Echte erste Hilfe nach Verkehrsunfällen

Die Situationen sind genau so selten wie stressig.
Szenario 1: 
Mein Vater war im Urlaub unterwegs in den Alpen. Auf der Autobahn platzt ein Reifen, das Auto rammt den Mittelstreifen, gräbt sich im Grünstreifen ein, überschlägt sich zwei mal, eine Person wird herausgeschleudert, der PKW bleibt quer auf der Fahrbahn stehen.
Szenario 2: 
Wir waren auf dem Weg zur Taufe meiner Nichte. Ein Motorradfahrer verschätzt sich, wird in einer engen Kurve einer abgelegenen Landstraße nach außen getragen und kollidiert mit einem Camper. Er liegt stöhnend am Fahrbahnrand, hält sich den Bauch und das Becken.  
Szenario 3: 
Meine Nachbarin war auf dem Heimweg vom Badenachmittag an einem Naturfreibad.
Ein Motorradfahrer will zwei PKW überholen, beschleunigt stark. Der vordere PKW schert aus um unvermittelt nach links in einen Feldweg abzubiegen. Das Motorrad kann nicht mehr ausweichen und schlägt am Heck des PKWs ein. Das Motorrad zerreißt in zwei Teile, der Motorradfahrer bleibt regungslos liegen. 

Diese drei Szenarien sind genau so passiert.
In allen Situationen gab es einen oder mehrere Schwerverletzte. Alle trafen mich oder meinen Vater oder meine Nachbarin völlig unvorbereitet.
Was kann man jetzt praktisch tun?
Ich denke man sollte schon nach Qualifikation der Ersthelferausbildung und vielleicht auch nach der Verfügbarkeit von Erste-Hilfe-Möglichkeiten unterscheiden. Aber man muss nicht Arzt/Ärztin sein, um qualifiziert helfen zu können. 
Was kann jeder tun: 
Als erstes – die Unfallstelle absichern! 
Zieht Euch eine dieser neongelben Sicherheitswesten an, die jeder in Anzahl der mitreisenden Personen mitführen muss. Und dann das wichtigste: Ruhe bewahren. 
Hierfür hilft es sich immer mal wieder während einer Autofahrt zu visualisieren – was würde ich jetzt tun, wenn jetzt der PKW vor mir bei dem riskanten Überholmanöver verunfallt? Und dann eine möglichst logische, vollständige Liste abarbeiten. Wem das hilft, der kann sich auch eine Checkliste dafür ins Auto legen. 
Bin ich alleine im PKW unterwegs stelle ich das Auto quer VOR die Unfallstelle. Mein eigenes Auto ist dann wie ein Rammbock. Habe ich noch Familie dabei, versuche ich hinter die Unfallstelle zu fahren und sichere nach vorne ab. 
Wanrblinkanlage an, bei Dämmerung oder Dunkelheit nutze ich zusätzlich LED-Powerflares. Die kosten ca. 10€ das Stück, findet man unter „Powerflare Akku LED Signallicht“ oder ähnlich (ich darf die nicht verlinken, sonst wäre es  Werbung). Ich habe davon drei im Auto, so sollten mindestens zwei immer funktionieren. 
Die Akkus halten ewig, muss ich nur alle paar Monate mal aufladen. 

Ist die Einsatzstelle gesichert hilft es sich einen groben Überblick zu machen: wie viele Verletzte gibt es und wie schwer sind sie verletzt. Wie findet man das raus? Da gibt es einen Trick: 
Menschen die eingeklemmt sind und nicht selber aus dem verbeulten Fahrzeug kommen gelten als akut lebensbedroht („rot“), ebenso alle die irgendwo liegen. Wer sitzen aber nicht stehen oder laufen kann, aber trotzdem beeinträchtigt wirkt kann als potenziell schwerverletzt („gelb“) eingeteilt werden. Wer laufen kann gilt als leicht verletzt oder gar nur Betroffener („grün“).
Jetzt folgt der Anruf bei der 112: Hilfe holen!
Der Disponent/die Disponentin wird Euch durch die Fragen führen. Wo ist der Unfallort passiert – das ist auf der Autobahn nicht ganz so einfach, aber dazu wird man Euch Hiflestellungen geben.
Dann solltet ihr kurz beschreiben was ihr seht, wie viele Fahrzeuge verunfallt sind und ob es Besonderheiten gibt wie z.B. das ein Fahrzeug auf dem Dach liegt. Dann wäre eine ungefähre Schätzung der Verletzten gut, z.B. „da ist noch einer drin, der kommt nicht raus, zwei sind rausgekrabbelt, die liegen am Straßenrand, und einer sitzt da, der kann nicht aufstehen“. Gute LeitstellendisponentInnen können das interpretieren und Euch jetzt schon die adäquate Hilfe auf den Weg schicken. Noch während ihr mit der Leitstelle telefoniert geht dann z.B. bei mir der Melder und wir machen uns auf den Weg.
Was kann man nun für die Schwerverletzten tun?
Jede Menge!
Vor allem – traut Euch. Ihr könnt – wie so oft – kaum was falsch machen, außer wenn ihr nichts macht. Achtet immer, immer, immer auf die eigene Sicherheit!
Es nützt niemandem etwas, wenn ihr Euch in Gefahr begebt oder weitere Fahrzeuge in die Unfallstelle rasen. Sobald ihr sicher seid könnt ihr zu einer schwerverletzten Person gehen und diese informieren, dass Hilfe unterwegs ist. Sowas banales, oder? 
Aber genau das hilft!
Wer mal im Auto eingeklemmt war weiß, zu wissen, dass Hilfe unterwegs ist, ist die halbe Miete. Rettung ist auf dem Weg!
Bleibt bei dieser Person, bleibt ansprechbar. Versucht der Person die Lagerung zu erleichtern. Vielleicht kann man eine Jacke unter den Kopf legen falls das Auto auf der Seite liegt.
Habt ihr einen schwer verletzen und vielleicht sogar bewusstlosen Motorradfahrer, dann solltet ihr auch auf jeden Fall den Helm abnehmen (https://narkosearzt.wordpress.com/2019/02/24/stabile-seitenlage-und-helm-ab-oder-etwa-doch-nicht/).
Gerade bei Regen oder kalter Witterung, im Grunde genommen aber immer außer wenn es 35° hat, solltet ihr die Person warm halten. Sucht Euch Jacken zusammen, fragt umstehende Personen und bittet sie nach Decken/Fliesjacken. Eigene Jacken sind deswegen super weil sie durch die eigenen Körperwärme vorgewärmt sind und außerdem ist es ein schöner Akt von Nächstenliebe.
Ich habe auch schon mangels Alternativen Unfallopfern meine warme Notarztjacke angezogen. Kommt danach in die Wäsche und gut ist.  
Ihr seht schon jetzt, man kann viel machen! Und für nichts davon muss man Notarzt oder Notärztin sein.
Wiederholung:
1) Unfallstelle absichern, ggf. eigenen PKW dafür nutzen
2) Sicherheitsweste anziehen
3) Überblick machen und 112 (Rettungsdienst/Feuerwehr) anrufen 
4) bei Schwerverletzten bleiben, Hilfe anbieten, Wärme erhalten

Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür.
Was mache ich wenn jemand wirklich viel blutet. Und wann blutet jemand viel?
Blutende Wunden haben die Eigenschaft sehr spektakulär auszusehen, auch wenn eigentlich noch gar nicht viel Blut geflossen ist. Viel Blut ist es immer dann, wenn es sich in Pfützen sammelt oder z.B. die Straße runter läuft. Dann sind es in der Regel deutlich mehr als 500ml Blut und das wird für diese Patienten potenziell kritisch. Das tückische ist – selbst wenn der Rettungsdienst rechtzeitig kommt, kann dieser Blutverlust in den ersten 10 oder 20 Minuten ausreichen, dass die Patienten hinterher (nach 24 Stunden) versterben. Es ist also immens wichtig diese Patienten von Anfang an warm zu halten und die Blutung zu stoppen.
Das geht ganz einfach – indem man dort wo das Blut rauskommt, Druck ausübt. Das kann man mit einem zusammengeknüllten Tuch (Dreiecktuch aus dem Erste-Hilfe-Kasten!) oder hervorragend auch mit einem T-Shirt machen. Dieses möglichst eng und fest in die Wunde drücken und von außen auf die Wunde drücken. Gegendruck verhindert, dass weiteres Blut verloren geht. 
Hier ist es etwas genauer beschrieben (https://www.drk.de/hilfe-in-deutschland/erste-hilfe/blutungen-und-blutstillstand/blutungen/) aber – macht da keine Raketenwissenschaft draus! 
Druck auf die Blutung, egal wie!
Mit dieser einfachen Maßnahme kann man ohne Witz ganz konkret Leben retten. Wenn wir nach 10 Minuten mit dem Rettungshubschrauber angeblasen kommen, dann sieht das zwar sehr spektakulär aus, aber wenn der Patient bis dahin schon 2 oder 3 Liter Blut verloren hat, dann werden wir für diesen Patienten gar nichts mehr ausrichten können.  

Also 
1) Unfallstelle absichern, ggf. eigenen PKW dafür nutzen
2) Sicherheitsweste anziehen
3) Überblick machen und 112 (Rettungsdienst/Feuerwehr) anrufen 
4) bei Schwerverletzten bleiben, Hilfe anbieten, Wärme erhalten
5) schwere, kritische Blutungen stillen 

Und zuletzt – wenn die ersten professionellen Retter kommen und die Einsatzleitung übernehmen, dann scheut Euch nicht selber um Hilfe zu bitten. 
Es gibt exzellente PSU-Teams, die das oft noch an Ort und Stelle mit Euch besprechen. Die Euch ein professionelles Feedback geben können, was die Einsatzkräfte jetzt tun. 
Das hilft ganz entscheidend bei der Verarbeitung. 
Auf keinen Fall solltet ihr die Fahrt einfach so fortsetzen. Das Risiko ist zu hoch selbst einen Unfall zu bauen, weil ihr mit den Gedanken ganz woanders seid. 

Ich hoffe das hilft Euch wenn ihr das nächste Mal zu einem schweren Verkehrsunfall kommt. 
Jede Hilfe ist besser als keine. 
Danke für Euren Einsatz und schreibt mir gerne mal was ihr so erlebt habt und wie ihr helfen konntet! 

Stabile Seitenlage und Helm ab – oder etwa doch nicht?

Ersthelferkurse.
Man findet sie meist an einem Samstag durch einen dieser Kundenstopper vor einer dieser Apotheken, 2. Etage rauf, 3. Tür links, nehmen Sie Platz, bitte, danke.
Und dann geht es los. Wie war der richtige Druckpunkt für die Reanimation nochmal? Zwischen den Brustwarzen, dann vier Finger rauf oder doch drei runter? Meine Finger oder die vom Patienten? Ach so einfach in der Mitte? Bei Kindern auch? Und wenn das weh tut? Und wenn ich eine Rippe breche?
Und in dem ganzen Wirrwarr kommt dann die Erlösung – die stabile Seitenlage. Die ultimative Entschuldigung für alle die nicht mehr wissen was sie genau machen sollen – ab mit dem Patienten in die stabile Seitenlage.
Wenn ich jemanden finde der gerade stirbt, lege ich ihn einfach in die stabilie Seitenlage. Das sieht super aus und klingt auch noch gut.
Stabil, da denkt man an ein stahlverzinktes Schwerlastregal. 112, Seitenlage, fertig.
Im Fernsehen sieht man das ständig, dann muss es ja richtig sein.
Wenn es da nicht ein großes Problem gäbe… bewusstlose Menschen haben so gut wie immer ein erhebliches Kreislaufproblem – um nicht zu sagen, die meisten sind tot und eben nicht bewusstlos.
Die stabile Seitenlage wurde für Menschen gedacht die mit stabilen Kreislaufverhältnissen und eigener Atmung eigentlich so aussehen als wenn sie schlafen, nur dass ihnen die sgn. Schutzreflexe fehlen. Der Schutzreflex setzt ein, wenn wir einen Schluck Wasser in die Luftröhre bekommen. Wir können gar nicht anders als diesen hoch zu husten.
Wenn also ein Bewusstloser der diese Schutzreflexe nicht mehr hat auf dem Rücken liegen bleibt und erbricht, dann macht es kurz schwapp! und die ganze Soße läuft in die Luftröhre, in die Lunge und der Bewusstlose erstickt daran. Die Idee ist, dass man den Bewusstlosen auf die Seite dreht, so dass noch zu Erbrechendes den Weg nach draußen findet.
Eine eher theoretische Konstellation, denn die meisten Bewusstlosen die man so da draußen finden wird, sind nämlich deswegen bewusstlos, weil sie keinen Kreislauf mehr haben. Die sind  reanimationspflichtig, müssen also wiederbelebt werden.
Nicht zu drücken (also eine Herzdruckmassage auf dem Brustkorb anzufangen) und nur die 112 zu wählen in Kombination mit der stabilen Seitenlage ist schlicht und ergreifend sinnlos.
Die stabile Seitenlage ist ebenso wie das völlig überschätzte Dreiecktuch (sic!) über Jahrzehnte in die übermüdeten Gehirne gelangweilter Teilnehmer von Ersthelferkursen eingetrichtert worden.
Das Problem – was ursprünglich mal als Hilfe gedacht war, führt dazu, dass gut gemeinte Maßnahmen (oder auch die bewusste Unterlassung von Maßnahmen) dazu führt, dass tote Menschen nicht als solche erkannt werden und keine Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden.
Keine Atmung oder eine komische Atmung? Dann 112 wählen und mit der Herzdruckmassage starten. Keine Ausreden.
Es ist so einfach und es ist so hilfreich.

Am Ende gehen doch die meisten aus dem Kurs und sind völlig verwirrt wegen der ganzen Details und Ausnahmen.
Lieber nichts machen, bevor ich irgendwas falsch mache.
Genau das kommt raus, wenn man erste Hilfe so kompliziert macht und da müssen wir anpacken. Ich finde wir sollten die stabile Seitenlage gar nicht mehr unterrichten, sie ist in sehr seltenen Fällen wirklich nützlich und am Ende verwirrt sie die Teilnehmer nur.
Lieber nichts machen, bevor ich irgendwas falsch mache.

Würden wir uns bei einem brennenden Weihnachtsbaum auch so verhalten?
Kein C-Rohr im Haus? Kein Schaumwerfer griffbereit? Dann rufen wir lieber die 112 an und warten auf die Profis?
Nein, natürlich würden wir losrennen und einen Eimer Wasser drüber kippen, wir würden im Erstangriff vielleicht die Blumen aus der Vase reißen und das olle Blumenwasser drüberschütten. Wir würden versuchen lieber irgendwas zu machen, bevor wir nichts tun.

Und wie war das jetzt nochmal mit dem Helm?
Da war doch was, wie war das nochmal.
Wenn die Halswirbelsäule gebrochen ist, aber das Rückenmark vielleicht noch nicht beschädigt ist und der Motorradfahrer wach ist, dann ist es nochmal anders als wenn der bewusstlos ist und am Ende denkt man sich dann – boah, komm, lass drauf. Fertig.

Wenn man den Versuch macht im Internet nachzugucken ob man den Helm beim verunfallten Motorradfahrer abnimmt, bekommt man erstmal nicht die Antwort auf das ob sondern darauf wie man den Helm abnimmt.
Das wird dann schnell kompliziert und überhaupt könnte da ja was gebrochen sein und dann, ja dann (hier mahnend fuchtelnden Zeigefinger einfügen!) wenn man den Helm jetzt falsch abnähme, dann macht man dem das Genick kaputt. Rollstuhl olé, dank falscher Ersthelfermaßnahme. Das ist großer, ausgemachter Blödsinn!
Und jetzt nochmal für alle zum mitsingen: der Helm muss ab!
Immer? Ja, immer.
Der Hintergrund ist ganz einfach – grundsätzlich wird ein Motorradfahrer immer seinen Helm selbst abnehmen. Wenn er es denn noch kann.
Wenn nicht – dann muss es diesem Motorradfahrer schon ziemlich schlecht gehen. Damit hat sich ganz selbständig die Patientengruppe herausgefiltert die am allermeisten von der Helmabnahme durch den Ersthelfer profitiert – die mit eingeschränktem Bewusstsein oder nicht ausreichender Atmung.
Der Helm muss ab – so einfach ist das.
Nur wenn der Helm ab ist, lässt sich beurteilen ob der Verunfallte noch atmet, ob vielleicht sogar Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden müssen.

Ich hoffe nicht, dass in Erste-Hilfe-Kursen noch das Märchen von der Querschnittslähmung durch eine unachtsame Helmabnahme erzählt wird. Das ist grober Unfug und gefährdet Menschenleben!
Ein Unfall der ausreicht den Knochen zu zerstören hat so viel Energie, dass das geleeartige Myelon des Rückenmarks so gut wie immer direkt beim Aufprall mit zerstört wird.
Bereits vor mehreren Jahren wurde die Diskussion dazu angestoßen, die Entwicklung geht eher in Richtung eines zukünftig zurückhaltenden, sorgsam reflektierten Umgangs mit der komplexen, zeitaufwändigen und immer auch mit (teils erheblichen) Nebenwirkungen behafteten Immobilisation der Wirbelsäule.
So ein Knochen an sich, ist sehr stabil. Es braucht einiges an kinetischer Energie um einen Knochen zu zerstören. Wenn jetzt innerhalb des Knochens eine geleeartige Masse drin ist, kann man sich vorstellen, dass diese ziemlich sicher beim Unfall direkt mit zerstört wird.
Die Vorstellung, dass der Knochen zerstört wird und das Myelon unangetastet intakt bleibt, ist eher theoretischer Natur.
Es reicht übrigens eine kurzzeitige Quetschung, eine komplette Durchtrennung ist gar nicht nötig für einen Querschnitt. Wir haben schon Patienten behandelt bei denen selbst im MRT kein Schaden mehr gesehen wurde aber klinisch ein eindeutiger Querschnitt bestand welcher sich auch nicht mehr zurück bildete.

Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, dass eine Kollegin von mir eine junge Motorradfahrerin versorgt hat, bei der sie als ersteintreffendes Rettungsmittel eintraf. Es waren mehrere Leute vor Ort, aber niemand hat den Helm bei der bewusstlosen Fahrerin abgezogen. Sie lag dort völlig unangetastet und im Helm war bereits unter dem Visier nur Erbrochenes zu erkennen.
Bei Ankunft war die Patientin tot, eine spätere Untersuchung ergab, dass keine größeren Verletzungsfolgen vorhanden waren, am ehesten aber von einer Aspiration (also einem Verschlucken von Nahrungsbestandteilen) in Folge der eingetreteten Bewusstlosigkeit ausgegangen werden musste.
Diese junge Frau ist möglicherweise daran gestorben, dass keiner der Umstehenden sich getraut hat den Helm abzunehmen und ihr einen freien Atemweg zu verschaffen.

Es ist keine Schande von erster Hilfe überfordert zu sein. Fragt mal in der Familie oder bei Freunden und auf der Arbeit nach ob sie wissen was bei einem nicht oder komisch atmenden Menschen zu tun ist und was jetzt mit dem Helm zu tun ist.
Und wenn da Unsicherheiten sind – geht zum Auffrischungskurs. Für Euch, für Eure Mitmenschen. Das kann Leben retten, ganz konkret.

Nachtlager

Waltraud war die breite Treppe die zu ihrer kleinen Wohnung ins Obergeschoss führte  in den letzten 52 Jahren sicher tausende Male rauf und runter gegangen. Anfangs noch mit den Kindern um sie zum Schulbus zu bringen, später dann um die Kinder zum Auto zu bringen und zum einkaufen und um den Müll rauszubringen und um im Keller Wäsche zu waschen. In den letzten Jahren dann immer häufiger um die Enkel nach einem Besuch zu verabschieden.

Damals – als die Kinder noch zum Schulbus gingen – baute man Treppen wieder mit großen Steinplatten die quer verlegt wurden, man konnte mit den Händen nicht gleichzeitig das Treppengeländer und die Wand berühren, so breit waren die Treppen. In der Nachkriegszeit war hier die Übergangsverwaltung der amerikanischen Streitkräfte untergebracht. Gegenüber wurde die erste Feuerwache der Stadt untergebracht. Als Waltraud und Gerrit die Wohnung im Obergeschoss zugesagt bekamen war die Freude groß, Wohnraum war knapp, da wurde auch eine eigentlich als Büro gedachte Unterkunft gefeiert wie ein Lottogewinn. Zu Waltraud und Gerrit kamen Bernd und Karsten. Zu den spärlichen 38m2 kamen weitere 43m2 in Form eines Durchbruchs zur Nachbarwohnung und Moderninisierung hinzu.
Die gegenüberliegende Feuerwach wurde ebenfalls ausgebaut, ein großer zentraler Turm und rechts und links mehr als 15 groß nummerierte Ausfahrten. Eine Tauchergruppe, etliche Spezialfahrzeuge, ein Schlauchboot und unzählige Rettungswagen gehörten zur Ausstattung.

Die Enkel waren immer gerne bei Oma Walli, am Küchenfenster stehend konnte man gut sehen welche Fahrzeuge gerade zum Einsatz los sausten. Die Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene und die Enkel mit einem Eis in der Hand.
Nebenan begann die Stadtpromenade mit den Biergärten. Am Wochenende war es da immer sehr voll, die Menschen waren gerne draußen und konnten das Leben genießen.
Waltraud hatte große Ehrfurcht vor den Feuerwehrleuten die Tag und Nacht, bei Regen und Schnee ausrückten. Egal ob Feiertag, WM-Finale oder 37 Grad im Schatten – die Frauen und Männer von der Feuerwehr rückten aus wann immer gerade Leben gerettet werden mussten. Kaum verging mal eine Stunde ohne einen Einsatz.

Als Waltraud nach dem Gottesdienst gegen Sonntagmittag nach Hause kam kochten die Kartoffeln bereits eine ganze Weile. Es sollte Bierfleisch mit Apfelscheiben geben, dafür braucht man Äpfel und Äpfel gab es im Keller.
Waltraud ging die Treppe runter, so wie sie die Treppe in den letzten 51 Jahren ihres Lebens unzählige Male herunterging. Es müssen Millimeter gewesen sein die sie den Fuß zu weit nach vorne setzte aber diese Millimeter reichten um in Millisekunden den Halt zu verlieren. Sie rutschte weg, knallte mit dem Hüftknochen auf den Steintreppen auf und kam zum liegen. Für einen Moment war es sehr still, dann kam Gerrit zur Hilfe.

Hilfe wäre jetzt das Stichwort gewesen. Ein Anruf bei der 112 und ein signalfarbener Trupp hätte Waltraud die Treppe runtergetragen und ins Krankenhaus gebracht.
Es war aber ja Sonntagmittag und irgendwann sollten die Feuerwehrleute sich ja auch mal ausruhen können. Darin waren sich Waltraud und Gerrit einig, nein, so schlecht ginge es ihr ja nun nicht.
Gerrit holte ihr erstmal eine Decke, die Steintreppe war doch recht kühl. Und die Kartoffeln waren auch gar, die gab es jetzt mit Bierfleisch ohne Apfelscheiben. Abends waren sogar noch ein paar Reste übrig, auch die aßen sie.
Zwischendurch hörten sie den Alarm, bestimmt ging es da um Leben und Tod. Klar, da muss man anrufen, das geht ja nicht anders. Gerrit polsterte seine Waltraud mit mehreren Kissen so, dass sie etwas besser liegen konnte.
Er brachte ihr eine Lampe und ein paar ihrer Bücher so dass sie etwas lesen konnte.

Mein Melder löste am Montagmorgen aus mit:
„Einsatz, Notarzt, Sondersignal. Nachforderung Schmerztherapie. W. G. Schmellkers, Florianstraße 21, Großtstadt,
ENR #42842 8:12“
Beim Einsatzstichwort „Schmerztherapie“ ist für gewöhnlich ein Rettungswagen bereits vor Ort, auch ein Zugang liegt meist schon und ich habe dann die dankbare Aufgabe den Patienten schmerzfrei spritzen zu dürfen oder auch eine Kurznarkose zu machen um die Patienten mobilisieren zu können. Mir bot sich ein reichlich skurriles Bild. Diese ältere Dame, stabilisiert in einem Berg von Kissen und Decken. Augenscheinlich war sie nicht erst vor einer Stunde gestürzt.
Nach dem üblichen Dialog aus warum-ham-se-denn-nich-eher und wir-kommen-doch-gerne blieben wir zwischen Scham und Verwunderung alleine mit unseren Gedanken.
Wie selbstlos muss ein Mensch denken, dass er sich und seine Schmerzen einer extrem unangenehmen Oberschenkelhalsfraktur als so unwichtig erachtet, dass er nicht um Hilfe ruft? Zumal die Hilfe doch direkt gegenüber war, quasi in Rufweite!

Und uns allen fielen spontan zwanzig sinnfreie Einsätze ein, bei denen Anrufer aus Unwissen, Absicht oder Langeweile für unnütze Arbeit und Ressourcenverschwendung gesorgt haben.
Zwanzig Einsätze, alleine in der letzten Woche.

http://www.spiegel.de/panorama/110-und-112-missbrauch-von-notrufen-nimmt-zu-a-1164711.html

Täglich grüßt die Rettungsgasse… nicht. Die Katastrophe von Münchberg.

Was am 3.7.2017 auf der A9 bei Münchberg passiert ist haben wahrscheinlich alle mitbekommen. Unweigerlich machen wir uns Gedanken wenn wir die Berichterstattung über so ein Ereignis mitverfolgen. Die Reaktionen dazu können von kompletter Gleichgültigkeit bis zu tiefer Betroffenheit reichen.
Ein solch tragischer Unfall ist sicherlich sehr selten und es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen damit eine solche Katastrophe überhaupt entstehen kann.
Für mich stellt sich immer die Frage, was wir aus solchen Situationen für zukünftige Schadenereignisse lernen können.
Wenn ein Patient in unserem Krankenhaus stirbt, dann fragen wir uns – was hätte besser laufen können. Wenn ich als Notarzt einen wirklich kranken Patienten behandelt habe – ein Polytrauma, eine Reanimation o.ä. – dann setzen wir uns nach der Übergabe des Patienten zusammen und bereden das Ereignis. Es kommt jeder zu Wort, es darf jeder sagen wo wir richtig gut waren aber wir überlegen auch was wir noch besser hätten machen können.
Ob man das jetzt Debriefing nennt oder Leichenschnaps oder Traumabewältigung. Reden ist wichtig, das Reden darüber entlastet, nimmt Druck von der Seele.
Diese Zeilen schreibe ich aber aus einem ganz besonderen Grund.
Die Frauen und Männer der freiwilligen (!) Feuerwehr von Münchberg, Gefrees, Helmbrechts und Fleisnitz, sowie die weiteren unzähligen Helfer vor Ort haben einen riesigen Job gemacht und bezahlen mit Ihrer Gesundheit für unsere Sicherheit.
Auch in diesem Szenario wird es Dinge gegeben haben die sehr, sehr gut gelaufen sind (z.B. eine unfassbar kurze Hilfsfrist!), aber auch Dinge die eher suboptimal gelaufen sind.
Wir können mit den Gerätschaften trainieren, Arbeitsabläufe optimieren, unsere Fähigkeiten verbessern. Was wir vom Rettungsdienst nicht durch Training verbessern können, ist die Bildung einer ausreichend breiten und durchgehenden Rettungsgasse.

Und so berichteten die Helferinnen und Helfer welche zu dem Busunfall auf der A9 eilen wollten  übereinstimmend über massive Probleme in der Bildung der Rettungsgasse. Probleme bei der Bildung einer Rettungsgasse gab es schon immer, gefühlt ist es in den letzten Jahren aber schlimmer geworden.
Wir sind dafür ausgebildet Menschen zu retten, Feuer zu löschen und Schmerzen zu lindern. Das können wir nur wenn wir auch zeitig genug vor Ort sind.
Als Notarzt im Notarzteinsatzfahrzeug erleben wir es immer wieder, dass trotz eingeschaltetem Sondersignal andere Verkehrsteilnehmer versuchen noch eben schnell links abzubiegen oder eben noch schnell über die Kreuzung zu sausen. Wofür? Für drei Sekunden Zeitgewinn? Damit ich zehn Meter weiter an der nächsten roten Ampel eingeholt werde?
Oft wird dann gesagt, dass es ja jeden von uns treffen könne und dann würden wir uns ja auch wünschen, dass die Hilfe schnell da ist. Warum denn nur so herum? Reicht es nicht aus zu wissen, dass da irgendwo ein Großvater, ein Fünfjähriger, ein x-beliebiger Mensch in Not ist?
Unser Rettungshubschrauber musste vorgestern eine Außenlandung abbrechen weil Fotos und Videos vom landenden Hubschrauber gemacht wurden und die Leute nicht weiter weg gingen sondern immer näher an den Hubschrauber kamen. Die Crew musste 800m weiter landen und wurde von der Polizei sekundär dem Notfallort zugeführt.
Wann verstehen wir es endlich, dass nicht immer nur das ichichich zählt sondern dass es uns allen besser geht, wenn wir Rücksicht nehmen, wenn wir mal zurückstecken. Einen Gang runter schalten, anderen der Vortritt lassen. Wie wäre es wenn wir Fußgänger mal über die Straße gehen lassen auch wenn da mal kein Zebrastreifen ist.  Die 10 Sekunden die ich dadurch verliere kann ich problemlos bei den täglichen 42 Minuten Facebook abknapsen.
Wann raffen es Autofahrer endlich, dass eine Rettungsgasse vorsorglich gebildet werden muss damit der Rettungsdienst zügig durchfahren kann und nicht erst wenn das Tanklöschfahrzeug hupend hinter einem steht. Dann ist es zu spät für die Rettungsgasse!
Ich könnte mich in Rage tippen. Lassen wir das.

Es ist kein Spiel:

Und es ist so einfach:

Danke.

Prüfen, rufen, drücken. Gutes Ding.

Zitat:
„Vom 16.09. bis 22.09.2013 findet die Woche der Wiederbelebung unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit statt. Das ist zugleich der Start für die Kampagne Ein Leben retten. 100 Pro Reanimation. Ihr Ziel ist es, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen und zum Handeln zu motivieren. Möglichst viele Menschen sollen geschult werden. Reanimation ist einfach. Jeder kann es tun. Jeder Kann eine Leben retten.
Mit einer Erhöhung der Wiederbelebungsrate durch Laienhelfer direkt vor Ort des Geschehens könnten in Deutschland jährlich ca. 5.000 Menschenleben gerettet werden.“
(Quelle: http://www.100-pro-reanimation.de)

Ich halte das für eine sehr, sehr gute Aktion und möchte diese Aktion aufs Schärfste unterstützen! Wenn ich als Notarzt zu einem Herz-Kreislaufstillstand gerufen werde und es hat noch keiner angefangen zu „drücken“, ist der Drops schon so gut wie gelutscht. Klar, das Herz bekommt man sogar relativ oft nochmal wieder zum schlagen, aber bis dahin ist so viel Gehirn abgestorben, dass viel zu oft ein irreparabler Schaden entstanden ist. Und wir reden hier von Wachkoma, nicht von leichter Vergesslichkeit.
Mitmachen ist angesagt! Ich weiß, dass in unserem Krankenhaus vom 16. – 22. September täglich (!) ein Reanimationsgrundkurs angeboten wird und von befreundeten Anästhesisten weiß ich, dass die ähnliche Aktionen haben.
Also informiert Euch doch mal kurz im Krankenhaus in Eurer Nähe ob die da auch mitmachen.
Reanimation ist genauso einfach wie wichtig. Danke an alle die mitmachen!

100 pro Reanimation

100 pro Reanimation. Ein Leben Retten.