Luft besteht zum Großteil (78%) aus Stickstoff. Ein wichtiges Trägergas welches von unseren Lungen zwar eingeatmet aber nicht in die Blutbahn aufgenommen wird. Es stabilisiert gewissermaßen unsere Bronchien und verhindert einen Totalkollaps.
Dann kommt Sauerstoff mit ca. 21%. Mehr als genug zum Leben.
Argon macht knapp 0,9% aus und der Rest sind Spurenelemente, Edelgase und ein Hauch Kohlendioxid – also known as world famous CO2.
Wenn wir die Luft ausatmen ist immer noch gleich viel Stickstoff drin (passiert ja nix damit), aber nur noch ca. 16% Sauerstoff, dafür etwa 4-5% Kohlendioxid.
Das sind Basics. 78%, 21%, 1%.
Sowas sollte jeder in der Vitalparametermedizin tätige Mensch drauf haben. Damit schließe ich die Pflegekräfte in der Anästhesie aber auch und insbesondere die Rettungsassistenten und natürlich die Ärzte mit ein.
Aktuell haben wir einen Praktikanten vom Rettungsdienst hier, Maurice. Der Junge ist sehr interessiert, vor allem an seinem Smartphone und den bunten Bällen die er dort traktiert. Erklärt man ihm was kommt meistens als Antwort etwas in der Art, dass er das irgendwo schon mal gesehen oder gehört habe und überhaupt.
Da habe ich grundsätzlich kein Problem mit, ich muss mich nicht aufzwingen. Wir waren nun in der Einleitung eines sehr kranken Patienten der sauerstoffpflichtig von der Intensivstation kam und Maurice wurde von der mir zugeteilten Pflegekraft namens Uwe gefragt wieso der denn Sauerstoff bekäme und ob denn in der Atmosphäre nicht schon genug Sauerstoff drin sei.
Maurice guckte.
Uwe wollte was über die normale Luft und die Anteile der enthaltenen Gase wissen. 78, 21, 1, ihr kennt das jetzt.
Maurice hörte interessiert zu – immerhin.
Wir ließen das ganze sacken und gingen fröhlich unseres Weges.
Nächster Tag.
Maurice.
In meiner Einleitung.
Mit Uwe.
„Maurice, jetzt sag doch nochmal schnell wie das mit der Zusammensetzung der Luft ist.“
Maurice guckte. Es kam nichts (gehaltvolles).
Mir war die Situation unangenehm. Wie konnte er das vergessen haben? Oder hat er es verdrängt? Hat er uns nicht verstanden?
Aber was war hier eigentlich das Problem?
Ich hatte Verständnis für ihn, die ganze Situation war ja auch sicher sehr aufregend, alles neue Eindrücke, der OP, das Blut, wir kennen das. Außerdem war ich mir sicher, dass hier jemand ganz am Anfang seines vielversprechenden Weges war – da wollnwama nett sein.
Uwe erklärte nochmal die Zusammensetzung der Luft, ich kam mir vor als würde ich die dritte Wiederholung einer Sendung mit der Maus schauen.
Wenn Maurice jetzt am Anfang seines Weges stehen würde, dann wäre das sicher auch nochmal was anderes. Maurice war aber gerade mitten in den Vorbereitungen für die Abschlussprüfungen seiner zweijährigen Ausbildung (noch zum RA). Ich frage mich allen Ernstes wie er so weit gekommen ist?
In den Zwischenzeilen des dahinplätschernden Narkosetages wird an der einen oder anderen Stelle auch mehr als deutlich welche teils eklatanten Wissenslücken noch zu schließen sind.
Manchmal schreibe ich hier von wahren Begebenheiten und dann regnet es Kritik von daskönnejasoallesnichtsein und erübertreibtmalwieder. All denen die nicht im verrückten Alltag des Rettungsdienstes oder in dem Wahnsinn der Klinik zuhause sind sei gesagt – das kann man sich nicht ausdenken. Der reale Irrsinn ist so unrealistisch, dass jedem Drehbuchautor das liebevoll gescriptete Tagwerk um die Ohren gehauen würde.
Wenn ich jetzt berichte, dass Uwe es nicht lassen konnte und Maurice am dritten Tag zum dritten Mal in Folge nach den drei (!) Anteilen der uns umgebenden Raumluft fragte dann macht der obere Absatz Sinn. It’s funny because it’s true…
Mir wäre das ja zu peinlich gewesen, Uwe nicht. Der wollte es wissen. Er behielt recht. Maurice schaute uns mit großen Augen fragend an. Er bekam keine Antwort mehr. Uwe hatte ihn aufgegeben und wer will ihm das verübeln?
Ich war bisher immer der Meinung, dass Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse jedem vermittelbar sind. Ich dachte es sei nur eine Frage der passenden Didaktik oder gegebenenfalls der reduzierten Sprechgeschwindigkeit gewürzt mit ausreichend Wiederholungen – irgendwann würde es jeder verstehen.
Jetzt wo ich auch ausbilde, unterrichte und gelegentlich auch an Prüfungen teilnehme sehe ich das anders. Ich glaube sehr wohl, dass es Menschen gibt bei denen all dies Entgegenkommen nicht von einem (Lern-)Erfolg gekrönt sein wird.
Das darf ja auch alles so sein, ich will das auch gar nicht groß kritisieren. Der Junge wird es auch sonst im Leben nicht einfach (gehabt) haben. Ich muss auch sagen, dass mir noch nie im Rettungsdienst jemand untergekommen ist der/die so schlecht ausgebildet gewesen wäre. Klar gibt es Unterschiede, genauso wie bei den Notärzten, Bankkaufleuten und Hausmeistern.
Es wird sich ja trotzdem irgendwann für jeden und jede die geeignete Ausbildung oder ein passender Job finden. Ob es für Maurice am Ende der Rettungsassistent wurde, weiß ich nicht.
Ich bin noch einige Zeit in diesem Kreis als Notarzt gefahren, Maurice habe ich zumindest auf dem RTW nicht angetroffen.