Kälte.

Kälte kann Fluch und Segen sein.
Kälte ist eine medizinische Maßnahem die wir einsetzen um Menschen zu retten, um Gehirnzellen nach einer Wiederbelebung zu schützen und um große Operationen wie den Ersatz einer gerissenen Hauptschlagader erst möglich zu machen.
So auch bei Michaela.

Michaela ist ein vier Jahre junges Mädchen als sie in einen eiskalten Teich fällt. Als sie in den Teich gleitet versucht sie noch durch strampeln sich über Wasser zu halten.
Hinterher wird man Erdreste unter den Fingernägeln finden, Michaela hat wohl zunächst noch erfolgreich versucht sich am Ufer fest zu halten. Retten konnte sie sich selbst nicht, aber in der Zeit in der sie ihren Kopf noch über Wasser hielt kühlte das ca. 8-9°C kalte Wasser innerhalb weniger Minuten erst das Blut in den Beinen und dann auch die Muskeln aus. Jeder der schon mal bei Schnee und Eis ohne lange Unterhose auf den Bus gewartet hat weiß wie schwer, müde und kraftlos kalte Muskeln in den Beinen werden.
Die Muskeln bei Michaela werden schließlich auch kalt und schwach, versagen ihre Arbeit. Die von der Kälte gelähmten Beine werden bleischwer, ziehen Michaela letztlich unter die Wasseroberfläche.

Nach dem Überlebenskampf legt sich eine gespenstische Stille über den Teich.
Michaela liegt auf dem Boden dieses Teiches, auch das Herz schlägt immer langsamer, der Herzrhythmus entkoppelt, schließlich bleibt das Herz stehen.

Nach einer halben Stunde wird Michaela gefunden, zunächst von der Familie, dann von einem Notarzt reanimiert. Die erstmalig gemessene Temperatur beträgt gerade mal 18° C.
Michaela wird beatmet und in ein Krankenhaus geflogen.
Die ganze Geschichte wurde verfilmt und als „Wunder von Kärnten“ bekannt.
In einem hörenswerten Vortrag von Dr. Markus Thalmann aus dem Jahr 2017 schildert er die Ereignisse und glücklichen Fügungen von damals gemeinsam mit ein paar Hintergrundinformationen zur Hypothermie.
Michaela wurde an der Herz-Lungen-Maschine erwärmt, nahm ein paar Komplikationen mit und konnte schließlich ohne Residuen, das heißt ohne sichtbare, neurologische Folgeschäden entlassen werden.
Ebenfalls von der AGN gibt es übrigens einen großartigen Vortrag von Prof. Dr. Michael Holzer über die therapeutische Hypothermie – den Einsatz einer künstlichen Herunterkühlung eines Patienten nach einer Wiederbelebung.
Beides schöne Beispiele dafür wie wir Kälte in der Medizin nutzen.

Kälte beschäftigt uns aber in diesen Tagen vor allen Dingen aus ganz anderen Gründen. Alkoholisierte, oft wohnungslose Patienten werden irgendwo aufgefunden und vom Rettungsdienst in unsere Klinik verbracht.
Eigentlich gehören diese Menschen in eine Unterkunft wo sie etwas warmes zu Essen und einen sicheren Platz zum schlafen bekommen. Im Krankenhaus haben wir beides, warmes Essen und einen sicheren Platz zum schlafen, trotzdem sind wir dafür eigentlich nicht die richtige Adresse. Die ganze Infrastruktur, das Equipment einer ZNA und vor allem das Personal ist viel zu teuer, trotzdem landen unterkühlte Obdachlose bei uns weil keiner weiß wo sie sonst hin sollen. Die soziale Isolation führt dazu, dass Menschen wie Herr Jawotschek durch alle Maschen sozialer Hilfsmaßnahmen fallen und ganz am Ende eines tiefen Falls landen diese Menschen dann manchmal bei mir im Schockraum.

Für Herrn Jawotschek wäre Weihnachten 2017 vielleicht anders verlaufen, wenn er nicht in der sozialen Isolation von allen ignoriert worden wäre.
Herr Jawotschek wohnte mit seiner Frau in einer50qm-Einliegerwohnung. Sortierte Verhältnisse, kinderlos, zwei Katzen, er Schichtarbeiter im Sicherheitsdienst, sie bei einem kleinen Entsorgungsbetrieb in der Verwaltung. Zusammen reichte das Geld für einen sich ewig wiederholenden Lebensrhythmus aus Arbeit, Urlaub im Harz, Schützenfest und einmal im Monat einem Abendessen im Restaurant. Entweder beim Griechen (seine Wahl) oder beim Italiener (ihre Wahl). Es war diese Monotonie die Ihnen Sicherheit gab, Herr Jawotschek sagt es war ein schönes Leben ohne Überraschungen.
Seine Frau entdeckte im Urlaub einen Knoten an der Brust, sie hatte auch schon viel  abgenommen. Keine vier Monate später war seine Frau tot.
Der Schmerz über ihren Verlust, die Leere in der Wohnung ließen ihn zum Alkohol greifen. Der Supermarkt lag am Ende der Straße, einen Fußweg von nur 100m entfernt. Ganze Regale voll mit Problemlösern in allen Farben und Geschmacksrichtungen.
Herr Jawotschek war immer häufiger krank, fehlte auf der Arbeit, verlor schließlich seinen Job. Mit Hartz4 konnte er die Wohnung nicht halten, er solle umziehen.
Es war Sommer, Herr Jawotschek nahm einen Rucksack, zog die Tür zu und kehrte nicht mehr zurück. Er schlief eigentlich immer auf dem Parkdeck eines Möbelhauses, hinten in einer Ecke hinter den Einkaufswagen.
An einem kaltnassen Novembertag 2017 schmerzte die Kälte besonders. Trotz Jacke und Schlafsack, trotz Wodka und Korn. Der Alkohol ist ständiger Begleiter, tröstet, dämpft und lindert im Winter die durch die Kälte entstehenden Schmerzen.
Irgendwann hüllte ihn eine gnädige Dämmerung ein.

Menschen gingen an ihm vorbei, sie sahen ihn und dachten sich wohl auch, dass bei diesem Wetter und der Eiseskälte niemand dort liegen sollte.
Sie alle ignorierten die notwendige  Konsequenz. Es waren ja genug andere dort. Wenn keiner von denen etwas macht, dann müssen wir ja auch nichts machen.
Bei Außentemperaturen die nachts bis auf -5°C abfielen liegt Herr Jawotschek dort und an ihm strömen unzählige Menschen vorbei. Auf den Kameras der Überwachungsmonitore wird man hinterher sehen, dass an zwei Tagen in Folge Menschen an ihm vorbei liefen und teilweise sogar über ihn drüber stiegen um Müll in einem hinter ihm angebrachten Mülleimer zu entsorgen.
Zu jedem Unglück gehört auch immer Glück und Herr Jawotschek hatte Glück, weil der hinter ihm abgelagerte Papier- und Kartonagenmüll nicht abgeholt wurde während er da lag. Diese isolierten ein wenig, hielten die ganz kalten Luftströme weg und sorgten dafür, dass die warme Abluft aus dem Kaufhaus nicht sofort weggeweht wurde.
Wenn man sich nah genug an die Abluftrohre legt und der Wind gut steht wird man bei Regen oder Schnee noch nicht mal nass. Der Platz ist beliebt, der Platz muss regelmäßig gegen andere Obdachlose verteidigt werden. Städtische Übernachtungsangebote sind keine Alternative für ihn. Die letzten Male in denen Maik dort übernachtet hat wurden ihm die wenigen Habseligkeiten die er noch besitzt gestohlen, von einem anderen Obdachlosen. Er kommt klar, will kein Mitleid, aber die nasse Kälte macht auch ihm zu schaffen.
Am Ende einer langen Nacht öffnete das Möbelhaus seine Türen, ein weiterer Tag an dem Eckbanken in Sonoma Eiche Imitat den Besitzer wechselten. Eine weitere Nacht in der sich das Parkhausdeck leerte und nur Herr Jawotschek dort blieb.
Ein neuer Tag an dem Boxspringbetten mit 7-Zonen-Tonnentaschenfederkernmatratzen für jetzt-nur-899€ verkauft wurden.

Es muss ein weiterer, glücklicher Zufall gewesen sein, dass die Autobatterie eines Golf Sportsvan – der eigentlich einen neuen Couchtisch nach Hause bringen sollte – an diesem Tag ihren Dienst versagte.
Direkt neben Herrn Jawotschek wurde von der Pannenhelferin versucht, die Batterie zu überbrücken und dem Auto so zu einem Neustart zu verhelfen.
Als Metapher wäre das schon reichlich kitschig.
Wer Rettungsdienst fährt weiß – die Geschichten des echten Lebens sind kitschiger, dramatischer und absurder, als es eine Liason aus Rosamunde Pilcher und Jim Carrey hergeben könnte.
Die Pannenhelferin war es der die Situation komisch vorkam. Der Mann dort bewegte sich nicht mehr, er fühlte sich kalt an. Tot.
Die Pannenhelferin war es daher auch, die als herbeigerufene Helferin ihrerseits Hilfe herbeirief. Drehbuch und so, kannste Dir nicht ausdenken.
Tatsächlich war ein sehr kompetentes Team eines RTWs als ersteintreffendes Rettungsmittel vor Ort und leitete ein EKG ab welches Zeichen einen funktionellen Kreislaufstillstand zeigte (PEA). Die fast zeitgleich eintreffende Notärztin entschied sich für eine schonende Rettung (s. Bergungstod) und Immobilisation und fuhr ein Zentrum mit der Möglichkeit zur extrakorporalen Erwärmung an.
Herr Jawotschek wurde noch im Schockraum unserer Klinik für den Anschluss an eine Herzlungenmaschine kanülliert. Während wir Herrn Jawotschek langsam aufwärmten diskutierten wir die Sinnhaftigkeit des Unterfangens. Das Kalium war schon relativ hoch, ein Zeichen für einen höhergradigen Zellschaden und eine längere Liegedauer. Im cCT fand sich kein Hinweis auf einen höhergradigen Hirnschaden, in der Folge konnte der Patient zunehmend besser den Kreislauf halten. Wir sahen vor allem eine massive Schädigung der Muskulatur mit einem CK-Anstieg über 100.000, Herr Jawotschek wurde dialysiert.
Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt auf der Intensivstation blieb die Dialysepflichtigkeit, die Nieren hatten einen irreversiblen Schaden bekommen. Ansonsten blieb er ohne erkennbare neurologische Defizite.
Die fragliche Suizidalität führte dazu, dass Herr Jawotschek über einen Aufenthalt in der Psychiatrie ausgeschleust wurde. Dort wurde über den Sozialdienst umfangreiche Hilfe organisiert, alles sah nach einem echten Neustart aus.
Ich habe ihn noch zwei oder drei Mal bei uns im Krankenhaus getroffen. Er auf dem Weg zur Dialyse, ich auf dem Weg zum Dienst.
Irgendwann hab ich ihn aus den Augen verloren. Ihn begleiten meine besten Wünsche für sein neu geschenktes Leben. Es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn er den Neustart auch langfristig schafft.

Wir tun gut daran aufeinander zu achten und diese Aufgabe nicht nur den professionellen (bezahlten) Rettern zu überlassen. Mittlerweile gibt es in fast allen deutschen Großstädten die Kältebusse (oder sgn. Mitternachtsbusse) die zu Hilfe gerufen werden können.
Ich versuche konkrete Hilfe anzubieten indem ich einem Menschen in Not ein warmes Baguette (z.B. aus einem der vielen Backshops) oder eine andere schnelle, warme Mahlzeit kaufe. Das ist mehr als eine Spende, ich finde es eine schöne Geste. Wer sich mal mit dem Thema auseinander setzt wird merken, dass es den meisten vor allem an Gesprächen und sozialen Kontakten fehlt. Ein offenes Wort ist da manchmal genauso hilfreich.
Und gibt man jetzt 5 Euro in dem Wissen, dass davon Alkohol gekauft wird? Die Antwort ist – selbstverständlich! Es ist nicht meine Aufgabe mein Gegenüber von einer veganen, nachhaltigen, asketischen Lebensweise zu überzeugen. Die wissen alle selber, was sie ihrem Körper zumuten.
Es gilt wie fast immer – irgendwas tun ist besser als nichts zu tun.

Vom Unfall bis zur Reha – so geht das.

Ihr fahrt auf der Autobahn, vor Euch leicht zäh fließender Verkehr. Der Verkehr wird dichter, die ersten machen ihr Warnblinklicht an.
Ihr versucht Euch wie ihr das vom Narkosedoc gelernt habt bei dem sich bildendem Stau sofort auf die linken beziehungsweise mittlere Spur zu wechseln weil ihr wisst, dass die mit Abstand schlimmsten Unfälle fast immer auf der LKW-Spur ganz rechts passieren.

So auch hier, plötzlich gibt es direkt hinter Euch einen heftigen Knall, eine Wolke aus Staub und Dreck legt sich über die Fahrbahn, Autoteile fliegen durch die Luft, danach Stille.
Es sind
die ersten Zehntelsekunden des Unfalls
die darüber entscheiden ob die entstehende Verletzung mit dem Leben vereinbar ist oder nicht. Der Abriss einer Hauptschlagader, eine geplatzte Herzhöhle – und das Leben ist hier vorbei, eine Rettung unmöglich.
Instinktiv bist Du an die Seite gefahren und stehst jetzt hinter dem Unfall.

Die ersten Sekunden nach dem Unfall.
Du wählst die 112 und Dein Handy wird automatisch an die für diesen Ort zuständige Leitstelle verbunden (genial, oder?). Der Leitstellendisponent wird Dich alles wichtige fragen.
Was ist passiert? Von wo rufen sie an? Wieviele Verletzte gibt es?
Außerdem wird es für den speziellen Notfall spezielle Fragen geben (ist die Fahrbahn noch frei oder stehen die Autos quer? Konnten sich die beteiligten Personen selber aus dem Fahrzeug befreien?).
Nun wird entsprechend dem Meldebild ein Hilfskonvoi alarmiert. Der besteht in so einem Fall meistens aus Polizei (die regeln alles rund um Aufnahme des Unfalls, Absperrung bis zur Reinigung und Freigabe der Autobahn), Feuerwehr (sichert die Unfallstelle gegen entstehendes Feuer ab, kann eingeklemmte Personen befreien und noch viel mehr!), Rettungsdienst meist mit RTW und Notarzt, bei entsprechendem Szenario wird meist auch parallel ein Rettungshubschrauber mit alarmiert.
Der Patient selber hat zwar schwere Verletzungen die vielleicht nicht stundenlang aber doch so lange zu überleben sind, bis professionelle Hilfe eintrifft. Der Körper schüttet körpereigene Schmerzmittel und kreislaufstabilisierende Moleküle aus um diesen Zustand zu überleben.

Die kritischen 60 Minuten – „the golden hour of shock“ 
Die Autobahn wird im Anschluss dann durch die meist zuerst eintreffende Polizei abgesperrt so dass der Hubschrauber dahinter landen kann. In Zusammenarbeit wird die Unfallstelle abgesichert und versucht die Patienten schnellstmöglich und dem Verletzungsmuster enstprechend schonend zu retten. So schnell wie möglich, so sorgfältig wie nötig. Ein Patient mit drohender Querschnittsverletzung ohne sonstige Probleme muss so schonend wie möglich gerettet werden. Ein stark blutender Patient wird zur Not egal wie und so schnell wie irgend möglich aus dem Fahrzeug gerettet (Crash-Rettung).
Das alles findet immer in sehr enger Absprache zwischen dem Notarzt, dem Rettungsdienst, dem Einsatzleiter der Feuerwehr und auch der Polizei statt. Sobald ungefähr klar ist was für Probleme der Patient hat wird zum Beispiel der Rettungsassistent des Rettungshubschraubers versuchen ein Bett für den Patienten zu organisieren.
Jetzt klingelt in einer großen Klinik die auf die Versorgung von Schwerverletzten spezialisiert ist (meist eine Uniklinik oder eine sgn. BG-Klinik) das rote Telefon. Die Klinik bekommt eine ungefähre Info darüber was sie wann erwartet.
Nachdem der Patient gerettet ist wird meist eine Erstversorgung entweder noch auf der Straße oder im bereitstehenden RTW gemacht. Nach Stabilisierung, Ergänzung intensivmedizinischer Maßnahmen (Narkoseeinleitung, Thoraxdrainagen o.ä.) erfolgt meist der Transport in den Rettungshubschrauber.
Der Rettungsassistent sichert den startenden Hubschrauber ab, der Notarzt kümmert sich weiter um den Patienten. Meist wird jetzt nochmal das aufnehmende Krankenhaus direkt informiert.
„Der Christoph 1 hier, wir landen um 17:20 Uhr mit einem Polytrauma bei Euch, SHT, instabiles Thorax- und Beckentrauma, intubiert, beatmet“.
In der Klinik wird nun das Schockraumteam alarmiert. Bei uns läuft das so, dass man an einem kleinen Rädchen die Uhrzeit einstellt und daneben einen roten Buzzer drückt. Dann bekommen alle für den Schockraum zuständigen Kräfte auf ihr Telefon einen Alarm der z.B. „Schockraum 17:20 Uhr“ anzeigt. Man kann auch einfach so den Buzzer drücken dann wird es ein „Schockraum SOFORT!“ das gibt den besonderen Extra-Kick 😉
Die Zeit vom Ereignis des Unfalls bis zur Übergabe in der Klinik sollte nicht länger als eine Stunde dauern. Alles was darüber hinaus geht ist mit einer deutlich erhöhten Tödlichkeit verbunden.

Das Team wird also mit dem Patienten landen, warten bis die Turbinen etwas abgekühlt und schließlich ausgeschaltet sind (das dauert nun mal zwei Minuten) und im Anschluss den Patienten ausladen und in den Schockraum bringen. Hier steht ein Team bereit, dies besteht meist aus:
Schockraum Teamleader (meist ein Arzt der Anästhesie oder Chirurgie)
Facharzt / Fachärztin Anästhesie (kümmert sich primär um Sicherung des Atemwegs, Stabilisierung des Kreislaufs etc.)
Anästhesie-Pflegekraft (nimmt Blut ab, bereitet Medikamente vor und appliziert sie, macht Narkose, assistiert dem Anästhesisten, behält den Überblick und macht 1000 Dinge mehr…)
Facharzt / Fachärztin Chirurgie (macht die erste Ultraschallaufnahme des Bauches und der Lungen und schaut ob irgendwo Flüssigkeiten sind die da nicht hingehören, legt b.B. Thoraxdrainagen)
Chirurgie-Pflegekraft (entkleidet den Patienten komplett – falls nicht schon geschehen – und assistiert dem Chirurgen z.B. bei der Anlage der Thoraxdrainagen)
Notaufnahme-Pflegekraft (kümmert sich um die Anlage eines Blasenkatheters, nimmt Blut ab, bringt dies zur Blutbank/Labor)

im Standby stehen
Facharzt / Fachärztin Neurochirurgie (macht vor der Bildgebung eine erste Basisuntersuchung, insbesondere wenn der Patient noch wach ist)

Facharzt HNO / Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie / Urologie und andere – je nach angemeldetem Verletzungsmuster

Dieses Team kümmert sich nur und ausschließlich um einen einzigen Patienten. Es ist die maximale Versorgungsstufe die wir leisten können, es gibt keine weitere Eskalation. Alle Technik und alle medizinischen Maßnahmen die überhaupt nur verfügbar sind werden eingesetzt um dieses eine Menschenleben zu retten. Das sieht chaotisch aus, läuft aber wie ein Uhrwerk nach einem Muster welches wir immer und immer wieder trainieren.
Deshalb ist es auch nicht förderlich wenn im Schockraum Praktikanten und Famulanten herumstehen die sich das mal ansehen wollen. Da sie es aber ja doch irgendwie lernen müssen bekommen Bystander bei uns hellblaue Umhänge angezogen (weil die Wände auch hellblau sind und sie so am ehesten nicht wahrgenommen werden) und müssen in einem auf dem Boden markierten Bereich stehenbleiben. Aus diesem dürfen sie nicht heraustreten, bis der Patient den Schockraum wieder verlassen hat.
Der Boden sieht sowieso wie in einer Turnhalle aus. Alles ist farbig eingezeichnet und hat einen festen Standplatz. Der Parkplatz für die Trage des Rettungsdienstes, der Parkplatz für unsere Traumaliege (die man direkt ins CT schieben kann), sogar unsere Beatmungskiste hat einen eigenen Parkplatz (und weil der Parkplatz für die Anästhesie blau ist hat irgendwann mal jemand eine Parkuhr drangehängt).
Abhängig vom Krankheitsbild gibt es ein abgestuftes weiteres vorgehen.

Extrem selten (wenige Male im Jahr) – der Patient wird noch im Schockraum notfallmäßig operiert (am Bauch, an der Luftröhre etc.) weil ein Transfer in den OP zu viel Zeit kosten würde

Selten
(wenige Male im Monat) – der Patient wird direkt in den OP gebracht, es wird keine weitere Bildgebung gemacht, der Patient wird sofort notoperiert aber mit den sterilen Bedingungen und der technischen Ausrüstung eines echten OP-Saales

Regelhaft wird der Patient nach einer kurzen Diagnostik- und Stabilisierungsphase unverzüglich in die Röhre geschoben – das heißt Computertomografie von der Locke bis zur Socke. Dabei entstehen weit über 1500 Bilder die sich der Radiologe (der nächste Facharzt im Bunde…) nun zügig anschauen muss. Das geht nach der radiologischen Devise – find first what kills first. Erstmal nach dem schauen, was den Patienten umbringt, den inkompletten Leistenbruch kann man dann hinterher noch dazu diktieren, das ist in der Regel nicht das akute Problem.
Auf Grundlage des Zustands des Patienten und der Ergebnisse der Diagnostik wird dann entschieden ob der Patient direkt in den OP geht oder erstmal auf die Intensivstation.

Die nächsten 24 Stunden  
Von der Akutphase auf der Autobahn wo Sekundenbruchteile über Leben und Tod entscheiden dehnen sich die relevanten Zeitabstände immer weiter.
Die ersten 24 Stunden werden zeigen wie der Körper es schafft mit den teils massiven Verletzungen umzugehen. Es stehen dramatische Veränderungen an, die den Kreislauf, die Blutgerinnung und Entzündungsmechanismen betreffen die auch ganz ohne Bakterien erhebliche Probleme verursachen können. Mit moderner Intensivmedizin kann der mit Abstand größte Teil der Patienten die es bis hier geschafft haben auch langfristig gerettet werden.
Die Beatmungstherapie, die Stabilisierung der Blutgerinnung, ein geregeltes Temperaturmanagement, die Vermeidung von weiteren Komplikationen wie Lungenentzündungen und Thrombosen und viele weitere Dinge müssen in einem komplexen Zusammenspiel von Ärzten, Pflegekräften, Spezialisten und den Angehörigen gemeistert werden.

Die nächsten Wochen
Der Patient wird manchmal schon nach wenigen Stunden, manchmal erst nach mehreren Tagen von der Beatmungsmaschine entwöhnt und kann aus dem künstlichen Koma erwachen. Je nach der erlittenen Schädigung kann dies auch mehrere Tage dauern.
Jetzt steht die Physiotherapie, ggf. auch Logopädie, Ergotherapie und andere ergänzende Therapieangebote im Vordergrund. Außerdem muss weiterhin kontinuierlich darauf geachtet werden, dass zum Beispiel die Magenschleimhaut keinen Schaden durch die Schmerzmittel nimmt und dass die Bettlägerigkeit nicht zur Ausbildung von Thrombosen führt.
Hauptziel ist es jetzt für den Patienten eine Anschlussheilbehandlung (früher auch Reha genannt) zu finden um schnellstmöglich eine Wiedererlangung der Selbständigkeit des Patienten zu gewährleisten.

Und für alle die sich das durchgelesen haben gibt es an dieser Stelle noch ein sehr empfehlenswertes Video.
Das Team vom SWR wollte eine Reportage über den Rettungshubschrauber drehen und war somit zufällig mit dabei als Marcelo in der Schule aus dem Fenster fiel. Das Team entschied sich dafür nicht nur den Unfall und die Erstversorgung (die schön zeigt was da so alles schief gehen kann) zu zeigen sondern auch die nächsten Tage, Wochen und Monate Maurice zu begleiten.
Sehenswert, in jeder Hinsicht.

Manuela, 39J.

Schon im Kindergarten in der Mäusegruppe, in der Grundschule stilles Mäuschen geblieben, Realschulabschluss ohne nennenswerte Vorkommnisse, Tierpflegepraktikum, abgebrochene Friseurinnen-Lehre, erstes Kind, im zweiten Anlauf Einzelhandelskauffrau versucht, Ausbildung abgebrochen und an der Kasse geblieben.
Zweites Kind mit dem zweiten Mann, jetzt kleines Haus gekauft, er selbständig bei der Post als Paketzusteller, wenig Geld, viel Arbeit, wenig Zeit.
Viel Trubel in der Vorweihnachtszeit, nach Weihnachten soll es aber endlich ruhiger werden. Heute Weihnachtsfeier mit dem ganzen Team vom Supermarkt, Tina und Gitti kommen auch. Schweinefilet in Champignon-Rahm-Sauce ist auch da, Manuela nimmt das Hähnchenbrustfilet in Curry-Früchte-Sauce, Kartoffelgratin dabei und hinten drauf noch Rote Grütze mit Vanillesauce.
Ein kurzer Knall, da liegt Manuela auch schon auf dem Tisch. Kurzes Entsetzen im Saal, eigentlich zu früh um dem Alkohol die Schuld geben zu können – dabei hatte Manuela doch nur eine Fanta ohne Eis. Manuela zuckte noch ein paar Mal, Auftritt Hans (*betrieblicher Ersthelfer*). Dicke Decke drunter, Kopf gepolstert, Möbel aus dem Weg, Hilferuf abgesetzt.

Einsatzmeldung: NA Intern Kühlheide 282, Landgasthof Schulze-Oeverding, Krampfanfall, SoSi Mehrfach

Bei unserer Ankunft finden wir Manuela wach, ansprechbar, adäquat und wach vor. Großes Lob an die Ersthelfer, alles richtig gemacht und das erlebt man ja auch selten.
Manuela klagt über Übelkeit, der Großteil des Weihnachtsschmaus hat sich über ihr Pailletten-Top verteilt, die Situation ist ihr sichtlich unangenehm. In einem mit 100 Personen spärlich besetzten 400-Personen-Festsaal so etwas wie Privatsphäre zu kreieren entpuppt sich als ein hoffnungloses Unterfangen. Wir einigen uns auf das kleine Programm vor Ort (Beistand, guter Zuspruch, warme Decke, erste Anamnese) und warten auf den RTW der auch kurz danach eintrifft. Manuela hyperventiliert nun ein wenig, zu viel Aufregung, zu viele Augen die sich das mal ganz genau anschauen müssen. Die Manuela, also nee. Völlig abgestürzt und das um kurz nach 8… ts.
Ich bin kurz wütend auf diese Freizeit-Moralapostel und konzentriere mich auf Manuela, spreche ihr gut zu und meine das auch so, dass Sie das jetzt mal einen feuchten Sch** interessieren sollte was irgendwer über sie denkt.
Manuela beklagt neben der Übelkeit, dass jetzt ihre Finger kribbeln würden, sie erhält eine Hyperventilationsmaske und wir reden ein bißchen miteinander, auch das beruhigt sie.
Ab auf die Trage, Abmarsch, ja schönen Abend noch, nein wir lassen ihnen keine Drogen da für die Party, haha.
Im RTW nochmal die Zusammenfassung und hier wird es etwas medizinisch.
Kein A-Problem, B: Hyperventilation, kein C-problem, D: Blutzucker gut (140mg/dl), E: führendes Problem Übelkeit
Was war passiert?
Laut der Umstehenden Personen habe Manuela gezuckt. Am ganzen Körper. Eine differenziertere Anamnese ist nicht möglich, mit ein bißchen Glück hätte ich irgendwo vielleicht noch ein Video finden können, irgendwer filmt ja immer… Egal. Meine Überlegungen:
Krampfanfall: fremdanamnestisch global, aber kein Zungenbiss, Pat. hat nicht eingenässt, trotz kurzer Anfahrtszeit kein postiktaler Dämmerzustand, kein Krampfleiden bekannt, keine klassischen Trigger (Schlafentzug, Lichtblitze etc.), Vomitus (erbrechen) untypisch
Lebensmittelvergiftung: dafür spricht das schwallartige Erbrechen, erklärt aber nicht den mutmaßlich stattgehabten Krampfanfall
Schlaganfall: überhaupt null Komma null neurologische Defizite, keine Risikoanamnese (Nichtraucherin), Pupillen gleichgroß (!) mittelweit, lichtreagibel
Hirnblutung: Kopfschmerz wird zunächst verneint, im Verlauf mit 4 von 10 angegeben, Pat. empfindet die Schmerzen als im Hinterkopf lokalisiert aber nicht als behandlungsbedürftig, außerdem wie gesagt mit identischer Pupillengröße, Pat. wach, voll orientiert, adäquat und ohne Defizite.
Im RTW entscheide ich mich aufgrund der fortgesetzten Übelkeit und der Agitation für Dimenhydrinat. Ich gebe gerne eine halbe Ampulle langsam i.v. (unter EKG-Kontrolle, CAVE QT-Verlängerung und Rhythmusstörungen!), den Rest dann in die Infusion. Nimmt sehr zuverlässig die Übelkeit, macht müde und beruhigt darüber vielleicht auch ein bißchen – so zumindest mein Therapieansatz. Ich überlege etwas Midazolam zu titrieren denn Sie beklagt als Hauptproblem diese Unruhe, Übelkeit und Angst, will aber erstmal die Wirkung des Dimenhydrinats  abzuwarten.
Wir fahren die Neurologie eines Maximalversorgers an, ca. 20 Minuten bodengebunden.
Auf dem Weg versuche ich mehrmals die Anamnese zu präzisieren. Was ist hier passiert? Mein Bauch sagt mir, dass hier irgendwas im Busch ist.
Manuela fallen nun langsam die Augen zu, klar, Dimenhydrinat ist da. Sie bleibt dabei jederzeit erweckbar, die Übelkeit scheint aber zu bleiben. Manuela muss nun erneut erbrechen und schafft es in Oberkörperhochlagerung so gerade eben die Brocken heraus zu befördern. Mir wird etwas übel. Ich bin heilfroh, dass ich nicht auch noch Midazolam gegeben habe, dann hätten wir hier ein richtiges Problem gehabt.
Die mitfahrende Rettungsassistentin erzählte mir von ihren Erfahrungen mit diesem Medikament und dass Sie davon ja zwei Tage geschlafen habe. Ja, ich habe das auch schon mal genommen und ja, es macht sehr müde, aber das hier war was anderes. Nochmal kurzer Check, Pupillen gleich groß, keine Defizite, nach wie vor die Antwort auf meine Frage „was ist im Moment das Hauptproblem“ – die Übelkeit. Erst auf Nachfrage bejaht sie erneut leichte Kopfschmerzen, sie seien jetzt vorne im Kopf.
Die wechselnde Wachheit und die präzise Kopfschmerzbeschreibung (wenn auch als sehr moderat und von ihr als nicht behandlungsbedürftig beschrieben!) sowie die fortgesetzte Übelkeit lässt meinen Bauch entscheiden die Patientin für den Schockraum anzumelden. Anästhesie, Neurologie, Neurochirurgie.
Ich beiße mir auf die Unterlippe – ist das nicht etwas hoch gegriffen? Schockraum? Für eine Pat. mit einem GSC irgendwo zwischen 13 und 15?
Ich frage Patienten immer danach, was im Moment ihr Hauptproblem ist und ob ich gegen diese oder jene Befindlichkeitsstörung etwas machen soll. Tatsächlich ist es nämlich oft so, dass Patienten ein bestimmtes Symptom als gar nicht so schlimm empfinden. Und bevor ich mir neue Probleme ins Haus hole lasse ich die Medikamente wo sie sind. Keine Wirkung ohne Nebenwirkung.
Manuela blieb bei der Übelkeit, das Kribbeln in den Fingern war bei der Ankunft im Krankenhaus auch weg und ansonsten hatten wir bis auf den leichten Kopfschmerz und die wechselnde Wachheit – nichts.
Ich wurde von der Kollegin etwas komisch angeschaut und bin ganz ehrlich – ich hätte es genauso getan.
In meinem Kopf lief nur vorher das Szenario wie folgt ab: Neurologe untersucht kurz, stellt die Indikation zum CCT, Pat. liegt dort flach, übergibt sich mit mittelguten Schutzreflexen, atmet ihr Curryhühnchen ein und wird reanimationspflichtig. Wir kennen das.
Ich machte also meine Übergabe im Schockraum und musste mir anhören „wieso man für sowas hier hin fährt, Magen-Darm können die in der Waldklinik auch“ (Neurologe), „Übelkeit kann man nicht rausoperieren“ (Neurochirurg), sowie von der Anästhesie „Ich habe auch mal Dimenhydrinat bekommen, davon habe ich zwei Tage geschlafen“ – äh ja, danke, das hatten wir schon.
Ich habe allen Beteiligten ganz ehrlich gesagt, dass auch mir durchaus bewusst ist, dass die sachliche Analyse der Lage keine wirkliche Dramatik erkennen lässt. Ich habe aber auch gesehen, wie die Patientin vor zehn Minuten versucht hat, ihre Bröckchen zu erbrechen und das war eben nicht mehr adäquat und auch nicht nur durch Dimenhydrinat zu erklären.
Die Patientin ging erstaunlicherweise ohne viele Diskussionen ins CCT, das Team versammelt sich dann aus Strahlenschutzgründen immer im Schaltraum, es wird wild durcheinander gequasselt und als die ersten Schichten auf dem Monitor aufliefen wurde es dann doch kurz still.
Monika hatte eine dicke Subarachnoidalblutung.
Für einen kurzen Moment wanderten die ungläubigen Blicke zwischen dem Monitor und mir hin und her. Ich schäme mich dafür, dass ich für einen Moment den Triumph über die Genugtuung genoss, hier nicht übertrieben zu haben. Mein Bauch hatte Recht.
Ich fühlte mich trotzdem schlecht, denn es war die schlechtmöglichste Variante für die Patientin.
Mich hat der Einsatz in vielerlei Hinsicht nachdenklich und demütig gemacht.
Ich bin froh, dass sich mein Bauch mittlerweile zu einem so guten Notfallmediziner gemausert hat und nicht so viel auf klassische Literaturbeschreibungen (aber die hatte keinen Vernichtungskopfschmerz!) gibt.
Ich versuche demütig zu bleiben wenn ich das nächste Mal im Schockraum Patienten annehme die ich als über-triagiert betrachte.
Und ich will in Zukunft wachsam bleiben, auch wenn der Einsatz banal erscheint.

Manuela wurde aufgrund eines spontan geplatzten Aneurysmas durch die Neuroradiologen gecoilt. Manuela hat es der absolut exzellenten Versorgung durch die Neuroradiologen zu verdanken, dass sie schon am nächsten Tag extubiert werden konnte und sich relativ rasch wieder wach, adäquat und ohne erkennbare neurologische Defizite zeigte. Nur die Erinnerung an die Weihnahtsfeier fehlt ihr komplett, aber das lässt sich nachholen.