fragen.
Was ist passiert? Von wo rufen sie an? Wieviele Verletzte gibt es?
Außerdem wird es für den speziellen Notfall spezielle Fragen geben (ist die Fahrbahn noch frei oder stehen die Autos quer? Konnten sich die beteiligten Personen selber aus dem Fahrzeug befreien?).
Nun wird entsprechend dem Meldebild ein Hilfskonvoi alarmiert. Der besteht in so einem Fall meistens aus Polizei (die regeln alles rund um Aufnahme des Unfalls, Absperrung bis zur Reinigung und Freigabe der Autobahn), Feuerwehr (sichert die Unfallstelle gegen entstehendes Feuer ab, kann eingeklemmte Personen befreien und noch viel mehr!), Rettungsdienst meist mit RTW und Notarzt, bei entsprechendem Szenario wird meist auch parallel ein Rettungshubschrauber mit alarmiert.
Der Patient selber hat zwar schwere Verletzungen die vielleicht nicht stundenlang aber doch so lange zu überleben sind, bis professionelle Hilfe eintrifft. Der Körper schüttet körpereigene Schmerzmittel und kreislaufstabilisierende Moleküle aus um diesen Zustand zu überleben.

Die kritischen 60 Minuten – „the golden hour of shock“ 
Die Autobahn wird im Anschluss dann durch die meist zuerst eintreffende Polizei abgesperrt so dass der Hubschrauber dahinter landen kann. In Zusammenarbeit wird die Unfallstelle abgesichert und versucht die Patienten schnellstmöglich und dem Verletzungsmuster enstprechend schonend zu retten. So schnell wie möglich, so sorgfältig wie nötig. Ein Patient mit drohender Querschnittsverletzung ohne sonstige Probleme muss so schonend wie möglich gerettet werden. Ein stark blutender Patient wird zur Not egal wie und so schnell wie irgend möglich aus dem Fahrzeug gerettet (Crash-Rettung).
Das alles findet immer in sehr enger Absprache zwischen dem Notarzt, dem Rettungsdienst, dem Einsatzleiter der Feuerwehr und auch der Polizei statt. Sobald ungefähr klar ist was für Probleme der Patient hat wird zum Beispiel der Rettungsassistent des Rettungshubschraubers versuchen ein Bett für den Patienten zu organisieren.
Jetzt klingelt in einer großen Klinik die auf die Versorgung von Schwerverletzten spezialisiert ist (meist eine Uniklinik oder eine sgn. BG-Klinik) das rote Telefon. Die Klinik bekommt eine ungefähre Info darüber was sie wann erwartet.
Nachdem der Patient gerettet ist wird meist eine Erstversorgung entweder noch auf der Straße oder im bereitstehenden RTW gemacht. Nach Stabilisierung, Ergänzung intensivmedizinischer Maßnahmen (Narkoseeinleitung, Thoraxdrainagen o.ä.) erfolgt meist der Transport in den Rettungshubschrauber.
Der Rettungsassistent sichert den startenden Hubschrauber ab, der Notarzt kümmert sich weiter um den Patienten. Meist wird jetzt nochmal das aufnehmende Krankenhaus direkt informiert.
„Der Christoph 1 hier, wir landen um 17:20 Uhr mit einem Polytrauma bei Euch, SHT, instabiles Thorax- und Beckentrauma, intubiert, beatmet“.
In der Klinik wird nun das Schockraumteam alarmiert. Bei uns läuft das so, dass man an einem kleinen Rädchen die Uhrzeit einstellt und daneben einen roten Buzzer drückt. Dann bekommen alle für den Schockraum zuständigen Kräfte auf ihr Telefon einen Alarm der z.B. „Schockraum 17:20 Uhr“ anzeigt. Man kann auch einfach so den Buzzer drücken dann wird es ein „Schockraum SOFORT!“ das gibt den besonderen Extra-Kick 😉
Die Zeit vom Ereignis des Unfalls bis zur Übergabe in der Klinik sollte nicht länger als eine Stunde dauern. Alles was darüber hinaus geht ist mit einer deutlich erhöhten Tödlichkeit verbunden.

Das Team wird also mit dem Patienten landen, warten bis die Turbinen etwas abgekühlt und schließlich ausgeschaltet sind (das dauert nun mal zwei Minuten) und im Anschluss den Patienten ausladen und in den Schockraum bringen. Hier steht ein Team bereit, dies besteht meist aus:
Schockraum Teamleader (meist ein Arzt der Anästhesie oder Chirurgie)
Facharzt / Fachärztin Anästhesie (kümmert sich primär um Sicherung des Atemwegs, Stabilisierung des Kreislaufs etc.)
Anästhesie-Pflegekraft (nimmt Blut ab, bereitet Medikamente vor und appliziert sie, macht Narkose, assistiert dem Anästhesisten, behält den Überblick und macht 1000 Dinge mehr…)
Facharzt / Fachärztin Chirurgie (macht die erste Ultraschallaufnahme des Bauches und der Lungen und schaut ob irgendwo Flüssigkeiten sind die da nicht hingehören, legt b.B. Thoraxdrainagen)
Chirurgie-Pflegekraft (entkleidet den Patienten komplett – falls nicht schon geschehen – und assistiert dem Chirurgen z.B. bei der Anlage der Thoraxdrainagen)
Notaufnahme-Pflegekraft (kümmert sich um die Anlage eines Blasenkatheters, nimmt Blut ab, bringt dies zur Blutbank/Labor)

im Standby stehen
Facharzt / Fachärztin Neurochirurgie (macht vor der Bildgebung eine erste Basisuntersuchung, insbesondere wenn der Patient noch wach ist)

Facharzt HNO / Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie / Urologie und andere – je nach angemeldetem Verletzungsmuster

Dieses Team kümmert sich nur und ausschließlich um einen einzigen Patienten. Es ist die maximale Versorgungsstufe die wir leisten können, es gibt keine weitere Eskalation. Alle Technik und alle medizinischen Maßnahmen die überhaupt nur verfügbar sind werden eingesetzt um dieses eine Menschenleben zu retten. Das sieht chaotisch aus, läuft aber wie ein Uhrwerk nach einem Muster welches wir immer und immer wieder trainieren.
Deshalb ist es auch nicht förderlich wenn im Schockraum Praktikanten und Famulanten herumstehen die sich das mal ansehen wollen. Da sie es aber ja doch irgendwie lernen müssen bekommen Bystander bei uns hellblaue Umhänge angezogen (weil die Wände auch hellblau sind und sie so am ehesten nicht wahrgenommen werden) und müssen in einem auf dem Boden markierten Bereich stehenbleiben. Aus diesem dürfen sie nicht heraustreten, bis der Patient den Schockraum wieder verlassen hat.
Der Boden sieht sowieso wie in einer Turnhalle aus. Alles ist farbig eingezeichnet und hat einen festen Standplatz. Der Parkplatz für die Trage des Rettungsdienstes, der Parkplatz für unsere Traumaliege (die man direkt ins CT schieben kann), sogar unsere Beatmungskiste hat einen eigenen Parkplatz (und weil der Parkplatz für die Anästhesie blau ist hat irgendwann mal jemand eine Parkuhr drangehängt).
Abhängig vom Krankheitsbild gibt es ein abgestuftes weiteres vorgehen.

Extrem selten (wenige Male im Jahr) – der Patient wird noch im Schockraum notfallmäßig operiert (am Bauch, an der Luftröhre etc.) weil ein Transfer in den OP zu viel Zeit kosten würde

Selten
(wenige Male im Monat) – der Patient wird direkt in den OP gebracht, es wird keine weitere Bildgebung gemacht, der Patient wird sofort notoperiert aber mit den sterilen Bedingungen und der technischen Ausrüstung eines echten OP-Saales

Regelhaft wird der Patient nach einer kurzen Diagnostik- und Stabilisierungsphase unverzüglich in die Röhre geschoben – das heißt Computertomografie von der Locke bis zur Socke. Dabei entstehen weit über 1500 Bilder die sich der Radiologe (der nächste Facharzt im Bunde…) nun zügig anschauen muss. Das geht nach der radiologischen Devise – find first what kills first. Erstmal nach dem schauen, was den Patienten umbringt, den inkompletten Leistenbruch kann man dann hinterher noch dazu diktieren, das ist in der Regel nicht das akute Problem.
Auf Grundlage des Zustands des Patienten und der Ergebnisse der Diagnostik wird dann entschieden ob der Patient direkt in den OP geht oder erstmal auf die Intensivstation.

Die nächsten 24 Stunden  
Von der Akutphase auf der Autobahn wo Sekundenbruchteile über Leben und Tod entscheiden dehnen sich die relevanten Zeitabstände immer weiter.
Die ersten 24 Stunden werden zeigen wie der Körper es schafft mit den teils massiven Verletzungen umzugehen. Es stehen dramatische Veränderungen an, die den Kreislauf, die Blutgerinnung und Entzündungsmechanismen betreffen die auch ganz ohne Bakterien erhebliche Probleme verursachen können. Mit moderner Intensivmedizin kann der mit Abstand größte Teil der Patienten die es bis hier geschafft haben auch langfristig gerettet werden.
Die Beatmungstherapie, die Stabilisierung der Blutgerinnung, ein geregeltes Temperaturmanagement, die Vermeidung von weiteren Komplikationen wie Lungenentzündungen und Thrombosen und viele weitere Dinge müssen in einem komplexen Zusammenspiel von Ärzten, Pflegekräften, Spezialisten und den Angehörigen gemeistert werden.

Die nächsten Wochen
Der Patient wird manchmal schon nach wenigen Stunden, manchmal erst nach mehreren Tagen von der Beatmungsmaschine entwöhnt und kann aus dem künstlichen Koma erwachen. Je nach der erlittenen Schädigung kann dies auch mehrere Tage dauern.
Jetzt steht die Physiotherapie, ggf. auch Logopädie, Ergotherapie und andere ergänzende Therapieangebote im Vordergrund. Außerdem muss weiterhin kontinuierlich darauf geachtet werden, dass zum Beispiel die Magenschleimhaut keinen Schaden durch die Schmerzmittel nimmt und dass die Bettlägerigkeit nicht zur Ausbildung von Thrombosen führt.
Hauptziel ist es jetzt für den Patienten eine Anschlussheilbehandlung (früher auch Reha genannt) zu finden um schnellstmöglich eine Wiedererlangung der Selbständigkeit des Patienten zu gewährleisten.

Und für alle die sich das durchgelesen haben gibt es an dieser Stelle noch ein sehr empfehlenswertes Video.
Das Team vom SWR wollte eine Reportage über den Rettungshubschrauber drehen und war somit zufällig mit dabei als Marcelo in der Schule aus dem Fenster fiel. Das Team entschied sich dafür nicht nur den Unfall und die Erstversorgung (die schön zeigt was da so alles schief gehen kann) zu zeigen sondern auch die nächsten Tage, Wochen und Monate Maurice zu begleiten.
Sehenswert, in jeder Hinsicht.

Status aktualisieren – eingeklemmt

Ich war gestern bei einem Unfall auf der Autobahn.

Freie Sicht, 10 Grad Außentemperatur und eine trockene Fahrbahn. Keine Baustelle, keine Hindernisse, eine freie gerade (!)  Strecke soweit man schauen kann.

Du hängst in Deinem zerknautschten roten Kleinwagen, dieser liegt auf dem Dach. Du bist ohne Bremsspur in den Graben gerast, hast Dich mehrfach überschlagen, die Autobahn ist übersät mit einem Gemisch aus Autoteilen, Trümmern der zerrissenen Leitplanke und jeder Menge hochgeschleuderter Erde.

Man fragt sich unweigerlich – wie kann sowas passieren?

Mit dem Handy gespielt? Vielleicht. Es bleibt Spekulation.

Ich empfinde es aber rein subjektiv so, dass seit der flächenmäßigen Benutzung von Smartphones solche Unfälle stark zugenommen haben. LKW-Fahrer die ungebremst in ein Stauende rasen. Hat es früher auch schon mal gegeben, aber gefühlt kommt das heutzutage sehr viel häufiger vor.

Ich habe dafür keine Statistik, es entspricht nur meiner Wahrnehmung.

 

Das obige Video ist sicher allen bekannt, oder?
Es ist schwer zu ertragen. Die Geräusche und das Schreien der Verletzten tut weh und aus Erfahrung kann ich sagen – es ist genau so. Jeder Unfall brennt sich ein bißchen in die Seele ein.  Für jede Feuerwehrfrau, für jeden Notarzt, für die Polizisten und die umstehenden, unverletzten Unfallbeteiligten.

Das Video kommt aus einer Zeit, als man SMS schrieb und diese SMS auch noch Geld kosteten. Heute gibt es Facebook, Instagram, Twitter, iMessage und Whatsapp und 1000 Dinge mehr und das für eine Flatrate, außerdem muss man auch auf allen Kanälen up-to-date bleiben weil sonst würde man ja verpassen, dass Michaela auf Bali gerade einen super leckeren Cocktail schlürft. Mit Foto von dem Cocktail, nicht von Michaela. Dafür mit fancy Hashtags.

Michaela: Super lecker. #bali #cocktail #timeforus #liveyourdream

Und natürlich kann Sie sich auf ihren Freundeskreis verlassen die jetzt und sofort „gefällt mir“ klicken, Michaela sitzt ja jetzt auf Bali und schaut auf ihre Schreppe und wartet auf Rückmeldung.

DING!

Karsten: *gefällt mir*

DING!

Carina: *gefällt mir*

DING!

Jenny: Sieht lecker aus!

DING!

antwort von Michaela: Ja, köstlich!

DING!

Steffi: *gefällt mir*

DING!…

So weit, so belanglos. Sie könnte sich eigentlich auch mit ihrem Gegenüber unterhalten, aber der schickt „den Jungs“ gerade ein Foto von dem Flatrate-Sauf-Armband – umgehendes Feedback garantiert.

DING!

Andi: Gas geben! #ballern #fürlau #flatrate #urlaub #träumenichtdeinlebenlebedeinentraum

Wolle, Marc und 21 anderen Personen gefällt das.

DING! DING! DING! DING…

 

Man könnte jetzt meinen das wäre alles belanglos. Sollen Andi und Michaela doch ihre Nachrichten und Feedbacks in die Welt schicken, was geht mich das an?

Die Michaelas und Andis dieser Welt tun das nicht nur in Bali im Urlaub. Sie chatten, texten und liken überall, auch im Auto, auch als Fahrer oder Fahrerin. Sie programmieren ihr Navi, machen ein Foto vom Kilometerstand (100.000!!!) und checken das Makeup per Selfie.

Vielleicht suchen Sie auch nur einen Burgerbrater entlang der Route und tippen dafür ein bißchen auf dem Glasdisplay rum.

Guckt nach vorne

tippt

tippt

guckt

tippt

tippt

aargh – vertippt, korrig

UPS! Etwas nach links verzogen aber hey! ist nichts passiert, linke Spur war ja zum Glück frei also…

tippt

guckt…

Wer so wie ich viel im Auto und auf Autobahnen unterwegs ist sieht es jeden Tag. Autos die bei Tempo 100 plötzlich vom Gas gehen und an Geschwindigkeit verlieren, dann wieder Gas geben und das ganze von vorne.

Nur eben am Navi geguckt ob es eine schnellere Route gibt.

Autos die ganz langsam zu einer Seite abdriften und dann ruckartig wieder in die Spur zurückfinden.

Müde? Vielleicht. Abgelenkt? Schon eher.

Es ist Spekulation weil ein eindeutiger Nachweis ausbleibt, aber wenn im europäischen Mittel die Anzahl der Verkehrstoten und der Verletzten im Mittel zunimmt, dann muss man sich schon nach den Ursachen fragen. Die Franzosen haben das getan und – die Geschwindigkeit auf Landstraßen gesenkt.

Weil alkoholisierte Autofahrer und der Gebrauch von Smartphones als Problem erkannt wurden senkt man die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Das finde ich in etwas so als wenn mein Kind ein Problem mit Alkohol hat und zu viel am Handy rumhängt und ich deshalb die tägliche Spielzeit an der Konsole von 3 auf 2,5 Stunden reduziere. Oder so.

In Deutschland kostet die Handynutzung am Steuer nur 100€ und die werden den wenigsten Autofahrern wirklich weh tun, den Punkt in Flensburg kann man auch verschmerzen.

Die schönsten Strafen bringen aber nichts wenn keine Kontrollen stattfinden. Kontrollen gegen eine unerlaubte  Handynutzung am Steuer sind sehr selten, das Risiko erwischt zu werden geht gefühlt gegen Null.

Kein Statusupdate, kein Foto auf Instagram, kein Like oder Dislike, kein  Ich-komme-später und kein Holst-Du-die-Kinder-ab ist ein Leben wert. Nicht das eigene und nicht das eines anderen Menschen.

Ich glaube ja, dass es erst wieder zu einem Rückgang der Unfallzahlen kommt, wenn selbstfahrende Autos zum Alltag gehören. Ob wir das mögen oder nicht, mit Vernunft ist da nichts zu machen. Da können die schönsten Aufklärungskampagnen laufen, der Mensch wird immer wieder zum Handy greifen. Ist ja nur mal eben kurz.

Und wenn das Auto selber fahren kann, dürfen Michaela und Andi endlich liken und tippen bis zur Rhizarthrose. Bis die erschwinglich und eingebauter Standard sind müssen sich die Michaelas und Andis dieser Welt zwischen dem Blick auf die Straße und dem Blick aufs Handy entscheiden.

Gruppe „Kindergarten Mitte“

72 Teilnehmer

DING!

Michaela: „Andi hatte einen schweren Unfall, er liegt auf der Intensiv. Wir kommen heute nicht zum Elternabend“

DING!

Karin: Oh je, gute Besserung!

DING!

Katja: Alles Gute!

DING!

Stefan: Gute Besserung!

DING!

Sven: Ich hatte auch mal einen Unfall. Get well soon!

DING!

Frank: Gute Besserung!

Mein Beileid.

http://www.rp-online.de/nrw/staedte/viersen/lkw-unfall-auf-a61-bei-viersen-abschied-von-getoeteter-polizistin-aid-1.7291467

Ich möchte den Kollegen und Kolleginnen sowie vor allem den Hinterbliebenen der getöteten Polizistin mein Beileid aussprechen.
Denen die noch mit ihren Verletzungen kämpfen wünsche ich baldige Genesung und die besten Ärzte und Pflegekräfte.
Den Kollegen und Kolleginnen die Angst und Sorge um ihre Freunde, Partner und Mitarbeiter haben wünsche ich viel Kraft und guten Mut und dass die Menschen um sie herum sie stützen und stärken können.

Als Notarzt im Rettungsdienst kann ich nur nochmal betonen wie froh und dankbar ich bin, dass es Euch gibt. Ihr kommt zur Hilfe wenn es brennt, ihr rast mit lebensgefährlicher Geschwindigkeit genau da hin wo Menschenleben bedroht werden. Ihr fürchtet keinen Attentäter und stellt Euch schützend vor die Schwächeren. Zu allem Übel müsst ihr Euch für Euren ehrenwerten Dienst entwürdigende Beleidigungen anhören.
Beleidigungen von Menschen die an sich selbst oder am Leben gescheitert sind. Menschen die ihr auch beschützt, auch wenn ihr sie nicht mögt.
Ich habe Polizisten bei deeskalierenden Maßnahmen erlebt was mich tief beeindruckt hat. An einem Moment an dem ich schon längst ausgerastet wäre, bleibt ihr ruhig und sachlich, versucht die Situation zu entspannen.
Ihr seid an Heiligabend und Silvester und an Omas Geburtstag im Dienst und verpasst im besten Fall nur Omas legendäre Buletten. Eure Partner brauchen Verständnis für einen Beruf der viel von der Familie fordert.
Ihr müsst Dinge sehen die sich in die Seele brennen, die verarbeitet werden müssen und die vielleicht langfristig dazu führen dass ihr krank oder sogar berufsunfähig werdet.
Da finden sich viele Parallelen zum Rettungsdienst, trotzdem halte ich unseren Beruf im Vergleich zu Eurem Beruf für sehr viel ungefährlicher.
Bei uns steht an erster Stelle die Eigensicherung. Vor dem ABCDE kommen die 5-Sekunden-Rundumblick ob die eigene Sicherheit gegeben ist. Falls nicht holen wir Euch.

So wie der Autofahrer der den LKW bemerkte der in Schlangenlinien fuhr. Ihr wolltet schlimmeres verhindern, habt durch Euer Eingreifen vielleicht verhindert, dass der 40-Tonner 15km weiter einen Opel Corsa mit Kleinfamilie zermalmt.
Was dann passierte ist im Einsatz zumindest jederzeit möglich. Ihr seid Euch der Gefahr bewusst und nehmt die Herausforderung trotzdem an. Weil ihr Euch dem Beruf und dem Dienst an der Gesellschaft verpflichtet fühlt.
Deshalb an dieser Stelle und weil ich jedes Mal innerlich erleichtert aufatme wenn ich Euer Auto an einer Einsatzstelle sehe –

Danke.