End-of-life-decisions. Wir müssen reden.

Mit dem etwas sperrigen Ausdruck „End-of-life-decisions“ werden all jene Entscheidungen beschrieben die am Ende eines Lebens gemacht werden müssen.
Manche davon entscheidet der Patient selbst, manche die Krankheit, andere Entscheidungen müssen von den behandelnden ÄrztInnen oder sogar von den Angehörigen getroffen werden.
Entschieden wird aber so oder so, man kann nicht keine Entscheidung treffen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt – man kann Entscheidungen aufschieben, aber auch das ist eine Entscheidung.
Ich entscheide das jetzt nicht heißt im Umkehrschluss – wir lassen alles erstmal so weiterlaufen. Das ist auch eine Entscheidung.

Um mehr Selbständigkeit in den mitunter wichtigsten Fragen des eigenen Lebens zu gewinnen, vor allem aber auch um den eigenen Angehörigen Unsicherheit und Zweifel zu nehmen sollte man einiges regeln.
Dazu gehört ein Testament, klar. Wer kriegt die Kohl, die Pelze, die Immobilien.
Aber auch – wohin soll mein Hund, wenn ich nicht mehr für ihn sorgen kann? Wohin soll er vor allem nicht?
Dazu gehört auch eine Vorsorgevollmacht. Sie regelt, dass wenn ich selber nicht mehr in der Lage bin meine Angelegenheiten zu regeln – und nur dann! – eine von mir dazu beauftragte Person diese Aufgaben übernimmt. Habe ich keine Vorsorgevollmacht wird in der Regel ein naher Verwandter als Betreuer eingerichtet, das ist aber lange keine Selbstverständlichkeit.
Viele glauben immer noch, dass eine Heiratsurkunde so eine Art Vorsorgevollmacht ist. Das hat damit nichts zu tun!

Exkurs:
Ein Mann liegt auf unserer Intensivstation, Darmverschluss, komplizierte OP, viel Blutverlust, Multiorganversagen, Langzeitbeatmung, Dialyse, Ausgang ungewissen, langfristige Pflegebedürftigkeit sehr wahrscheinlich, dauerhafte Hirnschäden nicht auszuschließen.
Seine Ehefrau möchte in seinem Sinne die Therapie beenden.
Seine Tochter ist der gleichen Meinung, der Vater habe das nicht gewollt. Es ist aber nicht schriftlich fixiert, man wollte das immer machen, liegt auf dem Küchentisch, ihr kennt das.
Die Tochter lebt mit den Eltern in einem Haus, man hat ein sehr inniges Verhältnis. Es wird das Vormundschaftsgericht eingeschaltet und eine Betreuung beantragt.
Der Sohn (in Argentinien lebend) wird informiert, dass es dem Vater nicht gut geht. Vor Jahren kam es zum Bruch in der Familie, er hat den Vater seit 15 Jahren nicht gesehen. Er mischt sich jetzt ein, will die Betreuung übernehmen. Er wird also vom Richter angehört, sagt aus, dass der Vater ein lebensbejahnder Mensch gewesen sei (vor 15 Jahren…) und er sicher eine Maximaltherapie wünsche. Die Frau, die Tochter insistieren. Es kommt zum Streit und der Richter entscheidet das einzig mögliche – ein neutraler, fremder Berufsbetreuer wird eingesetzt. Diese Leute „betreuen“ manchmal 150 oder bis zu 200 Menschen.
Es gibt wie überall viele gute Menschen, aber auch schwarze Schafe. Ich habe auf unserer Intensiv in fast 10 Berufsjahren noch nicht ein einziges Mal (!) einen Berufsbetreuer gesehen. Man faxt denen was hin, die unterschreiben das und schicken es zurück. Keine Skrupel, keine Interessenwahrnehmung, es ist eine Abwicklung von Geschäften.
Will man das? Wohl eher nicht. Also regelt das schriftlich wer wann was für Euch entscheiden darf. In einer Vorsorgevollmacht.

Wenn man Kinder hat sollte man auch eine Sorgerechtsverfügung verfassen.
Hier wird festgelegt wer sich um die Kinder kümmern soll und wer das Sorgerecht bekommen soll wenn ihr es selber nicht mehr ausüben könnt. Das ist unfassbar wichtig. Ein Familiengericht wird das mit höchster Priorität berücksichtigen, was eine Mama für ihre Kinder gewünscht hätte. Pflegefamilie oder Kinderheim? Zu den Großeltern die zwar viel Liebe schenken aber auch schon selbst sehr alt sind und 200km weg wohnen und wo die Kinder sich einen komplett neuen Freundeskreis aufbauen müssen?
Oder doch lieber zu den Freunden die in der Neubausiedlung direkt nebenan wohnen aber selbst schon drei Kinder haben?
Überflüssig zu erwähnen, dass man sowas natürlich ganz konkret mit den Menschen besprechen sollte die in der Sorgerechtsverfügung genannt werden…

Bleibt noch die Patientenverfügung. Die Entscheidungen die ich für mich in der Patientenverfügung festlege haben unter Umständen die am weitesten reichenden Folgen. Für mein eigenes Leben, aber auch für das weitere Leben meiner Familie, Angehörigen und Freunde.
Warum es Sinn macht auch als 21-jährige Topsportlerin oder als 24-jähriger Medizinstudent eine Patientenverfügung formuliert zu haben, darüber schreibe ich im nächsten Artikel.

3 Gedanken zu “End-of-life-decisions. Wir müssen reden.

  1. Ich hatte in einem meiner ersten Arbeitsjahre einen sehr ähnlichen Fall, der mich auch über 15 Jahre später immer noch beschäftigt. Mitt50er mit perforiertem Aortenaneurysma, gebracht von seinem besten Freund, der dann die ganze Nacht vor der ICU sitzt, wissend, dass er eigentlich keine Auskunft haben darf. Gleichzeitig haben wir die Ex-Lebensgefährtin des Patienten verständigt, weil da die acht- und zehnjährigen Kinder des Patienten weilten. Es könne sein, dass er nicht überlebt. „Ja, aber ruft bitte nicht heute Nacht wieder an, ich muss schlafen.“ Dann viele Wochen ICU mit Hemikolektomie und Unterschenkelamputation undundund. Der Freund nebst Frau immer an seiner Seite (wir haben das einfach mal zugelassen), außerdem eine Putzfrau des Patienten, die sehr besorgt war. Seine Kinder wollten gerne kommen, durften aber zunächst nicht. Und dann tauchte noch ein erwachsener Sohn auf, mit dem seit über 10 Jahren kein Kontakt mehr bestand und bestand auf Information und Beschlussrecht. Das sei sein Recht als Sohn! Wir haben ihn dann erstmal aufgeklärt…. Der beste Freund hingegen hatte die fast fertige Verfügung schon in der Tasche gehabt: der Patient hatte seine Kinder zu sich nehmen wollen und hatte eben diesen Freund als seinen Vertreter benannt, falls ihm etwas zustoßen sollte. Nur zum Notar hatten sie es nie geschafft…. auch dieser Patient bekam eine gesetzliche Betreuung.
    Das Gute: er hat überlebt. Ein 3/4 Jahr später nahm er die Kinder zu sich, sein Freund und dessen Frau wurden Vorsorgebevollmächtigte. Alles ordnete sich. Aber gelernt habe ich trotzdem viel daraus…

  2. Es gibt sehr gute Berufsbetreuer, ich durfte viele gute Erfahrungen machen. Nur ein Beispiel: schwerkranker Patient, chronisch schon lange, allein stehend, keine Familie zu der Kontakt besteht. Jetzt Lebensgefahr, Intensivstation, Koma, die Perspektive sehr unklar. Es wird eine Eilbetreuung eingerichtet, der Berufsbetreuer soll nun entscheiden wie es weitergeht. Den Patienten befragen kann er nicht. Aber er besucht als erstes die Hausärztin. Danach klappert er die Vorbehandler ab, um sich ein Bild seines Schützlings zu machen, um in der Lage zu sein, dessen Interessen vertreten zu können.
    Betreuung ist vielseitig und vielschichtig und enorm wichtig.
    Und noch wichtiger ist es, in der Familie ohne Scheu über solche Situationen zu reden. Ganz offen.

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