In der Anästhesie halten sich die meisten Ärzte gerne in der gemütlichen Chilloutzone auf. Dort werden problemlose Larynmasken bei Metallentfernungen platziert. Hier löst man sich auf einen Kaffee aus und oberstes Arbeitsgebot ist es den Ruhepuls nicht über 60/min kommen zu lassen.
Dann noch eine entspannte, elektive Gallenblasenentfernung bei einer ansonsten gesunden Mittvierzigerin und eine Schilddrüsenteilresektion und der Tag ist geschafft.
Es gibt in der Anästhesie aber auch die Randzonen jenseits der Chilloutzone. Ich würde sagen die Trias der anästhesiologischen Extremsportarten hören auf die Namen Herzchirurgie, Luftrettung und Kinderchirurgie.
Man kann diese drei Varianten auch kombinieren, der Hochleistungs-Faktor erhöht sich entsprechend logarithmisch zum Beispiel in Form der Kinderherzchirurgie.
Was macht Kinderanästhesie so besonders?
Ich glaube es fängt schon damit an, dass Kinder und Krankenhaus einfach nicht zusammengehören. Kinder sollen glücklich sein und fröhlich herumtoben. Kinder sollen spielen, sollen lachen und sollen tanzen vor Glück. Vor allem sollen Sie unbeschwert Ihres Weges gehen können.
Schmerzhafte Erkrankungen und unangenehme Untersuchungen (wie z.B. das laut hämmernde MRT) sollten nicht dazu gehören, sind aber manchmal nicht vermeidbar um die Gesundheit der kleinen Menschen zu erhalten.
Und falls eben doch mal ein Arm gebrochen ist oder der Kopf gescannt werden muss kommen wir ins Spiel – die Anästhesisten. Wir sollen einen Zustand der An-Ästhesie (griechisch ἀναισθησία = Empfindungslosigkeit) herbeiführen.
Als wäre es nicht schon kompliziert genug bei dem gut genährten Zweijährigen eine Narkose zu machen, so müssen wir nicht nur diese Herausforderung meistern sondern vorher auch noch Vater und Mutter (und manchmal auch die Onkel, Tanten und Großeltern) von Sinn und Notwendigkeit einer Narkose überzeugen.
Das ist manchmal der komplizierteste und vielleicht sogar wichtigste Teil der Prozedur. Wenn die Eltern nicht zu 100 Prozent hinter uns stehen überträgt sich die Unsicherheit direkt von der Mutter auf das Kind.
Kinder haben da ein ganz feines Gespür wenn was nicht stimmt und Mama zum drölfzigsten Mal mantramäßig ihr Isallesguuuuuuut-Melody-Chantal betet.
Spätestens beim dritten Isallesguuuuut-Mantra wird Melody Chantal gemerkt haben, dass hier gar nichts gut ist und irgendwas im Busch ist. Und versucht da mal einen Zugang zum Kind zu bekommen.
Man kann Kindern die aufgeregt, nervös oder vielleicht sogar verängstigt sind auch Narkose machen. Die schlafen auch alle ein.
Die Angst und Unruhe rächt sich dann jedoch am Ende der Narkose denn meine Erfahrung zeigt, dass die Kinder meistens genau so wach werden wie sie eingeschlafen sind.
Und wer hat eigentlich behauptet, dass eine Narkose dumm macht?
Ich kenne die Arbeiten von Todorovic et al. und Stratmann et al. und habe nicht nur die Sekundärliteratur dazu sondern auch die Fachkommentare in den Onlinepublikationen gelesen. Tiermedizinische Versuche können lediglich einen Hinweis auf beim Menschen kritisch zu beobachtende Zusammenhänge geben. Die Vergangenheit hat wiederholt gezeigt, dass selbst eindeutige tierexperimentelle Ergebnisse beim Menschen dann doch ganz andere Resultate erbrachten und umgekehrt.
Ich denke wenn Narkosen im Kindesalter wirklich gravierende Konsequenzen hätten, dann wäre das sicher schon bemerkt worden.
Unabhängig von der möglichen Schädigung der Hirnentwicklung sollte ohnehin jeder operative Eingriff im Kindesalter nur bei eindeutiger Indikation und Notwendigkeit durchgeführt werden. Die Kinder die ich betäubt hatte, hatten gar keine andere Wahl. Ich kann mich nicht an ein einziges Kind erinnern bei dem ich gedacht hätte – na, das muss man jetzt nicht unbedingt machen.
Ein gebrochener Arm, ein gebrochener Blinddarm, eine Verbrennung – das alles sind knallharte Indikationen.
Die Diskussionen um das Pro und Contra einer Narkose stellt sich hier für mich nicht. Das sind wie die Gedanken zu Knalltraumen nach akzidentellen Airbag-Explosionen.
Tatsächlich kann ich mich nur an eine einzige Operation erinnern bei der über die Indikation und Notwendigkeit eine Meinungsdifferenz bestand. Die selektive Beschneidung eines fünfjährigen, muslimischen Jungens. Und selbst da würde ich sagen – wenn schon Vorhaut ab, dann in Narkose. Das tut nämlich weh.
Aber das ist ein anderes Thema.
Als Folge dessen ergibt sich, dass selbst eine mögliche – und bisher nicht bewiesene – Hirnschädigung als notwendiges Übel in Kauf genommen werden muss. Oder wer würde freiwillig seinem Kind beibringen, dass die offene Reposition des Knochenbruchs leider ohne Narkose gemacht werden muss und Johannes-Richard jetzt ganz tapfer sein muss weil es möglicherweise einen Hinweis darauf gibt, dass die Gehirnentwicklung des Nachwuchs-Einsteins davon schaden nehmen könnte?
Eben.
Und so ist es wie mit vielen Dingen in der Medizin. Anstatt sich über den Segen moderner Medizin zu freuen werden immer neue, teils haarsträubende Argumente gegen dies und jenes herangezogen. Abenteuerliche Argumentationen gehen dann bei Impfungen weiter, kurven kurz an den Antibiotika vorbei und parken bei der Kindersonnencreme ein.
Ganz klar, Fragen ist richtig, der Mensch soll wachsam bleiben. Vielleicht macht es aber auch einfach mehr Spaß zu kritisieren, weil man so mehr Gehör findet. Oder würden Sie sich die 192 5-Sterne-Bewertungen durchlesen wenn es eine einzige 1-Sterne-Kritik gibt?
Wenn ich aber doch noch einen Rat geben kann – ich (und alle Anästhesisten die ich kenne) würde immer eine Klinik wählen die explizit mit Kinderanästhesisten arbeitet. Es gibt viele ambulante Modelle (Zahnärzte, HNOs etc.) die sich entweder Anästhesisten als Honorarärzte tageweise dazu buchen oder mit Anästhesiepraxen zusammenarbeiten. Meine Erfahrung ist, dass diese Anästhesisten oft sehr veraltetes Equipment einsetzen und auch fachlich nicht mehr auf der Höhe sind. Außerdem fehlt das notwendige Notfallequipment und auch das Notfallbackup falls wirklich mal was schief geht.
In „meinem“ Kindersaal konnte ich in jeder kritischen Situation noch erfahrenere Kollegen dazu zu holen, außerdem haben wir viel mehr Möglichkeiten der Eskalation in Notfallsituationen. Airtraq, Bronchoskop, intraossärer Zugang etc.
Das sind teils sehr teure, aber eben im Notfall auch lebensrettende Maßnahmen. Keine Praxis schafft sich mal eben für 10-15.000 € eine solche Notfallausrüstung an die dann nur rumsteht.
Falls das Thema Narkose im Kindesalter wirklich gerade bei Ihnen wichtig ist – lesen Sie nicht im Internet sondern sprechen Sie mit jemandem der sich auskennt. Und das ist nicht die Nachbarin und nicht die Klassenlehrerin sondern der Kinder(!)anästhesist.
Wir nehmen uns gerne die Zeit alle wichtigen Fragen zu beantworten. In Ruhe, im direkten Gespräch.
Ein gutes Narkose-Vorgespräch beruhigt, spart Medikamente und sorgt für Entspannung bei allen Beteiligten.