Echte erste Hilfe nach Verkehrsunfällen

Die Situationen sind genau so selten wie stressig.
Szenario 1: 
Mein Vater war im Urlaub unterwegs in den Alpen. Auf der Autobahn platzt ein Reifen, das Auto rammt den Mittelstreifen, gräbt sich im Grünstreifen ein, überschlägt sich zwei mal, eine Person wird herausgeschleudert, der PKW bleibt quer auf der Fahrbahn stehen.
Szenario 2: 
Wir waren auf dem Weg zur Taufe meiner Nichte. Ein Motorradfahrer verschätzt sich, wird in einer engen Kurve einer abgelegenen Landstraße nach außen getragen und kollidiert mit einem Camper. Er liegt stöhnend am Fahrbahnrand, hält sich den Bauch und das Becken.  
Szenario 3: 
Meine Nachbarin war auf dem Heimweg vom Badenachmittag an einem Naturfreibad.
Ein Motorradfahrer will zwei PKW überholen, beschleunigt stark. Der vordere PKW schert aus um unvermittelt nach links in einen Feldweg abzubiegen. Das Motorrad kann nicht mehr ausweichen und schlägt am Heck des PKWs ein. Das Motorrad zerreißt in zwei Teile, der Motorradfahrer bleibt regungslos liegen. 

Diese drei Szenarien sind genau so passiert.
In allen Situationen gab es einen oder mehrere Schwerverletzte. Alle trafen mich oder meinen Vater oder meine Nachbarin völlig unvorbereitet.
Was kann man jetzt praktisch tun?
Ich denke man sollte schon nach Qualifikation der Ersthelferausbildung und vielleicht auch nach der Verfügbarkeit von Erste-Hilfe-Möglichkeiten unterscheiden. Aber man muss nicht Arzt/Ärztin sein, um qualifiziert helfen zu können. 
Was kann jeder tun: 
Als erstes – die Unfallstelle absichern! 
Zieht Euch eine dieser neongelben Sicherheitswesten an, die jeder in Anzahl der mitreisenden Personen mitführen muss. Und dann das wichtigste: Ruhe bewahren. 
Hierfür hilft es sich immer mal wieder während einer Autofahrt zu visualisieren – was würde ich jetzt tun, wenn jetzt der PKW vor mir bei dem riskanten Überholmanöver verunfallt? Und dann eine möglichst logische, vollständige Liste abarbeiten. Wem das hilft, der kann sich auch eine Checkliste dafür ins Auto legen. 
Bin ich alleine im PKW unterwegs stelle ich das Auto quer VOR die Unfallstelle. Mein eigenes Auto ist dann wie ein Rammbock. Habe ich noch Familie dabei, versuche ich hinter die Unfallstelle zu fahren und sichere nach vorne ab. 
Wanrblinkanlage an, bei Dämmerung oder Dunkelheit nutze ich zusätzlich LED-Powerflares. Die kosten ca. 10€ das Stück, findet man unter „Powerflare Akku LED Signallicht“ oder ähnlich (ich darf die nicht verlinken, sonst wäre es  Werbung). Ich habe davon drei im Auto, so sollten mindestens zwei immer funktionieren. 
Die Akkus halten ewig, muss ich nur alle paar Monate mal aufladen. 

Ist die Einsatzstelle gesichert hilft es sich einen groben Überblick zu machen: wie viele Verletzte gibt es und wie schwer sind sie verletzt. Wie findet man das raus? Da gibt es einen Trick: 
Menschen die eingeklemmt sind und nicht selber aus dem verbeulten Fahrzeug kommen gelten als akut lebensbedroht („rot“), ebenso alle die irgendwo liegen. Wer sitzen aber nicht stehen oder laufen kann, aber trotzdem beeinträchtigt wirkt kann als potenziell schwerverletzt („gelb“) eingeteilt werden. Wer laufen kann gilt als leicht verletzt oder gar nur Betroffener („grün“).
Jetzt folgt der Anruf bei der 112: Hilfe holen!
Der Disponent/die Disponentin wird Euch durch die Fragen führen. Wo ist der Unfallort passiert – das ist auf der Autobahn nicht ganz so einfach, aber dazu wird man Euch Hiflestellungen geben.
Dann solltet ihr kurz beschreiben was ihr seht, wie viele Fahrzeuge verunfallt sind und ob es Besonderheiten gibt wie z.B. das ein Fahrzeug auf dem Dach liegt. Dann wäre eine ungefähre Schätzung der Verletzten gut, z.B. „da ist noch einer drin, der kommt nicht raus, zwei sind rausgekrabbelt, die liegen am Straßenrand, und einer sitzt da, der kann nicht aufstehen“. Gute LeitstellendisponentInnen können das interpretieren und Euch jetzt schon die adäquate Hilfe auf den Weg schicken. Noch während ihr mit der Leitstelle telefoniert geht dann z.B. bei mir der Melder und wir machen uns auf den Weg.
Was kann man nun für die Schwerverletzten tun?
Jede Menge!
Vor allem – traut Euch. Ihr könnt – wie so oft – kaum was falsch machen, außer wenn ihr nichts macht. Achtet immer, immer, immer auf die eigene Sicherheit!
Es nützt niemandem etwas, wenn ihr Euch in Gefahr begebt oder weitere Fahrzeuge in die Unfallstelle rasen. Sobald ihr sicher seid könnt ihr zu einer schwerverletzten Person gehen und diese informieren, dass Hilfe unterwegs ist. Sowas banales, oder? 
Aber genau das hilft!
Wer mal im Auto eingeklemmt war weiß, zu wissen, dass Hilfe unterwegs ist, ist die halbe Miete. Rettung ist auf dem Weg!
Bleibt bei dieser Person, bleibt ansprechbar. Versucht der Person die Lagerung zu erleichtern. Vielleicht kann man eine Jacke unter den Kopf legen falls das Auto auf der Seite liegt.
Habt ihr einen schwer verletzen und vielleicht sogar bewusstlosen Motorradfahrer, dann solltet ihr auch auf jeden Fall den Helm abnehmen (https://narkosearzt.wordpress.com/2019/02/24/stabile-seitenlage-und-helm-ab-oder-etwa-doch-nicht/).
Gerade bei Regen oder kalter Witterung, im Grunde genommen aber immer außer wenn es 35° hat, solltet ihr die Person warm halten. Sucht Euch Jacken zusammen, fragt umstehende Personen und bittet sie nach Decken/Fliesjacken. Eigene Jacken sind deswegen super weil sie durch die eigenen Körperwärme vorgewärmt sind und außerdem ist es ein schöner Akt von Nächstenliebe.
Ich habe auch schon mangels Alternativen Unfallopfern meine warme Notarztjacke angezogen. Kommt danach in die Wäsche und gut ist.  
Ihr seht schon jetzt, man kann viel machen! Und für nichts davon muss man Notarzt oder Notärztin sein.
Wiederholung:
1) Unfallstelle absichern, ggf. eigenen PKW dafür nutzen
2) Sicherheitsweste anziehen
3) Überblick machen und 112 (Rettungsdienst/Feuerwehr) anrufen 
4) bei Schwerverletzten bleiben, Hilfe anbieten, Wärme erhalten

Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür.
Was mache ich wenn jemand wirklich viel blutet. Und wann blutet jemand viel?
Blutende Wunden haben die Eigenschaft sehr spektakulär auszusehen, auch wenn eigentlich noch gar nicht viel Blut geflossen ist. Viel Blut ist es immer dann, wenn es sich in Pfützen sammelt oder z.B. die Straße runter läuft. Dann sind es in der Regel deutlich mehr als 500ml Blut und das wird für diese Patienten potenziell kritisch. Das tückische ist – selbst wenn der Rettungsdienst rechtzeitig kommt, kann dieser Blutverlust in den ersten 10 oder 20 Minuten ausreichen, dass die Patienten hinterher (nach 24 Stunden) versterben. Es ist also immens wichtig diese Patienten von Anfang an warm zu halten und die Blutung zu stoppen.
Das geht ganz einfach – indem man dort wo das Blut rauskommt, Druck ausübt. Das kann man mit einem zusammengeknüllten Tuch (Dreiecktuch aus dem Erste-Hilfe-Kasten!) oder hervorragend auch mit einem T-Shirt machen. Dieses möglichst eng und fest in die Wunde drücken und von außen auf die Wunde drücken. Gegendruck verhindert, dass weiteres Blut verloren geht. 
Hier ist es etwas genauer beschrieben (https://www.drk.de/hilfe-in-deutschland/erste-hilfe/blutungen-und-blutstillstand/blutungen/) aber – macht da keine Raketenwissenschaft draus! 
Druck auf die Blutung, egal wie!
Mit dieser einfachen Maßnahme kann man ohne Witz ganz konkret Leben retten. Wenn wir nach 10 Minuten mit dem Rettungshubschrauber angeblasen kommen, dann sieht das zwar sehr spektakulär aus, aber wenn der Patient bis dahin schon 2 oder 3 Liter Blut verloren hat, dann werden wir für diesen Patienten gar nichts mehr ausrichten können.  

Also 
1) Unfallstelle absichern, ggf. eigenen PKW dafür nutzen
2) Sicherheitsweste anziehen
3) Überblick machen und 112 (Rettungsdienst/Feuerwehr) anrufen 
4) bei Schwerverletzten bleiben, Hilfe anbieten, Wärme erhalten
5) schwere, kritische Blutungen stillen 

Und zuletzt – wenn die ersten professionellen Retter kommen und die Einsatzleitung übernehmen, dann scheut Euch nicht selber um Hilfe zu bitten. 
Es gibt exzellente PSU-Teams, die das oft noch an Ort und Stelle mit Euch besprechen. Die Euch ein professionelles Feedback geben können, was die Einsatzkräfte jetzt tun. 
Das hilft ganz entscheidend bei der Verarbeitung. 
Auf keinen Fall solltet ihr die Fahrt einfach so fortsetzen. Das Risiko ist zu hoch selbst einen Unfall zu bauen, weil ihr mit den Gedanken ganz woanders seid. 

Ich hoffe das hilft Euch wenn ihr das nächste Mal zu einem schweren Verkehrsunfall kommt. 
Jede Hilfe ist besser als keine. 
Danke für Euren Einsatz und schreibt mir gerne mal was ihr so erlebt habt und wie ihr helfen konntet! 

Kälte.

Kälte kann Fluch und Segen sein.
Kälte ist eine medizinische Maßnahem die wir einsetzen um Menschen zu retten, um Gehirnzellen nach einer Wiederbelebung zu schützen und um große Operationen wie den Ersatz einer gerissenen Hauptschlagader erst möglich zu machen.
So auch bei Michaela.

Michaela ist ein vier Jahre junges Mädchen als sie in einen eiskalten Teich fällt. Als sie in den Teich gleitet versucht sie noch durch strampeln sich über Wasser zu halten.
Hinterher wird man Erdreste unter den Fingernägeln finden, Michaela hat wohl zunächst noch erfolgreich versucht sich am Ufer fest zu halten. Retten konnte sie sich selbst nicht, aber in der Zeit in der sie ihren Kopf noch über Wasser hielt kühlte das ca. 8-9°C kalte Wasser innerhalb weniger Minuten erst das Blut in den Beinen und dann auch die Muskeln aus. Jeder der schon mal bei Schnee und Eis ohne lange Unterhose auf den Bus gewartet hat weiß wie schwer, müde und kraftlos kalte Muskeln in den Beinen werden.
Die Muskeln bei Michaela werden schließlich auch kalt und schwach, versagen ihre Arbeit. Die von der Kälte gelähmten Beine werden bleischwer, ziehen Michaela letztlich unter die Wasseroberfläche.

Nach dem Überlebenskampf legt sich eine gespenstische Stille über den Teich.
Michaela liegt auf dem Boden dieses Teiches, auch das Herz schlägt immer langsamer, der Herzrhythmus entkoppelt, schließlich bleibt das Herz stehen.

Nach einer halben Stunde wird Michaela gefunden, zunächst von der Familie, dann von einem Notarzt reanimiert. Die erstmalig gemessene Temperatur beträgt gerade mal 18° C.
Michaela wird beatmet und in ein Krankenhaus geflogen.
Die ganze Geschichte wurde verfilmt und als „Wunder von Kärnten“ bekannt.
In einem hörenswerten Vortrag von Dr. Markus Thalmann aus dem Jahr 2017 schildert er die Ereignisse und glücklichen Fügungen von damals gemeinsam mit ein paar Hintergrundinformationen zur Hypothermie.
Michaela wurde an der Herz-Lungen-Maschine erwärmt, nahm ein paar Komplikationen mit und konnte schließlich ohne Residuen, das heißt ohne sichtbare, neurologische Folgeschäden entlassen werden.
Ebenfalls von der AGN gibt es übrigens einen großartigen Vortrag von Prof. Dr. Michael Holzer über die therapeutische Hypothermie – den Einsatz einer künstlichen Herunterkühlung eines Patienten nach einer Wiederbelebung.
Beides schöne Beispiele dafür wie wir Kälte in der Medizin nutzen.

Kälte beschäftigt uns aber in diesen Tagen vor allen Dingen aus ganz anderen Gründen. Alkoholisierte, oft wohnungslose Patienten werden irgendwo aufgefunden und vom Rettungsdienst in unsere Klinik verbracht.
Eigentlich gehören diese Menschen in eine Unterkunft wo sie etwas warmes zu Essen und einen sicheren Platz zum schlafen bekommen. Im Krankenhaus haben wir beides, warmes Essen und einen sicheren Platz zum schlafen, trotzdem sind wir dafür eigentlich nicht die richtige Adresse. Die ganze Infrastruktur, das Equipment einer ZNA und vor allem das Personal ist viel zu teuer, trotzdem landen unterkühlte Obdachlose bei uns weil keiner weiß wo sie sonst hin sollen. Die soziale Isolation führt dazu, dass Menschen wie Herr Jawotschek durch alle Maschen sozialer Hilfsmaßnahmen fallen und ganz am Ende eines tiefen Falls landen diese Menschen dann manchmal bei mir im Schockraum.

Für Herrn Jawotschek wäre Weihnachten 2017 vielleicht anders verlaufen, wenn er nicht in der sozialen Isolation von allen ignoriert worden wäre.
Herr Jawotschek wohnte mit seiner Frau in einer50qm-Einliegerwohnung. Sortierte Verhältnisse, kinderlos, zwei Katzen, er Schichtarbeiter im Sicherheitsdienst, sie bei einem kleinen Entsorgungsbetrieb in der Verwaltung. Zusammen reichte das Geld für einen sich ewig wiederholenden Lebensrhythmus aus Arbeit, Urlaub im Harz, Schützenfest und einmal im Monat einem Abendessen im Restaurant. Entweder beim Griechen (seine Wahl) oder beim Italiener (ihre Wahl). Es war diese Monotonie die Ihnen Sicherheit gab, Herr Jawotschek sagt es war ein schönes Leben ohne Überraschungen.
Seine Frau entdeckte im Urlaub einen Knoten an der Brust, sie hatte auch schon viel  abgenommen. Keine vier Monate später war seine Frau tot.
Der Schmerz über ihren Verlust, die Leere in der Wohnung ließen ihn zum Alkohol greifen. Der Supermarkt lag am Ende der Straße, einen Fußweg von nur 100m entfernt. Ganze Regale voll mit Problemlösern in allen Farben und Geschmacksrichtungen.
Herr Jawotschek war immer häufiger krank, fehlte auf der Arbeit, verlor schließlich seinen Job. Mit Hartz4 konnte er die Wohnung nicht halten, er solle umziehen.
Es war Sommer, Herr Jawotschek nahm einen Rucksack, zog die Tür zu und kehrte nicht mehr zurück. Er schlief eigentlich immer auf dem Parkdeck eines Möbelhauses, hinten in einer Ecke hinter den Einkaufswagen.
An einem kaltnassen Novembertag 2017 schmerzte die Kälte besonders. Trotz Jacke und Schlafsack, trotz Wodka und Korn. Der Alkohol ist ständiger Begleiter, tröstet, dämpft und lindert im Winter die durch die Kälte entstehenden Schmerzen.
Irgendwann hüllte ihn eine gnädige Dämmerung ein.

Menschen gingen an ihm vorbei, sie sahen ihn und dachten sich wohl auch, dass bei diesem Wetter und der Eiseskälte niemand dort liegen sollte.
Sie alle ignorierten die notwendige  Konsequenz. Es waren ja genug andere dort. Wenn keiner von denen etwas macht, dann müssen wir ja auch nichts machen.
Bei Außentemperaturen die nachts bis auf -5°C abfielen liegt Herr Jawotschek dort und an ihm strömen unzählige Menschen vorbei. Auf den Kameras der Überwachungsmonitore wird man hinterher sehen, dass an zwei Tagen in Folge Menschen an ihm vorbei liefen und teilweise sogar über ihn drüber stiegen um Müll in einem hinter ihm angebrachten Mülleimer zu entsorgen.
Zu jedem Unglück gehört auch immer Glück und Herr Jawotschek hatte Glück, weil der hinter ihm abgelagerte Papier- und Kartonagenmüll nicht abgeholt wurde während er da lag. Diese isolierten ein wenig, hielten die ganz kalten Luftströme weg und sorgten dafür, dass die warme Abluft aus dem Kaufhaus nicht sofort weggeweht wurde.
Wenn man sich nah genug an die Abluftrohre legt und der Wind gut steht wird man bei Regen oder Schnee noch nicht mal nass. Der Platz ist beliebt, der Platz muss regelmäßig gegen andere Obdachlose verteidigt werden. Städtische Übernachtungsangebote sind keine Alternative für ihn. Die letzten Male in denen Maik dort übernachtet hat wurden ihm die wenigen Habseligkeiten die er noch besitzt gestohlen, von einem anderen Obdachlosen. Er kommt klar, will kein Mitleid, aber die nasse Kälte macht auch ihm zu schaffen.
Am Ende einer langen Nacht öffnete das Möbelhaus seine Türen, ein weiterer Tag an dem Eckbanken in Sonoma Eiche Imitat den Besitzer wechselten. Eine weitere Nacht in der sich das Parkhausdeck leerte und nur Herr Jawotschek dort blieb.
Ein neuer Tag an dem Boxspringbetten mit 7-Zonen-Tonnentaschenfederkernmatratzen für jetzt-nur-899€ verkauft wurden.

Es muss ein weiterer, glücklicher Zufall gewesen sein, dass die Autobatterie eines Golf Sportsvan – der eigentlich einen neuen Couchtisch nach Hause bringen sollte – an diesem Tag ihren Dienst versagte.
Direkt neben Herrn Jawotschek wurde von der Pannenhelferin versucht, die Batterie zu überbrücken und dem Auto so zu einem Neustart zu verhelfen.
Als Metapher wäre das schon reichlich kitschig.
Wer Rettungsdienst fährt weiß – die Geschichten des echten Lebens sind kitschiger, dramatischer und absurder, als es eine Liason aus Rosamunde Pilcher und Jim Carrey hergeben könnte.
Die Pannenhelferin war es der die Situation komisch vorkam. Der Mann dort bewegte sich nicht mehr, er fühlte sich kalt an. Tot.
Die Pannenhelferin war es daher auch, die als herbeigerufene Helferin ihrerseits Hilfe herbeirief. Drehbuch und so, kannste Dir nicht ausdenken.
Tatsächlich war ein sehr kompetentes Team eines RTWs als ersteintreffendes Rettungsmittel vor Ort und leitete ein EKG ab welches Zeichen einen funktionellen Kreislaufstillstand zeigte (PEA). Die fast zeitgleich eintreffende Notärztin entschied sich für eine schonende Rettung (s. Bergungstod) und Immobilisation und fuhr ein Zentrum mit der Möglichkeit zur extrakorporalen Erwärmung an.
Herr Jawotschek wurde noch im Schockraum unserer Klinik für den Anschluss an eine Herzlungenmaschine kanülliert. Während wir Herrn Jawotschek langsam aufwärmten diskutierten wir die Sinnhaftigkeit des Unterfangens. Das Kalium war schon relativ hoch, ein Zeichen für einen höhergradigen Zellschaden und eine längere Liegedauer. Im cCT fand sich kein Hinweis auf einen höhergradigen Hirnschaden, in der Folge konnte der Patient zunehmend besser den Kreislauf halten. Wir sahen vor allem eine massive Schädigung der Muskulatur mit einem CK-Anstieg über 100.000, Herr Jawotschek wurde dialysiert.
Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt auf der Intensivstation blieb die Dialysepflichtigkeit, die Nieren hatten einen irreversiblen Schaden bekommen. Ansonsten blieb er ohne erkennbare neurologische Defizite.
Die fragliche Suizidalität führte dazu, dass Herr Jawotschek über einen Aufenthalt in der Psychiatrie ausgeschleust wurde. Dort wurde über den Sozialdienst umfangreiche Hilfe organisiert, alles sah nach einem echten Neustart aus.
Ich habe ihn noch zwei oder drei Mal bei uns im Krankenhaus getroffen. Er auf dem Weg zur Dialyse, ich auf dem Weg zum Dienst.
Irgendwann hab ich ihn aus den Augen verloren. Ihn begleiten meine besten Wünsche für sein neu geschenktes Leben. Es wäre zu schön um wahr zu sein, wenn er den Neustart auch langfristig schafft.

Wir tun gut daran aufeinander zu achten und diese Aufgabe nicht nur den professionellen (bezahlten) Rettern zu überlassen. Mittlerweile gibt es in fast allen deutschen Großstädten die Kältebusse (oder sgn. Mitternachtsbusse) die zu Hilfe gerufen werden können.
Ich versuche konkrete Hilfe anzubieten indem ich einem Menschen in Not ein warmes Baguette (z.B. aus einem der vielen Backshops) oder eine andere schnelle, warme Mahlzeit kaufe. Das ist mehr als eine Spende, ich finde es eine schöne Geste. Wer sich mal mit dem Thema auseinander setzt wird merken, dass es den meisten vor allem an Gesprächen und sozialen Kontakten fehlt. Ein offenes Wort ist da manchmal genauso hilfreich.
Und gibt man jetzt 5 Euro in dem Wissen, dass davon Alkohol gekauft wird? Die Antwort ist – selbstverständlich! Es ist nicht meine Aufgabe mein Gegenüber von einer veganen, nachhaltigen, asketischen Lebensweise zu überzeugen. Die wissen alle selber, was sie ihrem Körper zumuten.
Es gilt wie fast immer – irgendwas tun ist besser als nichts zu tun.

Spahn macht Ernst.

Was wie eine neue Rubrik des NEO MAGAZIN ROYALE klingt ist vielleicht das neue große Ding aus Berlin. Jens Spahn hat sich die Betreiber von Beatmungsheimen und sogenannten Beatmungs-WGs vorgenommen.
Und ich finde das richtig gut.

Das Thema ist seit Jahren (SPIEGEL-Artikel von 2017, Welt 2012) überfällig und eigentlich eher ein alter Hut. Weil sich aber niemand so richtig an dieses heiße Eisen getraut hat, konnten seit den 90er Jahren zunehmend geschäftstüchtige Anbeiter Beatmungs-WGs aufbauen.
Die Krankenhäuser haben sich gefreut, weil sie endlich ihre lästigen dauerbeatmeten Patienten los werden die von den Reha-Kliniken abgelehnt wurden. Die Betreiber der Beatmungs-WGs haben sich gefreut, weil sie an jedem der Patienten richtig viel Geld verdienen. Und die Krankenkassen haben brav bezahlt.
Verlierer ist die Allgemeinheit, die die Kosten tragen muss.

Wer wissen will worum es da geht darf sich gerne mal hier zu „Beatmungs-WG“ belesen. Der Fachausdruck dafür lautet übrigens außerklinische Intensivpflege und damit kann man eine Menge Geld verdienen.
20.000€ im Monat sind viel Geld und die sind auch gerechtfertigt – wenn, ja wenn man Intensivpflege außerklinisch auch mit dem nötigen, personal- und materialintensiven Aufwand betreibt.
Wenn man aber die Kosten drückt – und das am besten bei gleichbleibenden Einnahmen – dann fängt die Sache an lukrativ zu werden.
Wie man das am Besten macht kann man sich unter anderem hier sehen. Klar gibt es auch Erfolgsgeschichten, die Vorzeige-WGs die intensivpflichtigen Menschen ein Leben außerhalb der Klinik ermöglichen. Menschen die beatmet werden müssen aber die aus der Klinik raus wollen und in einer gemütlichen, häuslichen Umgebung leben wollen. Wie eine normale Wohnung eben. Natürlich gibt es die auch und es ist in dieser Diskussion wichtig hier die Guten von den Bösen zu trennen. Wir müssen aber vor allem über die Bösen reden. Menschen die unter Vortäuschung falscher Tatsachen pflegerische Versorgung vorheucheln und nur materielle Interessen haben. Da agieren windige Geschäftemacher unter dem Deckmantel der Menschlichkeit und missbrauchen für den finanziellen Gewinn PatientInnen die sich nicht dagegen wehren können.

Mein erster Kontakt mit einer solchen Beatmungs-WG muss ziemlich genau 2005 gewesen sein. Damals war ich im Rahmen eines Praktikums auf Hausbesuch mit einem niedergelassenen Allgemeinmediziner, welcher mit mir einen Patienten besuchte.
Im Vorfeld bot er mir sogar an den Nachmittag frei zu machen, was ich als hochmotovierter Jungmediziner natürlich ablehnte. Ich wollte Hausbesuche machen. Hinterher zeigte sich, dass er nicht an einer Verbesserung meiner Work-Life-Balance interessiert war sondern daran, dass ich diese Beatmungs-WG nicht von Innen zu sehen bekomme.
Der Besuch selbst war ihm sichtlich unangenehm. Das Haus war von außen ein komplett unscheinbares Wohnhaus, darüber und darunter befanden sich weitere Wohnungen.
In einer dieser stinknormalen Wohnungen von ca. 100qm waren in zwei Einzelzimmern und in zwei Doppelzimmern insgesamt sechs PatientInnen in einem Pflegebett untergebracht. Alle sechs waren über eine Trachealkanüle beatmet. Fünf von sechs PatientInnen guckten an die Decke, eine Kommunikation mit der Außenwelt war nach allem was ich beurteilen konnte nicht möglich.
Ein Patient schien zumindest mit Blicken im Raum das Geschehen verfolgen und es machte den Eindruck als wenn er zumindest zeitweise wahrnehmen würde was um ihn herum geschah.
Eine adäquate Kommunikation erschien mir auch hier nicht möglich, es wäre unmöglich gewesen den Willen des Patienten zu befragen, dennoch erschien es mir so als wenn eine innere Abwehr gegenüber pflegerischen Handlungen sichtbar wäre.
Gemeinsam mit den sechs PatientInnen lebte hier auch eine Pflegekraft.
Eine Pflegekraft für alle sechs PatientInnen.
Es bimmelte mal hier und mal da, eigentlich war ständig etwas zu tun. Absaugen, Filter wechseln, PEG piept, PEG-Beutel (mit künstlicher Ernährung) wechseln, wieder absaugen.
Alle acht Stunden wurde gewechselt, kurze Übergabe, nächste Pflegekraft übernimmt. Alleine mit sechs IntensivpatientInnen. Ach so Moment – Bewohner! Bewohner hieß das. Da wurde großen Wert drauf gelegt, dass das keine PatientInnen sind. Voll versorgt mit künstlicher Ableitung von Stuhl und Urin (SPFK) und voll ernährt über eine PEG, kontinuierlich assistiert beatmet. Aber hey – Bewohner. Keine Patienten.
Die Wohnung gehörte offiziell unserem Patienten, nennen wir ihn Herrn Huber. Herr Huber hatte wiederum fünf Jahre vorher einen schweren Schlaganfall erlitten in dessen Folge es zu einem fulminantem Untergang nahezu des kompletten Hirngewebes kam. Er wurde damals erst operiert (kraniotomiert) und wurde im Verlauf der weiteren intensivmedizinischen Therapie nicht mehr richtig wach. Kein Wunder, es fehlte nahezu das komplette Gehirn. Die Familie drängte auf eine Fortsetzung der Therapie, ein Ableben des Patienten wäre mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen verbunden gewesen. Als Leiter eines Unternehmens hatte er es versäumt den Nachlass zu regeln, die Firma wäre zerschlagen worden. Herr Huber hatte wohl aber diverse Versicherungen abgeschlossen. Krankentagegeldausgleich, Rente, ein ganz gutes Einkommen war das.
Ein Familienmitglied organisierte dann eine 24h-Betreuung. Zunächst zuhause waren die Kosten enorm, es musste eine andere Lösung her. Irgendwie kam dann noch ein Patient dazu und dann noch einer und am Ende stand diese WG in der sechs Menschen die mal ein eigenes, selbständiges und selbstbestimmtes Leben hatten am selbigen gehalten.
Darf man das? Möchte das irgendjemand? Ich kenne niemanden der das für sich wünschen würde. Niemanden, nicht einen einzigen Menschen kenne ich.
Aber ich habe in meiner beruflichen Laufbahn unzählige Gespräche mit Angehörigen geführt, die einen solchen vegetativen Zustand als akzeptabel bewerteten. Sicher nicht optimal, aber immer noch besser als der Tod. Es ist nicht das Ende. Solange der Körper noch warm ist, lebt er noch und vielleicht wird er ja wieder wach.  Solche Dinge und ähnliches redet man sich dann ein um eine solche Entscheidung sich selbst gegenüber rechtfertigen zu können.
Keiner der Angehörigen war glücklich mit der Entscheidung, letztlich waren die wenigsten aber so konsequent den Weg zur Terminierung der Intensivtherapie zu gehen.
Herr Huber war jetzt also zuhause, die Pflege war kostenintensiv. Eine Freundin der Familie arbeitete auch als Pflegekrat bei Herrn Huber und kam dann irgendwann mit der Idee man können ja noch zwei Patienten dazu holen, dann könne man die Kosten dritteln. Sie organisierte ab da den Schichtdienst, ihr Mann übernahm die Verwaltung und Abrechnung. Und natürlich blieb es nicht bei drei PatientInnen sondern es kamen noch mehr dazu.
Die Einnahmen sprudeln, die Kosten bleiben überschaubar. Ein Problem sind die Qualifikation des Personals. Da arbeiten dann auch mal Altenpflegehelfer die in Beatmungspflege angelernt werden (oder auch nicht) und die sollen dann das machen was man Intensivpflege nennt.
Die Krankenhäuser freut es, auf Intensivstationen sind Bettplätze ein rares Gut. PatientInnen die nach einigen Wochen Therapie keinen Fortschritt zeigen wird man dort gerne los.
Behandlungsplätze in Weaningkliniken (das sind Kliniken die sich darauf spezialisiert haben PatientInnen von Beatmungsgeräten zu entwöhnen) sind schwierig zu finden.
Bei multimorbiden Patienten wird die Anschlussheilbehandlung auch gerne mal unter Hinweis auf das fehlende Rehabilitationspotenzial abgelehnt. Diese Menschen fallen ein ein Versorgungsloch.
Ein aktuelles Fallbeispiel – eine fortgeschritten demente, 85jährige Dame stürzt im Pflegeheim auf den Kopf, nach dem Sturz trübt sie ein, wird bewusstlos. Notarzt und Rettungsdienst versorgen die Patientin, intubieren, bringen die Dame in unseren Schockraum. Nach Diagnostik einer Hirnblutung erfolgt die neurochirurgische Operation mit Ausräumung der Blutung. Die Dame wird nicht richtig wach, Schutzreflexe sind nicht ausreichend vorhanden, am 8. Tag wird nach frustranen Extubationsversuchen dillatiert. Eine AHB wird abgelehnt (kein Rehapotential), die Geriatrie lehnt ab (Die ist beatmet mit einer Trachealkanüle, sowas machen wir hier nicht, da können wir unsere Komplexpauschale nicht abrechnen), Normalstation mit Trachealkanüle geht auch nicht. Weaningklinik lehnt ab (zu alt, zu wenig Potential) und das Krankenhaus will nur noch eins: diese Frau loswerden. Wir haben die OP gemacht, jetzt brauchen wir das Intensivbett für andere OPs.
Erst im Frühjahr haben zwei weitere Beatmungs-WGs aufgemacht und einen Anruf später heißt es – klar, kann kommen. Krankentransport bestellt, Papiere fertig, Tschüss und gute Reise.
Die Dame wird jetzt bis ans Ende ihres Lebens beatmet an die Decke gucken und das kostet uns alle  20.000€ im Monat. Hätte man entweder gar nicht erst operiert oder nach erfolgter OP versucht sie mit intensiver Logopädie, Schlucktraining und Atemtraining von der Beatmung zu entwöhnen hätte das sicher viel Geld gekostet, langfristig aber ihr ein besseres Leben ermöglicht und Kosten gespart.

Als Notarzt war ich oft in Beatmungs-WGs und habe teils katastrophale Zustände vorgefunden. Ich habe ein Beatmungsgerät gesehen bei dem Mullbinden auf den Lautsprecher geklebt wurden damit der ständig bimmelnde Alarm „nicht so nervt“. Hygienische Mängel (unsterilisierbare Einmalprodukte wurden mehrfachst verwendet, Einmal-Trachealkanülen ausgekocht und über Monate benutzt),  Qualifikationsdefizite („Ich bin neu hier, ich habe meine erste Schicht, ich war vorher in der ambulanten Pflege.“) sind nur ein Teil.

Wie genau die Änderungen aussehen sollen die Jens Spahn sich da überlegt und wie sie sich dann vor allem in der Realität auswirken werden ist noch nicht klar. Ich halte es aber aus persönlicher Erfahrung für dringend notwendig, dass am besten bei jedem einzelnen Patienten eine Bedarfsanalyse gemacht wird und diese Beatmungs-WGs verschärften Kontrollen unterzogen werden.
Unangemeldete Kontrollen und verbindliche Vorgaben zur Mindestqualifikation für das eingesetzte Personal würden helfen die schwarzen Schafe zu finden. Eine angepasste Vergütung die weniger Anreize setzt PatientInnen beatmet von einer Intensivstation in eine solche WG abzuschieben wäre ein Anfang.
Die Gegner der Reformpläne sehen das Ende des Goldesels gekommen und werden nicht müde Vorbild-Konzepte zu präsentieren. Ja, die gibt es, aber sie sind nicht repräsentativ. Es gibt sicher vereinzelte WG-Konzepte für Schwerkranke und künstlich beatmete PatientInnen bei denen der Patient und die Besserung der Lebensqualität im Mittelpunkt steht.
Mir sind aber vor allem die Negativbeispiele bekannt. Dubiose Betreiber die sich nicht in die Karten gucken lassen.
Es wäre schön, wenn sich daran etwas zum Guten ändern würde.
Ich würde es Jens Spahn wünschen, dass er mal wirklich einen nennenswerten Erfolg für die Allgemeinheit erreicht, dass kriminelle Handlungen beendet werden und dass am Ende ausnahmsweise mal die betroffenen Patienten gewinnen.

Sommer, Sonne, Ertrinkungsunfall.

Das klingt schon irgendwie komisch. Auf Sommer und Sonne folgt sowas wie Freibad oder zumindest Plantschbecken, aber nicht Ertrinkungsunfall. Und irgendwie klingt es ja auch sehr nach Spaßverderber, wenn man bei Sommer und Sonne schon wieder von sowas nervigem wie einem Ertrinkungsunfall redet. 

Kann man nicht einmal die Sonne und den Sommer genießen ohne mit dem mahnenden Zeigefinger zu wedeln? Einmal nur ins Freibad gehen ohne Blaulicht, Rettungsdienst, Tragik und Schicksal?

Ganz unbeschwert den Sommer genießen.

Das war auch der Plan, als ich mit meinem Bruder ins Freibad gegangen bin. Eigentlich wollten wir klettern gehen, aber es war so heiß, dass selbst im Wald die Temperaturen abartig hoch waren. 

So tauschten wir kurzfristig den Plan von in den Bäumen hängen auf im Wellenbad dümpeln.  Wir hatten uns bereits gut im Wasser abgekühlt und freuten uns an Typen die es so wahrscheinlich nur im Freibad gibt. Selbst der als ausgestorben geltende Original VoKuHiLa™  lässt sich hier vereinzelt noch finden. Die Jugend balzte, die Kinder kreischten, es wurde gespritzt, geplantscht, vom Seitenrand gesprungen und Freibadpommes verspeist.
Ein perfekter Nachmittag. 

Um dem sich der Außentemperatur nähernden Ruhepuls etwas Abwechslung zu bieten entschieden wir uns für einen Gang zu den Sprungtürmen. Die Formel zum Glück lautete hier zwei Einer, zwei Dreier, ein Fünfer und die Zusatzzahl ist der Zehner. 

Getreu dem ungeschriebenen Unterhaltungsgesetz muss am Einer gestartet werden, es folgen Dreier, Fünfer und Zehner. Es ist eine ganze Weile her, dass ich zum ersten Mal auf einem Einer stand und auch dass ich zum letzten Mal hier stand. 

Zwei etwa acht bis zehnjährige Jungs mit Migrationshintergrund – nennen wir sie Fatih und Mesut – schlugen den gleichen Weg ein. Johlend, stets darauf bedacht eine möglichst große Menge Zuhörer zu erreichen machten Sie sich auf den Weg zur Sprungorgel. Für ihr Alter schien da eine beachtliche Ladung Testosteron mit und in Ihnen unterwegs zu sein, es wurde eine Menge ALTA! und DEINEMUDDA! gegrölt und ich verzichte hier – aus Gründen – auf eine wörtliche Wiedergabe. Man war sich seiner Sache sehr sicher, heute würde es knallen, der Zehner war gerade hoch genug, man plante das Becken leer zu spritzen, die Nachwuchsriege deutsch-türkischer Gangsterrapper schrieb ob der kreativen Vielfalt verwendeter Schimpfwörter fleißig mit. 

Weil leider gerade am Zehner bereits zwei Sprungwillige anstanden entschieden die Jungs sich dann doch spontan erstmal für den Einer, immerhin standen hier ja auch nur drei Zuhörer an und man könne ja sowieso immer noch gleich auch, sie verstehen schon.
Es hatte was von Moonwalk wie sie gleichzeitig mit großen Schritten und noch größeren Sprüchen Richtung Sprungbrett gingen, gleichzeitig sich aber innerlich sträubten dem Sprungbrett näher zu kommen.
Am
Einer angekommen blieb Mesut am Rand stehen, während Fatih unversehens in der Schlange stand. Ich stand hinter ihm, er drehte sich um, hinter ihm stand nicht Mesut sondern ich und irgendwie traute er sich nicht einen Rückzieher zu machen.
Mesut machte dicke Sprüche vom Beckenrad, Fatih fragte ob das Becken tief sei. SPRINGALTERISVOLLBABY! sagte Mesut. Ich wies auf das Schild, 5 Meter tief.
Ob man da stehen könne fragte er.
KLARMANALTER! sagte Mesut.
Das ist so tief wie der 5er hoch ist sagte ich.

Der übliche Ablauf ist, wippen, springen, Wasser spritzen, vom Beckenrand springen.
Fatih wippte, sprang, es spritzte ein wenig und dann war es sehr leise.
Irgendwas war anders, aber keiner konnte es so richtig greifen. Dann wurde es hektisch. Ein älterer Herr sprang beherzt ins Wasser – und ging selber unter wie ein Stein. Er ruderte wie wild, nur die Hände waren noch über der Wasseroberfläche, der Kopf war unter Wasser.
Was war hier los? Ich ging nach vorne und sah, dass Fatih in Richtung Boden trieb, der Mann hatte das erkannt und wollte ihn rausholen. Es passierte sehr vieles gleichzeitig, die Situation war sehr dramatisch. Von der Seite sprang jetzt im Beckerhecht der Bademeister angesprungen, ich versuchte Fatih zu greifen. Der Bademeister zog den Erwachsenen aus dem Becken und schob ihn an Land wo er auf dem Rücken liegend liegen blieb. Gleichzeitig hatte ich Fatih gepackt und hochgezogen, es ist erstaunlich welche Kräfte und Reserven sich in Notsituationen mobilisieren lassen. Beide kamen an Land, beide wurden erstversorgt.
Fatih hatte weit aufgerissene Augen, er hustete sich die Seele und das Badewasser aus dem Leib. Der Erwachsene neben ihm war sein Vater, der war in einem deutlich schlechteren Zustand. Extrem kurzatmig, Rasselgeräusche über der Lunge, Herzfrequenz knapp an die  200/min. Das Team der Bademeister sperrte sofort das Becken und kümmerte sich mit mehreren Leuten um Vater und Sohn.
In der Folge trafen die Profis ein, übernahmen den Sohn. Der Vater verweigerte trotz guten Zuredens die Mitfahrt und Krankenhausaufnahme.
Es stellte sich in der Folge heraus, dass eigentlich niemand in der Familie schwimmen kann. Ich weiß nicht was Fatih dazu trieb vom Sprungbrett zu springen, er war sich vielleicht einfach sicher, dass er schon irgendwie wieder an Land kommen würde. Vielleicht war die Angst vor den Blicken der anderen beim Rückzug auch größer als die Angst vor dem Wasser.
Es ist ein bekanntes Problem, dass unter Migrantenkindern der Anteil an Nichtschwimmern relativ hoch ist und es ist auch bekannte, dass unsere Gesellschaft ein allgemeines Problem mit Nichtschwimmern hat.
Kaputte Schwimmbäder, zu wenig Lehrer, zu wenig Ausbilder, zu wenig dies, zu wenig das.
Gleichzeitig sieht Wasser so friedlich und unscheinbar aus. Wir kaufen Spritzpistolen, Wasserbälle und diverses Zubehör um eine besonders fröhliche Zeit am Wasser zu haben. Niemand glaubt wie schnell man ertrinken kann, bis einer ertrinkt.
Ich habe drüben bei Twitter darum gebeten aufeinander aufzupassen. Mittlerweile gibt es unter dem Tweet unzählige Geschichten von ertrinkenden, beinahe-ertrinkenden und gerade-noch-Geretteten. Von Menschen die ihre kleinen Geschwister irgendwo heraus gezogen haben, aber auch Geschichten die von viel Arroganz und Ignoranz gegenüber der Gefahr geprägt sind.

<blockquote class=“twitter-tweet“><p lang=“de“ dir=“ltr“>Liebe Eltern, <br>Kinder <a href=“https://twitter.com/hashtag/ertrinken?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw“>#ertrinken</a&gt; leise. <br>In einem Planschbecken, in Pfützen von 10cm Tiefe. <br>Sie ertrinken in dem Moment wenn ihr &quot;mal eben&quot; auf Toilette geht. <br>Sie rufen nicht Hilfe, sie planschen nicht mal. <br>Sie sind einfach weg… <br>Danach ist nichts mehr wie zuvor.</p>&mdash; Narkosedoc (@narkosedoc) <a href=“https://twitter.com/narkosedoc/status/1144878072832958464?ref_src=twsrc%5Etfw“>June 29, 2019</a></blockquote> https://platform.twitter.com/widgets.js

Kinder atmen Wasser aus verschiedenen Gründen ein. Eine Welle die sie überrascht, eine Unachtsamkeit, ausgerutscht. Ein Gegenstand der nicht schwimmt und einfach auf den Boden sinkt. Kinder bücken sich einfach danach und atmen weiter – auch unter Wasser.
Der Kehlkopf ist voller Wasser, ein Schrei kommt dann nicht mehr raus.
Die Sonnencreme macht die Folie eines Swimmingpools sehr glitschig, einmal ausgerutscht und auf den Kopf gefallen können selbst größere Kinder auch in 20cm flachem Wasser ertrinken.
Unabhängig von der Größe des Kindes und den schwimmerischen Fähigkeiten können Kinder auch immer mal wieder krampfen. Das kindliche Gehirn ist noch im Wachstum und besonders anfällig gegenüber Einflüssen von außen. Der Krampf an sich ist meist relativ ungefährlich, gerät ein Kind bei einem Krampf unbeobachtet unter Wasser, ist dies nicht mit dem Leben zu vereinbaren. Das passiert immer wieder in Badewannen, auch bei Erwachsenen.

Noch etwas:
Kinder, die nach einem Ertrinkungsunfall bei einem sommerlichen Badeunfall wiederbelebt werden müssen haben weitaus schlechtere Chancen auf ein Überleben ohne Folgeschäden als Kinder die im Winter in eiskaltes Wasser fallen.
Vereinfacht gesagt bleibt bei Ertrinkungsunfällen im warmen Badewasser das Herz irgendwann aus Sauerstoffmangel stehen. Das Gehirn ist dann bereits lange ohne Sauerstoff, ein schwerer Hirnschaden und eine bleibende Pflegebedürftigkeit werden mit jeder Minute wahrscheinlicher.
Bei Ertrinkungsunfällen im kalten Wasser (Eisbach, zugefrorener See u.a.) ist der Kopf meist noch über Wasser, der Körper kühlt aus (!), der Stoffwechsel fährt runter, die Herzfrequenz wird langsamer und erst wenn die Muskeln durch die Kälte gelähmt werden gleitet der Körper des dann meist schon bewusstlosen Kindes unter Wasser. Das ist auch der Hintergrund beim „Wunder von Kärnten„.

Prävention ist also das allerwichtigste.
Und weil ich sowas großartiges niemals selber twittern könnte hier der schönste Reply und die Quintessenz der Diskussion:

<blockquote class=“twitter-tweet“><p lang=“de“ dir=“ltr“>Und jeder, der mir hier kommt mit: aber da hätte… Der Bademeister… Die Eltern… Flipper himself… Aber irgendwas müssen, sollen oder whatever, kriegt aufs Maul. Spart euch Klugscheißerei.</p>&mdash; Juliet Gibb (@mamigration) <a href=“https://twitter.com/mamigration/status/1145304356746682368?ref_src=twsrc%5Etfw“>June 30, 2019</a></blockquote> https://platform.twitter.com/widgets.js

In diesem Sinne – habt Spaß, passt aufeinander auf, genießt den Sommer!

Der Narkosedoc

Wer nicht fragt bleibt dumm. Oder schreibt einen Kommentar unter das Youtubevideo.

„Mir hat noch nie etwas geschadet, was ich nicht gesagt habe.“
– Calvin Coolidge

Keine Ahnung zu haben ist keine Schande. Ich finde es ist eher ein Wesenszug menschlicher Größe, wenn man zugeben kann, von etwas keine Ahnung zu haben.
In den seltensten Fällen wird das aber jemand zu geben. Keine Ahnung zu haben wird als Zeichen von Schwäche, Dummheit oder auch fehlender Berufserfahrung gedeutet. Die Erfahrenen, die haben auf alles eine Antwort. „Ich erkläre Dir, wovon ich nichts versteh“ singt Herbert Grönemeyer und ich habe schon oft an Grönemeyer gedacht während meiner ärztlichen Tätigkeit.
Gerade die Medizin ist eine sehr eitle Wissenschaft und da gehört der Rettungsdienst auch mit dazu. Nicht-Wissen wird verschwiegen, stattdessen wird halbgares 5-Prozent-Wissen mit breiter Brust zum epischen Vortrag und mit einer Teigrolle in Form von unberechtigtem Selbstbewusstsein plattgeklopft und ausgebreitet wird, auf dass es noch größer (und noch platter) erscheint.
In der Präklinik arbeiten wir oft mit Spezialisten zusammen. Spezialisten für Brandschutz (Feuerwehr), für Wasserrettung (DLRG), ja selbst für so etwas scheinbar banales wie die Bereitstellung von Licht gibt es großartige Spezialisten – die Frauen und Männer vom THW. Und damit sind nur mal drei Gruppen genannt.
Ich gehöre auch zu einer Spezialistengruppe, mit unserem Hubschrauber kommen Spezialisten für Luftrettung (Piloten, HEMS) und Notfallmedizin (Notarzt) hinzu.
Jeder Spezialist hat Fachkenntnisse im eigenen Gebiet. Ich kann den Zustand eines eingeklemmten LKW-Fahrers in wenigen Sekunden einschätzen und gebe dem Einsatzleiter der Feuerwehr diese Information weiter. Gemeinsam entscheiden wir ob wir eine Sofortrettung, eine schnelle Rettung oder eine schonende Rettung durchführen. Ich habe bis heute kaum eine Ahnung davon wie man das am besten technisch anstellt, bin aber jedes Mal erstaunt wie schnell, sicher und zuverlässig die Frauen und Männer von der Feuerwehr einen Menschen da raus holen.
Es ist schon ein paar Monate her, da musst ein Patient in einem Klärwerk aus einem Schacht gerettet werden und ich habe den Spezialisten von der Höhenrettung staunend zugesehen, wie sie mit ihren zig Seilen und Karabinern den Patienten sicher und zügig an die Erdoberfläche gebracht haben.
Ich würde mir nie anmaßen die Entscheidungen dieser Gruppe anzuzweifeln oder gar in der Gruppe oder im Internet zu kritisieren.
Bei mir ist das anders. Ich bin Notarzt im Hubschrauber und erlebe regelmäßig, wie unser Verhalten, unsere Entscheidungen und unsere Handlungsweise hinterfragt, kritisiert oder auch offen kritisiert wird. Das wäre okay für mich, wenn wir das im 1:1-Gespräch unter vier Augen klären würden. Ich bin gerne bereit einem ehrlich interessierten Mitarbeiter des Rettungsdienstes zu erklären warum wir einen Patienten nicht fliegen obwohl er oder sie sich das so schön ausgedacht hatte.
Stattdessen werden wir ständig ungefragt gefilmt (EIN HUBSCHRAUBER!!), manchmal ist das Video schon bei Youtube bevor wir an der Zielklinik gelandet sind.
Bei der Zigarette danach wird dann von dem Rettungsfachpersonal diskutiert warum wir das denn so und so gemacht hätten und nicht so und man hätte ja schon alles vorbereitet und überhaupt.
Ich kenne diese Diskussionen, ich war oft genug dabei.
Das hat nichts mit einem qualifizierten Debriefing zu tun.
Ich würde mir wünschen, dass wir einfach mal ehrlich zugeben, wenn wir keine Ahnung haben. Die Spezialisten machen lassen. Sei ein guter Teamleader oder ein gutes Teammitglied.
Ein Beispiel?
Für unseren Piloten wurde eine Landestelle ausgewiesen. Feuerwehr sperrt mit einem ganzen Löschzug eine Landefläche ab. Wir gehen dort runter, starten durch und landen nicht dort sondern 300m weiter und müssen durch die Polizei mit einem Einsatzwagen an die Einsatzstelle herangeführt werden.
Ich glaube, dass da bis heute noch ein paar Leute rumlaufen die uns für komplett bescheuert halten. Genau diese Leute wissen auch bis heute nicht, dass wir von oben das verrottende Gewächshaus direkt nebenan gesehen haben, dessen Scheiben sich im Landeanflug bedrohlich anhoben und teilweise wegflogen. Abbruch der Landung, durchgestartet, neue Entscheidung für einen sicheren Landeplatz.
Ein anderes Beispiel?
Wir werden nachbestellt zu einem Verbrennungstrauma, der RTW ist bereits vor Ort. Sicher 60-70% der Körperoberfläche sind verbrannt. Wir benötigen 20 Minuten für den Anflug, in den 20 Minuten wird original nichts gemacht. Bei Übernahme stellen wir fest, dass der Patient
a) mit knapp 140kg zu schwer für den RTH
b) die Zielklinik bodengebunden gerade mal 15 Minuten weg ist
c) der Patient instabil, stark schmerzgeplagt und mit einer Spontanatmungsfrequenz von 40/min intubationspflichtig ist/wird
Selbst wenn wir den Patienten fliegen würden hätten wir mit dem Umlagern vor Ort (Monitoring wechseln, RTW-Trage auf unsere Trage), dem eigentlichen Flug (Anlassen 2 Minuten, Flug 6 Minuten, Nachlaufen der Triebwerke 2 Minuten) sowie Umlagern an der Klinik (raus aus der Maschine, rein in einen RTW, Fahrt zur Liegendanfahrt, raus aus dem RTW, quer durch die Klinik zum Schockraum) sehr viel mehr Zeit verbraucht als wenn wir bodengebunden direkt fahren.
Klar, der Weg von A nach B, der ist mit dem Hubschrauber schneller. Der lohnt sich aber erst bei längeren Distanzen, weil durch das Drumherum so viel Zeit verloren geht.

Wir haben Piloten die auf ihre Flugzeiten achten müssen. Für die Piloten ist das Wetter am Einsatzort, an der Zielklinik und an unserer Homebase wichtig. Sie achten auch darauf wieviel Krafstoff noch an Bord ist. Gerade im Sommer kann man nicht mit einem vollen Tank fliegen weil die Maschine dann zu schwer wird.
In der Luftrettung kommen Aspekte zum tragen, mit denen man im bodengebundenen Rettungsdienst im Normalfall nichts zu tun hat. Was den erfahrenen Rettungsdienstler aber nicht davon abhält der jungen RS-Azubine mit großen Worten zu mansplainen warum er die und die Entscheidung ganz anders getroffen hätte und man ja nicht allen helfen könne und die müssen ja selber wissen was sie tun.
Wir machen unseren Job, ihr macht Euren Job. Wir arbeiten alle zusammen für die eine Sache. Wir helfen Menschen, wir arbeiten gemeinsam gegen die Zeit und wollen Leben retten und das möglichst sicher und schnell.
Wir sind das #teamblau, Polizei, DLRG, Feuerwehr, THW, Bergwacht und andere. Bei uns arbeiten Pflegekräfte und Ärzte, Spezialisten verschiedenster Art, Ehrenamtliche und Hauptberufliche.

Wenn Du in einer dieser Hilfsorganisationen im #Teamblau mitarbeitest und etwas nicht verstehst – frag uns gerne. Es wird immer jemanden geben, der Dir kompetente Antworten geben kann. Meistens steht hinter jeder unverständlichen Aktion eine bisher unbekannte Information.

Null zu Null.

Die Ruhe vor dem Sturm.
So nennt man das wohl wenn auf der Rettungsleitstelle nichts zu tun. Wenn alles gesaugt, geputzt, sortiert, abgeheftet und erledigt ist.
Jetzt in diesem Moment sitzen in diesem Land alleine knapp 90 Teams bestehend aus Piloten, Notfallsanitätern und Notärzten welche stets bereit sind alles stehen und liegen zu lassen um loszufliegen und zu helfen. Dazu kommen die weit über 1000 Teams aus Notärzten und Notfallsanitätern die mit ihrem Notarzteinsatzfahrzeug bereit stehen um zu helfen.
Und die zigtausenden Teams von Rettungswagen, Intensivtransportwagen und unzählbaren Feuerwehreinheiten. Polizei, THW, Notfallmanager der Bahn, Tierretter und so weiter.
Wir alle haben etwas gemeinsam. Wir wurden ausgebildet um Menschen (und Tieren 😉 in Not zu helfen. Wir tragen einen Pager, einen DME, ein Funkgerät oder ein Telefon mit uns um im Moment des Notrufes sofort einsatzbereit zu sein.
Wir legen immer alles parat, sind in jedem Moment auf einen Einsatz vorbereitet. Manchmal müssen wir während des Dienstes duschen (ich versuche zum Beispiel immer nach einer Reanimation zu duschen) und dann legen wir alles bereit so dass wir selbst bei einem Alarm unter der Dusche schnell wieder angezogen und einsatzbereit wären.
Wir packen morgens alle Geräte einmal aus, checken den Defi, die Beatmung, gucken die Rucksäcke durch. Danach wird alles verstaut, einsatzbereit gemacht.

Ruhe bedeutet nichts zu tun. Warten.
Was irgendwie absurd ist, weil da draußen geht das Leben ja weiter. Und eigentlich könnte man ja auch was anderes tun, wenn man wüsste dass es so ruhig bleibt. Zum Sport gehen, das Auto durch die Waschstraße fahren und um 15:30 Uhr ins Stadion. Was man eben so an einem Samstag macht.
Weil wir aber nicht wissen wann und wo ein Notfall passiert sind wir immer bereit.
Manchmal sitzt man dann wirklich stundenlag da und es passiert nichts.
Ich fahre ab und zu auch bodengebunden in einem etwas ländlichen Bereich. Da kann es tatsächlich auch mal passieren, dass wir einen „Nuller“ haben. Keinen einzigen Einsatz, den ganzen Tag über. Das kommt dort so drei oder vier Mal im Jahr vor.
Die Raucher fluchen dann meistens weil die erste Schachtel schon vor 15 Uhr leer ist. Ich habe irgendwann all die Arbeit die ich mir mitgenommen habe erledigt und nach ein paar Stunden ist Bücher lesen auch langweilig.
Im Fernsehen läuft sechs Stunden Biathlon und Dschungelschwachsinn, das hält ja auch kein Mensch aus. Dann döst man da so vor sich hin und wenn man ehrlich ist, ist das ein ganz schön doofer Zustand.
Wir haben uns morgens unsere Uniform angezogen, alles gecheckt, gepflegt, gewartet, damit wir Menschen in Not retten können. Nicht damit wir rumsitzen und uns langweilen.
Wenn man dann keinen Einsatz hat, kommt man sich sehr schnell sehr überflüssig vor.
Wir sind quasi arbeitslos.
Das ist gut für den Bürger, weil dem Bürger geht es dann ja gut. Etwas besseres könnte ja eigentlich gar nicht sein, alle achtzig bis hunderttausend Einwohner in unserem Einzugsgebiet erfreuen sich bester Gesundheit!
Oder sie sind zumindest nicht so krank, dass sie jetzt gerade einen Notarzt benötigen.
Das ist ja eigentlich was Schönes.
Das muss man sich dann auch mal sagen und dann geht es wieder.
Dem Bürger geht es gut.
Und ich fahre jetzt nach einem Dienst nach Hause in dem ich nichts erlebt habe.
Muss es auch mal geben. Eine Nullrunde.
Schlecht für uns, gut für den Bürger.

Stabile Seitenlage und Helm ab – oder etwa doch nicht?

Ersthelferkurse.
Man findet sie meist an einem Samstag durch einen dieser Kundenstopper vor einer dieser Apotheken, 2. Etage rauf, 3. Tür links, nehmen Sie Platz, bitte, danke.
Und dann geht es los. Wie war der richtige Druckpunkt für die Reanimation nochmal? Zwischen den Brustwarzen, dann vier Finger rauf oder doch drei runter? Meine Finger oder die vom Patienten? Ach so einfach in der Mitte? Bei Kindern auch? Und wenn das weh tut? Und wenn ich eine Rippe breche?
Und in dem ganzen Wirrwarr kommt dann die Erlösung – die stabile Seitenlage. Die ultimative Entschuldigung für alle die nicht mehr wissen was sie genau machen sollen – ab mit dem Patienten in die stabile Seitenlage.
Wenn ich jemanden finde der gerade stirbt, lege ich ihn einfach in die stabilie Seitenlage. Das sieht super aus und klingt auch noch gut.
Stabil, da denkt man an ein stahlverzinktes Schwerlastregal. 112, Seitenlage, fertig.
Im Fernsehen sieht man das ständig, dann muss es ja richtig sein.
Wenn es da nicht ein großes Problem gäbe… bewusstlose Menschen haben so gut wie immer ein erhebliches Kreislaufproblem – um nicht zu sagen, die meisten sind tot und eben nicht bewusstlos.
Die stabile Seitenlage wurde für Menschen gedacht die mit stabilen Kreislaufverhältnissen und eigener Atmung eigentlich so aussehen als wenn sie schlafen, nur dass ihnen die sgn. Schutzreflexe fehlen. Der Schutzreflex setzt ein, wenn wir einen Schluck Wasser in die Luftröhre bekommen. Wir können gar nicht anders als diesen hoch zu husten.
Wenn also ein Bewusstloser der diese Schutzreflexe nicht mehr hat auf dem Rücken liegen bleibt und erbricht, dann macht es kurz schwapp! und die ganze Soße läuft in die Luftröhre, in die Lunge und der Bewusstlose erstickt daran. Die Idee ist, dass man den Bewusstlosen auf die Seite dreht, so dass noch zu Erbrechendes den Weg nach draußen findet.
Eine eher theoretische Konstellation, denn die meisten Bewusstlosen die man so da draußen finden wird, sind nämlich deswegen bewusstlos, weil sie keinen Kreislauf mehr haben. Die sind  reanimationspflichtig, müssen also wiederbelebt werden.
Nicht zu drücken (also eine Herzdruckmassage auf dem Brustkorb anzufangen) und nur die 112 zu wählen in Kombination mit der stabilen Seitenlage ist schlicht und ergreifend sinnlos.
Die stabile Seitenlage ist ebenso wie das völlig überschätzte Dreiecktuch (sic!) über Jahrzehnte in die übermüdeten Gehirne gelangweilter Teilnehmer von Ersthelferkursen eingetrichtert worden.
Das Problem – was ursprünglich mal als Hilfe gedacht war, führt dazu, dass gut gemeinte Maßnahmen (oder auch die bewusste Unterlassung von Maßnahmen) dazu führt, dass tote Menschen nicht als solche erkannt werden und keine Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden.
Keine Atmung oder eine komische Atmung? Dann 112 wählen und mit der Herzdruckmassage starten. Keine Ausreden.
Es ist so einfach und es ist so hilfreich.

Am Ende gehen doch die meisten aus dem Kurs und sind völlig verwirrt wegen der ganzen Details und Ausnahmen.
Lieber nichts machen, bevor ich irgendwas falsch mache.
Genau das kommt raus, wenn man erste Hilfe so kompliziert macht und da müssen wir anpacken. Ich finde wir sollten die stabile Seitenlage gar nicht mehr unterrichten, sie ist in sehr seltenen Fällen wirklich nützlich und am Ende verwirrt sie die Teilnehmer nur.
Lieber nichts machen, bevor ich irgendwas falsch mache.

Würden wir uns bei einem brennenden Weihnachtsbaum auch so verhalten?
Kein C-Rohr im Haus? Kein Schaumwerfer griffbereit? Dann rufen wir lieber die 112 an und warten auf die Profis?
Nein, natürlich würden wir losrennen und einen Eimer Wasser drüber kippen, wir würden im Erstangriff vielleicht die Blumen aus der Vase reißen und das olle Blumenwasser drüberschütten. Wir würden versuchen lieber irgendwas zu machen, bevor wir nichts tun.

Und wie war das jetzt nochmal mit dem Helm?
Da war doch was, wie war das nochmal.
Wenn die Halswirbelsäule gebrochen ist, aber das Rückenmark vielleicht noch nicht beschädigt ist und der Motorradfahrer wach ist, dann ist es nochmal anders als wenn der bewusstlos ist und am Ende denkt man sich dann – boah, komm, lass drauf. Fertig.

Wenn man den Versuch macht im Internet nachzugucken ob man den Helm beim verunfallten Motorradfahrer abnimmt, bekommt man erstmal nicht die Antwort auf das ob sondern darauf wie man den Helm abnimmt.
Das wird dann schnell kompliziert und überhaupt könnte da ja was gebrochen sein und dann, ja dann (hier mahnend fuchtelnden Zeigefinger einfügen!) wenn man den Helm jetzt falsch abnähme, dann macht man dem das Genick kaputt. Rollstuhl olé, dank falscher Ersthelfermaßnahme. Das ist großer, ausgemachter Blödsinn!
Und jetzt nochmal für alle zum mitsingen: der Helm muss ab!
Immer? Ja, immer.
Der Hintergrund ist ganz einfach – grundsätzlich wird ein Motorradfahrer immer seinen Helm selbst abnehmen. Wenn er es denn noch kann.
Wenn nicht – dann muss es diesem Motorradfahrer schon ziemlich schlecht gehen. Damit hat sich ganz selbständig die Patientengruppe herausgefiltert die am allermeisten von der Helmabnahme durch den Ersthelfer profitiert – die mit eingeschränktem Bewusstsein oder nicht ausreichender Atmung.
Der Helm muss ab – so einfach ist das.
Nur wenn der Helm ab ist, lässt sich beurteilen ob der Verunfallte noch atmet, ob vielleicht sogar Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden müssen.

Ich hoffe nicht, dass in Erste-Hilfe-Kursen noch das Märchen von der Querschnittslähmung durch eine unachtsame Helmabnahme erzählt wird. Das ist grober Unfug und gefährdet Menschenleben!
Ein Unfall der ausreicht den Knochen zu zerstören hat so viel Energie, dass das geleeartige Myelon des Rückenmarks so gut wie immer direkt beim Aufprall mit zerstört wird.
Bereits vor mehreren Jahren wurde die Diskussion dazu angestoßen, die Entwicklung geht eher in Richtung eines zukünftig zurückhaltenden, sorgsam reflektierten Umgangs mit der komplexen, zeitaufwändigen und immer auch mit (teils erheblichen) Nebenwirkungen behafteten Immobilisation der Wirbelsäule.
So ein Knochen an sich, ist sehr stabil. Es braucht einiges an kinetischer Energie um einen Knochen zu zerstören. Wenn jetzt innerhalb des Knochens eine geleeartige Masse drin ist, kann man sich vorstellen, dass diese ziemlich sicher beim Unfall direkt mit zerstört wird.
Die Vorstellung, dass der Knochen zerstört wird und das Myelon unangetastet intakt bleibt, ist eher theoretischer Natur.
Es reicht übrigens eine kurzzeitige Quetschung, eine komplette Durchtrennung ist gar nicht nötig für einen Querschnitt. Wir haben schon Patienten behandelt bei denen selbst im MRT kein Schaden mehr gesehen wurde aber klinisch ein eindeutiger Querschnitt bestand welcher sich auch nicht mehr zurück bildete.

Es ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her, dass eine Kollegin von mir eine junge Motorradfahrerin versorgt hat, bei der sie als ersteintreffendes Rettungsmittel eintraf. Es waren mehrere Leute vor Ort, aber niemand hat den Helm bei der bewusstlosen Fahrerin abgezogen. Sie lag dort völlig unangetastet und im Helm war bereits unter dem Visier nur Erbrochenes zu erkennen.
Bei Ankunft war die Patientin tot, eine spätere Untersuchung ergab, dass keine größeren Verletzungsfolgen vorhanden waren, am ehesten aber von einer Aspiration (also einem Verschlucken von Nahrungsbestandteilen) in Folge der eingetreteten Bewusstlosigkeit ausgegangen werden musste.
Diese junge Frau ist möglicherweise daran gestorben, dass keiner der Umstehenden sich getraut hat den Helm abzunehmen und ihr einen freien Atemweg zu verschaffen.

Es ist keine Schande von erster Hilfe überfordert zu sein. Fragt mal in der Familie oder bei Freunden und auf der Arbeit nach ob sie wissen was bei einem nicht oder komisch atmenden Menschen zu tun ist und was jetzt mit dem Helm zu tun ist.
Und wenn da Unsicherheiten sind – geht zum Auffrischungskurs. Für Euch, für Eure Mitmenschen. Das kann Leben retten, ganz konkret.

Status 6 all night long

Der Notarztdienst hier im ländlichen Bereich verspricht eigentlich recht ruhig zu sein. In 24 Stunden sind es meist nicht mehr als drei oder vier Einsätze, nachts bleibt der Melder oft komplett ruhig. Nicht in dieser Nacht.

Eine Partygesellschaft rief uns weil die Gasflasche leer war, also fuhren wir mit Sondersignal zum Baumarkt um eine neue Flasche zu besorgen. Beim zweiten Einsatz nahmen wir den Bürgermeister mit, dieser brauchte eine Impfung für den geplanten Sommerurlaub. Bis zur nächsten Kinderklinik ist es relativ weit, wir fuhren gefühlt stundenlang über Land aber die Kinderklinik war nunmal die einzige Klinik die den Bürgermeister impfen konnte.
Zack, den Bürgermeister abgesetzt und ab ging es nach Hause.

Auf der Rückfahrt wurden wir nämlich von der Leitstelle direkt für einen Folgeeinsatz alarmiert. Bewusstloses Kind, Nachforderung vom RTW bei drohender respiratorischer Insuffizienz.

Ich ging in Gedanken das Szenario durch und hatte für meinen Geschmack etwas zu viel Zeit auf einer gefühlt viel zu langen Anfahrt zum Einsatzort.

Das Navi führte uns über Feldwege auf Schleichwege zurück auf Feldwege die immer entweder in einer Sackgasse oder vor einem Gebäude oder vor vor einem Pöller endeten. Für Pöller haben wir eigentlich ein Werkzeug an Bord, damit versuchte ich vergeblich den Pöller umzulegen. Es war auch eigentlich kein Dreikant wie sonst sondern mehr so ein Flaschenöffner, den hatte wohl jemand ausgetauscht.

Mein Fahrer hielt es nicht für nötig mal bei der Leitstelle nachzufragen wo denn der Einsatzort genau sei. Normalerweise kommt dann irgendeine ergänzende Information oder der Anrufer macht sich bemerkbar.

Joko (ja genau, der Halbbruder von Klaas) machte noch ein paar Versuche den Einsatzort anzufahren und brach die Anfahrt schließlich ab.

Ich war fassungslos ob dieser Nonchalance. Nein, sagte Joko, er würde das jetzt nicht finden, die würden schon klar kommen im RTW.

Die Auseinandersetzung fand ein jähes Ende weil ich schließlich ausstieg, das Renn-E-Bike vom Anhänger nahm und auf eigene Faust versuchte den RTW zu finden.

Was ich fand war ein quicklebendiges Kind. Topfit ausgeschlafen und hellwach. Noch bevor ich eine Rückmeldung an die Leitstelle geben konnte weckte mich das Kind brabbelnd und lachte mich freudestrahlend an.
Guten Morgen.

Investition oder Resignation – ein Fachgespräch.

Treffen sich zwei Mitarbeiter in der OP-Umkleide.
A: Mann ich war gestern als Notarzt hier im Nachbarort bei einem Patienten…  ich schätz den auf 130kg, könnten auch mehr gewesen sein. Der war blitzeblau als wir ankamen, Sättigung nicht messbar. War wohl vom Sofa geglitten und hing jetzt in seinem winzigen Wohnzimmerchen zwischen Sofa, Kacheltisch und der Schrankwand. Fraglicher Herdblick, ich hab vor Ort auf ne ICB (Hirnblutung) getippt.
B: Hab ich von gehört. Den haben die Neurochirurgen doch heute Nacht noch entdeckelt, oder? Den haben wir zusammen mit dem Team von der ITS mit 6 Leuten umlagern müssen, das war recht mühselig…
A: Ja genau. Also – GCS 3 (bewusstlos), eindeutige Intubationspflichtigkeit.
Der Notfallsanitäter reicht mir also so ein Einweg-Laryngoskop und nen Standardtubus ohne Führungsstab. Der Typ sah schon nach C/L IV aus. Aspiriert hatte er auch noch, sah wie Erbsen mit Möhren aus.
B: Verbessert die Sicht ja auch nicht gerade.
A: Nee. Ich stell mir den also ein und sehe nichts. Großlumig abgesaugt, es war allerhöchstens der Rand der Epiglottis zu erahnen. Ich dachte wir hätten wenigstens auf dem NEF ein Videolaryngoskop –
B: Nee, das war nur leihweise. Ist schon wieder runter.
A: Ja, hab ich dann gemerkt. Schöner Mist. Ich sag – was haben wir denn an Möglichkeiten? Der Sani meinte
überlege mir das Videolaryngskop Superview2000 zu kaufen.
B: Ich war auf der Messe und habe dort als Angebot das Superview1000 gekauft. Statt 1400€ für 900€. War ein Vorführmodell. Das hab ich jetzt immer in der Tasche dabei, egal wie die Lage vor Ort ist habe ich ein Backup.

 

Ich habe mal bewusst keine Firmennamen genannt, das ist hier auch nachrangig, es geht um was anderes.
Ich war beeindruckt davon, dass diese Kollegen den Missstand nicht einfach so hinnahmen sondern sogar durch den Einsatz eigenen Geldes ausgleichen wollten. Ich kann die Situation nur allzu gut verstehen. Es gibt nichts ärgerlicheres als aufgrund schlechter oder fehlender Ausrüstung dem Patienten nicht oder nicht richtig helfen zu können.
Es gibt Situationen in der Präklinik in der Spezialausrüstung wie ein intraossärer Bohrer oder ein Videolaryngoskop von Nöten sind um dem Patienten adäquat helfen oder überhaupt retten zu können.
In der Klinik in der ich dieses Gespräch mitgehört habe, habe ich im Rahmen eines Workshops hospitiert. An unserer eigenen Klinik und in dem Rettungsdienst in dem ich tätig bin haben wir sowohl bodengebunden im NEF als auch im RTH ein Videolaryngoskop standardmäßig im Einsatz. Das hat aber auch viel zu lange gedauert, bis sich das durchgesetzt hat.
Mal an die Retter hier – was fehlt auf Eurem Auto/Hubschrauber?
Gäbe es etwas von dem ihr sogar schon mal überlegt habt es Euch privat zu kaufen um es im Einsatz dabei zu haben?