Verbrannte Kinder.

(ACHTUNG: Der Beitrag enthält echte Fotos von teilweise schwer verletzten Kindern. Das ist nicht schön, aber das ist eine Verbrennung auch nicht.)

Meistens lief das so.
Bei uns: 7:30 Uhr Frühbesprechung, die und die kommt hinterher auf die Intensiv, 

Du bist schon viel länger wach als wir. Hast die Mama gerufen, geweckt und durch Dein fröhlichstes Lachen für den frühen Start in den Tag entschädigt.

Bei uns: bei dem und dem bitte nochmal nach der Gerinnung gucken ob man da einen PDK legen kann, noch Fragen?, einen erfolgreichen Tag allerseits;

Du guckst Mama bei der Morgenroutine zu, arbeitest Dich am Boden mit den Handtüchern und der dort liegenden Wäsche ab. Der Schlafanzug riecht nach Papa, der Pulli von Mama duftet und ist auch noch kuschelig. Oh, die Bürste schmeckt herrlich. Mit den Füßen bekomme ich so noch besser im Mund gedreht.

Bei uns: umkleiden für den OP, raus aus dem blauen Kasack, rein in die grünen Klamotten, OP-Haube und Mundschutz an, erstes Kind begrüßen, gegessen? getrunken? letzter Gerätecheck, and off we go… 

Zum Frühstück gibt es Brei. Den macht Mama mit diesem Blubberdings. Das leuchtet sogar bunt! Und es hat einen Schwanz. Wie mein Kuscheltier Schweinchen. Das angle ich mir ja auch immer an dem Ringelschwanz.

Bei uns: Metallentfernung rechter Arm bei Z.n. Unterarmfraktur vor 10 Wochen, gesundes Kind, 2,5er Larynxmaske, guten Morgen OP-Team, gut und Du so?, Freigabe, Schnitt, Blutdruckwerte etc. protokollieren

Du ziehst am Ringelschwanz vom lustigen Blubberdings und diese eine Sekunde verändert die nächsten Monate. Und Jahre. Es wird Deine Selbstwahrnehmung und Dein Selbstbewusstsein beeinflussen. Es lässt Dich schneller reifen als es Dir und Deinen Eltern lieb ist. Deine Naivität und Dein Verhältnis zu Ärzten und Krankenhäusern verändert sich für immer.

„Kind 3 J., Mehrfachverbrennung durch Wasserkocher, Landung in 12 Minuten, Aufnahme über Schockraum und Kinderintensiv“

Und dann sehen wir uns.
Du kommst in einem Dämmerzustand zu uns, driftest immer wieder in die medikamentöse Traumwelt ab, kämpfst Dich zurück, guckst die verheulte Mama an.
Deine Mama hat jetzt schon feuerrote Augen, ist völlig verheult und macht sich Selbstvorwürfe in XXL.  Mama unterschreibt die Daueraufklärung. Wir nehmen Dich mit.
Du bekommst eine amtliche Narkose, wir legen einen zentralen Venenzugang – Du wirst ihn brauchen. Es folgt das Debridement. Mit einer Art S.c.o.t.c.h.b.r.i.t.t (und ich rede von der harten Seite) wird die verbrühte Hautschicht abgerubbelt. Es sieht brutal aus und das ist es auch.

Es tut mir weh, das zu sehen. Klar, Du hast Narkose, Du bekommst das nicht mit. Und während die schmerzhafte Therapie beginnt siehst Du gleichzeitig so unfassbar friedlich und entspannt aus. Du hast einen langen Weg vor Dir kleiner Mensch.
Es wird weh tun. Hinterher.
Du bekommst eine Schmerzdauerinfusion und wirst die nächsten Tage im Dämmerzustand zwischen Schmerz, Schlaf und einer surrealen Wach-Welt pendeln. Deine Eltern werden mit Stofftieren und allerlei Firlefanz Dich abzulenken. Es gelingt mal besser und mal schlechter. Alle zwei bis drei Tage werden die Verbände gewechselt und mit ein bißchen Glück gehörst Du zu der Hälfte bei der sich die Wunden nicht infizieren.
Manchen reichen fünf, andere benötigen zehn oder fünfzehn Narkosen. Du veränderst Dich langsam aber kontinuierlich. Wächst an der Herausforderung Krankenhaus und benötigst viele Medikamente um die Schmerzen auf ein erträgliches Niveau zu dämpfen.

Das, was so schmerzt ist das Wissen, dass Narben bleiben werden. Nein, es wird nicht wieder alles gut. Manchmal sind auch im höheren Alter noch Anpassungsoperationen notwendig, wenn die Narbe zu sehr spannt. Gerade bei den Mädchen bleibt ein Schaden der nun mal nicht dem gesellschaftlichen Ideal von glatter Hochglanzmagazinhaut entspricht. Da können wir Dir noch so oft sagen, was für ein hübscher Mensch Du bist, einer 14-jährigen in der Vollblüte ihrer Pubertät tun die Narben auch 12 Jahre nach dem Unfall weh. Irgendwo da ganz tief drinnen.

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Der Kinderdoc hat gestern zum „Tag des brandverletzten Kindes“ die wichtigsten Präventionspunkte zusammengefasst.
Mir ist das wirklich wichtig!
Ich habe Espresso, Wasserkocher, Latte Machiato und Cappuccino, Wasserkocher, Suppe, Suppe, Suppe, Teewasser, Samowar, Suppe, geplatzte Wärmflasche, Wasserkocher und noch viel mehr gesehen. Das ist nicht schön! Auch uns Ärzte und Pflegende belasten diese Geschehnisse.
Die Angst vor einem Stromschlag ist relativ gesehen irrational hoch und kaum mit einem Risiko vergesellschaftet, wird aber durch die flächendeckende Steckdosensicherheitsnöppsiverklebung  dramatisiert. Der Respekt vor heißem Wasser ist dagegen quasi nicht vorhanden.
Ein Wasserkocher gehört hinten, ganz hinten auf die Arbeitsfläche. Mit dem Kabel. Unerreichbar für das Kind. Heiße Getränke auf dem Tisch bitte nicht auf irgendwelche Decken oder Läufer stellen. Das Kind zieht den Deckenzipfel am Tisch herunter baumeln, zieht dran und ist fürs Leben gezeichnet.
Das Hauptrisikoalter ist 6 Monate bis ca. 4 Jahre. Für die Kleinen sieht ein Glas Tee eben aus wie die leckere Saftschorle die es letztens bei Oma gab. Oder Cola. Oder Eistee.
Sie probieren das dann, erschrecken sich aufgrund der Temperatur und schütten sich das Getränk teilweise selbst über den Körper.
Anders als bei uns Erwachsenen ist ein Stück Haut beim Kind innerhalb von Sekunden schwer verbrüht. So sehr, dass es in ein Brandverletztenzentrum muss. Kinder haben noch keine dicke Lederhaut, die verletzlichen Hautschichten sind bei den Kindern viel oberflächlicher und viel schneller dauerhaft beschädigt.
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Ein kleiner Exkurs noch zu dem Thema der zeigt welche Konflikte durch einen kurzen Moment der Unachtsamkeit entstehen können:
Wir haben ein 5-jähriges Mädchen türkischer Eltern behandelt, Z.n. Verbrühung mit heißem Tee. Die Arme und Beine waren großteils verbrüht, die Therapie war relativ gut fortgeschritten und nun ging es um die Transplantation von gesunder Haut auf die beschädigten Bereiche. Eines der gängigsten Verfahren ist nach wie vor den Kopf kahl zu rasieren und die Haut oberflächlich in Streifen vom Kopf abzuscheren. Das kann man deshalb gut machen, weil hinterher wieder Haare drüber wachsen und man die Spuren nicht mehr so schlimm sieht.
Nicht so bei diesen Eltern.
Der Vater und die Mutter insistierten, dass ihrem Kind nicht die hübschen Haare abgeschnitten werden sollten, man könne die Hautentnahme doch von der Brust machen. Ja, kann man, wenn es gar keine andere Möglichkeit gibt. Aber nicht, wenn der Kopf völlig unversehrt ist.
Auf die Langzeitfolgen aufmerksam gemacht (ihre Tochter möchte ja vielleicht auf mal einen Badeanzug anziehen?!?) sagte der Vater: die bleibt verschleiert bis zur Hochzeit und auch danach hat sie nichts zu tragen wo man ihre Haut sieht.
Überflüssig zu sagen, dass sich die Chirurgen darüber hinweg gesetzt haben und Kopfhaut transplantiert haben.

Ich erspare Euch auch die Geschichte von den Eltern die sich über die langmonatige Behandlung ihres Sohnes schließlich getrennt haben oder die von dem Kind, dass von seiner Mutter angezündet worden ist. Es passieren schlimme Dinge und wir freuen uns für jedes Kind was nicht den Weg in unser Zentrum findet.

Im Namen der Kinder – Danke für Eure Aufmerksamkeit.

24 Gedanken zu “Verbrannte Kinder.

  1. ach, ohne Bilder hätte ich es ganz gelesen, aber so tat mir das Herz weh voller Mitgefühl. Das war mir immer im Kopf als ich meine 3 Kinder grosszog. Ich bin froh, dass es uns nie passiert ist!! Wir hatten ein Nachbarskind dem es passiert war und haben darum immer sehr gut aufgepasst!

    1. Hallo Anne,
      ich habe lange mit mir gerungen ob ich die Bilder zeige. Ich mache hin und wieder Fotos um entweder Bilder für Vorträge zu haben oder auch um wie in diesem Fall die Interessen der Kinder zu vertreten. Diese Kinder im Arm zu haben bzw. von den Eltern in den Arm gelegt zu bekommen ist mit einer Aufgabe verbunden.
      Man muss tatsächlich sagen, dass gemessen an unserer Bevölkerung hierzulande relativ wenige Verbrennungen passieren (anders als in Südeuropa, Indien etc.). Trotzdem bleibt das ungute Gefühl, dass jedes einzelne ein Schicksal zu viel ist.
      Es ging mir auch nicht um Effekthascherei, ich schreibe tatsächlich in erster Linie für mich als Erinnerung, sondern um die Vermittlung dieses Gefühls als Anästhesist.
      Wir schrauben nicht nur an der Beatmungskiste rum oder schreiben die Patientendaten auf. Wir fühlen mit, wir begleiten und wir sorgen für den begrenzten Zeitraum von Begrüßung bis zur Übergabe im Aufwachraum oder auf der Intensiv nur für diesen einen, einzelnen Menschen und sonst niemanden.
      Verbrennungskinder sind auch deshalb etwas besonderes, weil wir die allermeisten Patienten nur einmal sehen. Verbrennungskinder kommen immer wieder, es entsteht eine gewisse Form der Vertrautheit. Das macht es nicht leichter das Schicksal zu verarbeiten.
      Trösten muss man sagen, dass das Verbrennungsteam exzellente Arbeit leistet. Manchmal sehen wir Jugendliche die vor Jahren dort behandelt wurden und wegen ganz anderer Dinge wiederkommen. Dann ist das kosmetische Ergebnis oft überraschend gut, aber die Narben bleiben.
      Eine erfreuliche Woche!

  2. Oh mein Gott! Mußte der letzte Satz mit der „Mutter“ und dem Kind sein?!
    Wahrscheinlich. Trotzdem kaum auszuhalten…

  3. Bin ich froh, dass bis auf 1x kurz auf die Herdplatte gefasst bei meinen Geschwistern und mir nie was größer passiert ist. Meine neue Küche zudem eine übertiefe Arbeitsplatte hat. 20 cm mehr, die bis zum Herd, Wasserkocher und co. zu überwinden sind für meine Tochter.
    Nachdenkliche Grüße von einer zerstreutet Mutter, die heute die heiße und kalte Backform verwechselt hat.

  4. Mir sind gleich ein bisschen die Tränen gekommen. Ich habe mich selbst mit 14 verbrannt und während ich Glück hatte was die Narben angeht (Hals und Hände merken die wenigsten sofort) so habe ich allerlei auf Station mitbekommen und die Vorwürfe die Eltern sich machen, mit dem Wissen, dass es den Kindern irgendwann psychisch scheisse gehen wird, ist das traurigste. Danke für eure Arbeit, für verbrannte Kinder seid ihr die Helden.

  5. Puh, harte Kost! Aber so richtig und wichtig. Bei mir war es der Topf mit heißem Wasser, wollte doch nur meiner Mama helfen aber der Topf war zu schwer und das kochende Wasser schon über meinem Bein und dem Fuß. Über 12 Wochen Krankenhaus und anschließend 4 Ops. Aber ich hatte Glück und tolle Ärzte!! Am Bein sieht man nichts mehr und am Fuß sieht es auch ganz okay aus.
    Jetzt habe ich selber Kinder und setze alles daran, dass sie diese Schmerzen nicht durchmachen müssen.

    1. Danke für Deinen Beitrag! Das eigentlich überraschende ist doch, dass irgendwie jeder eine kleinere (puuh nochmal Glück gehabt) oder größere (Verbrennungszentrum OP) Geschichte von sich selbst oder aus dem engsten Familienkreis erzählen kann. So selten scheint es dann doch nicht zu sein. :-/
      Alles Gute für Dich und Deine Kinder!

  6. Danke! Man kann gar nicht oft genug sensibilisiert werden, auch wenn sich trotzdem nicht alle Unfälle vermeiden lassen werden. Zu kurz ist der eine winzige Moment. Wichtig fände ich noch eine Aufklärung über die richtige Erstreaktion der Eltern oder Aufsichtsperson und eine deutliche Warnung vor Fritteusen.
    Die Mutter des einen, mir bekannten, brandverletzten Kleinkindes hat sofort und komplett richtig reagiert. Als sie die Geschichte erzählt hat, kam es mir erstmal gar nicht so schlimm vor und ich habe mich gefragt, ob Kühlen nicht gereicht hätte, ob der Notarzt wirklich sein musste. Bis sie zu der Stelle mit der Narkose und der Weiterleitung direkt über den Schockraum an den Heli und in das Brandverletztenzentrum kam. Da würde mir erst das Ausmaß von ein bisschen heißem Wasser bewusst und ich war geschockt, dass ich selber wahrscheinlich komplett falsch reagiert hätte!?

    1. Kinder haben einen anderen Hautaufbau. Es wird viel schneller die Regenerationsschicht zerstört. Außerdem sind 10 Quadratzentimeter Haut bei einem Einjährigen absolut genauso viel wie beim Erwachsenen aber relativ eben viel mehr.
      Danke für dein Interesse!

    1. Schlimmer geht immer, oder?
      Es soll ja hier kein Gruselkabinett werden, ich könnte da noch weitere… :-/
      Es ging mir darum aufzuzeigen wie weit das Spektrum ist. Häufiges ist häufig und 90% waren eben heißes Wasser in irgendeiner Form und eben nicht der Grillanzünder. Zum Glück! Da hat die Aufklärung schon etwas gebracht. Und der Schutz der Menschen vor sich selbst der dazu führt, dass es mittlerweile Anzündgel gibt etc.

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