Helm tragen.

Helm tragen.
Aktuell entbrennt eine heiße Diskussion über das für und wieder des Helm-tragens beim Fahrradfahren. Ich würde dies übrigens auch ums Inline-Skaten, Roller fahren etc. erweitern.
Der Kinderdoc hat dazu seine sehr kompakte, von mir voll unterstützte Meinung niedergeschrieben. Hier meine Ergänzung:

Heute im Schockraum.
Mädchen, 9 Jahre als Fahrradfahrerin vom Auto in der Fußgängerzone erfasst, max. 30 km/h gegen PKW. Vor Ort bereits Pupillendifferenz, Intubation, schnelle Rettung. Innerklinisch nach CCT Diagnose eines massiven Schädel-Hirn-Traumas mit Subarachnoidalblutung, nebenbefundlich dislozierte Oberschenkelfraktur und einige Bagatellverletzungen.
„Hirn-OP“ mit Ausräumung des Blutergusses, später Oberschenkelosteosynthese, insgesamt ungewisser Ausgang.
Wir konnten nicht glauben, dass der PKW nur 30km/h gefahren sein soll, aber der Unfallhergang war komplett plausibel und leider war die kleine Lady ohne Helm unterwegs.

Ich trage einen Helm. Weil es vielleicht die Frisur ruiniert, mich aber sicher davor bewahrt durch blöde Umstände sabbernd in einem Pflegebett vor mich hin zu vegetieren. Und meine Familie freut sich weil ich nicht mehr nur rechts an die Decke gucke sondern jetzt schon den Kopf selber wenden kann.

Es geht übrigens nicht um die eigene Geschwindigkeit!
Wir hatten vor zwei Jahren mal einen der ist an der Ampel umgefallen, weil er aus den Klickpedalen seines Fahrrads (Rennrad!) nicht rausgekommen ist und eben aus ca. 2m Höhe mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen ist. Am nächsten Tag hat er gelallt, hatte rasende Kopfschmerzen und den Rest könnt ihr Euch denken.
Oder die Familienmama die auf ihren Inlinern stehend (!) nach hinten umgekippt und auf ihren Kopf geknallt ist. Isoliertes Schädel-Hirn-Trauma mit Massenblutung, Uniklinik mit Not-OP, Schädelknochen auf, drei Tage des bangen Wartens und letztlich doch als Organspenderin geendet. Aus dem Stand!

Helm tragen. Immer.
Außer auf dem Spielplatz.

Der Beichtvater

Ich trage keine Talar aber bei mir beichten Menschen ihre Sünden. Bei mir wird kein Eid geschworen und ich erfahre trotzdme die ganze Wahrheit.

Wenn es hart auf hart kommt, wird der Mensch plötzlich ehrlich. Immer dann wenn es ans Eingemachte geht. Und Narkose ist für den Großteil der Bevölkerung etwas ganz und gar Eingemachtes.
Bei manchen Menschen macht es schon in der Prämedikationsambulanz beim Vorgespräch mit dem Anästhesisten „klick!“. Da wird der Schalter auf den Ehrlichkeitsmodus umgelegt.
Der ein oder andere benötigt erst die Unterstützung des hellen OP-Lichts in dessen Angesicht dann kurz vor dem Einschlafen doch nochmal die ganz dunklen Flecken beleuchtet werden. Und dann kommen Sätze die mit „Ich weiß nicht, ob sie das wissen müssen, aber…“ anfangen.
Es geht um für den Anästhesisten so relevante Angaben wie das Gewicht. Drogeneskapaden. Übergewicht. Suff. Überübergewicht. Alkoholexzesse.
Ich besitze keinen Beichtstuhl und verweise auch nicht auf den Rosenkranz aber bei mir werden gesetzte Damen ganze ehrlich wenn es um ihr Hüftgold geht. Der 13-jährige Teenie erzählt von seinem ersten Joint.
Aus den „10 Zigaretten am Tag“ werden dann „wenn ich Stress hab‘ so 20-30 und ab und im Betrieb geht auch mal ne Line weg“.
Aus einer Flasche Bier werden drei, aus den 95kg werden 115kg.

Eine mir gut bekannte Kollegin fragte die ihr anvertrauten Patienten kurz vor dem Einschlafen gerne folgendes: „Jetzt müssen wir dem Sandmännchen nur noch sagen wie viel Sand wir zum Einschlafen benötigen. Die 120kg sind richtig, ja?“
Von ihr habe ich auch gelernt, dass man bei der Gewichtsangabe „140kg“ sehr vorsichtig sein müsse, da die meisten Waagen bei 140kg aufhören und das dann auch oft der letzte
Nun gut, Narkose macht man sowieso immer noch nach Wirkung und nicht (nur) nach Gewicht.
Und dann war da noch der Kandidat zur Abszessausräumung. Drogenabusus seit Jahren.
„Gibt es außer dem Drogenkonsum noch etwas was wir wissen sollten?“
„Nö.“
Von der floriden Hepatitis C und der AIDS-Positivität haben wir von der Kollegin erfahren, die unseren Kandidaten zufälligerweise von einem vorherigen Intensivaufenthalt kannte. Vielen Dank auch. Scheint nicht bei allen zu funktionieren mit dem Beichtstuhl…

Mechtild, 86 J.

IMG_5067Mechthild. Mit h. Wie Mechthild von der Pfalz.
Das war ihr wichtig, als wir uns kennengelernt haben und da legte sie wert drauf, dass ich ihren Namen korrekt notiere. Überhaupt wollte Mechthild, die ich eigentlich als „Frau Mergen“ angesprochen habe, das Zepter nicht aus der Hand geben. Das hatte sie seit 86 Jahren in der Hand, das würde Sie sich nicht von so nem jungen Hilfsarzt aus der Hand nehmen lassen. Wo käme man denn dahin.
Mechthild war 36 Jahre Stationsleitung auf der B2, internistisch.
Mechthild hat drei Chefärzte kommen und gehen sehen. Klare Ansagen sind ihr Ding. Damals, heute, morgen.
Die haben auf mich gehört und gemacht was ich denen gesagt habe. Ich weiß was Bluthochdruck ist, das geht schon die ganze Zeit so rauf und runter. Nein da muss man jetzt nichts machen. Ja ist das denn jetzt ein Herzinfarkt? Ich habe doch aber so Schmerzen im Arm die ins Herz ausstrahlen (sic!). Aha, das EKG ist also in Ordnung sagen Sie? Sagen Sie! Ja gut, dann können Sie ja auch wieder fahren. Nein, ich bleibe hier. Natürlich weiß ich was wir für einen Tag haben.
Ja wir sind hier im Altenstift St. Johannis. Meine Tochter wird ihnen das erklären. Ich würde eine Kapsel Adalat nehmen. Wieso haben sie sowas nicht in ihrem Auto? Was haben Sie denn dann überhaupt dabei wenn Sie schon mit zwei Autos kommen? Ich nehmen kein Spray. Sie legen mir keine Infusion an! Unter-ste-hen-sie-sich! Nein, das möchte ich nicht. Das lehne ich ab.

Frau Mergen hatte einen Blutdruck von 248/161mmHg und Angina Pectoris. Per Defintion ist das nicht mehr nur eine hypertensive Krise (RR>230mmHg) sondern ein hypertensiver Notfall (RR > 230mmHg + Organschaden) und eine glasklare Notarztindikation. Schön wäre es gewesen wenn ich ihr z.B. mit Urapidil etwas den Blutdruck hätte senken dürfen. Adalat haben wir ja nicht auf unserem spartanisch ausgerüsteten Autobmobil. Ich hätte auch Clonidin genommen. Oder Lasix. Oder NItrospray. Nur ein bißchen.
Frau Mergen war zur Person, zum Ort, zur Zeit und zur Situation voll orientiert und auch wenn ihre verharmlosende Einschätzung nicht der medizinischen Realität entsprach durfte Sie eine Therapie ablehnen. Frau Mergen wusste um die Risiken einer Hirnblutung, eines Herzinfarkts, einer Aortendissektion, eines Lungenödems… Nein Horst isch möschte nischt!

Wir haben nach einigem hin und her Frau Mergen überzeugen können, mit ins Krankenhaus zu fahren. Ich habe ihr in der Ambulanz eine Adalatkapsel aufgetrieben. Sie wollte es so.
Am Nachmittag habe ich vom Kollegen erfahren, dass Frau Mergen sich gegen ärztlichen Rat nach Hause entlassen hat. Sie wollte es so.

Allzu hart bin ich mit ihr vor Ort nicht ins Gericht gegangen und werde es auch hier nicht tun. Denn ich weiß, ich werde mal genauso sein.